Gefälschte Protokolle, überzogene Mittelfreigaben, womöglich sogar Steuerhinterziehung – Der Verdacht gegen den FSR Wiwi wiegt schwer. Nun hat der FSU-Stura beschlossen, einzugreifen, aber tut er das wirklich?
von Henriette Lahrmann
Die erste FSU-Stura-Sitzung im neuen Semester beginnt mit guten Aussichten – eine kurze Tagesordnung und vor allem ausreichend Mitglieder für die Beschlussfähigkeit. Doch die Stimmung heizt sich schnell auf, als sich die Stura-Finanzverantwortlichen mit einem Dringlichkeitsantrag an das Gremium wenden. Sie äußern den Verdacht, der FSR Wirtschaftswissenschaften (Wiwi) habe falsche steuerpflichtige Angaben gemacht. Es seien vermehrt Dinge aufgefallen, die geprüft werden müssten. Dafür benötigen sie Zeit.
Ein Antrag geht ein, dass die finanziellen Verwaltungsentscheidungen des FSR vorübergehend vom Stura übernommen werden sollen. Die Mehrheit vom Studierendenrat zückt rosa Kärtchen und beschließt den Antrag. Der Vorschlag von Florian Rappen, den Tagesordnungspunkt auf die nächste Sitzung zu verschieben und zunächst ein Treffen zwischen dem FSR Wiwi und den Stura-Finanzer:innen zu vereinbaren, wird ausgeschlagen. Die finanzielle Entscheidungsmacht des FSR liegt seit dem 4. April erst einmal in den Händen des Stura.
Der Verdacht
Den einen konkreten Verdacht gibt es eigentlich nicht. Viel eher handelt es sich um drei angehäufte Unstimmigkeiten. Sollten sich diese bewahrheiten, kann es im schlimmsten Fall für das Finanzamt relevant werden und zu weiteren Kosten für den Stura führen.
Bei der Sichtung der Sitzungsprotokolle der Wiwis sei den Finanzverantwortlichen des Stura beim Aufschlüsseln der Dokumenteigenschaften aufgefallen, dass ein Protokoll erst ein halbes Jahr nach der dazugehörigen Sitzung im April letzten Jahres erstellt worden sei. Ein anderes Protokoll aus dem August letzten Jahres wurde ordnungsgemäß am selben Tag geschrieben, jedoch im März dieses Jahres noch einmal bearbeitet. Nun steht der Verdacht im Raum, dass diese nachträglich verfasst wurden. Florian Rappen, Vorsitzender des FSR Wiwi, sieht darin eine „böswillige Unterstellung“, zukünftig werde der FSR seine Protokolle handschriftlich anfertigen, das sei eben die Konsequenz daraus. Das Erstellungsdatum der aufgeschlüsselten Protokolle zeige nur das Erstellungsdatum der PDF-Datei und nicht des Word-Dokuments.
In der jüngsten Vergangenheit gab es bereits ein Gespräch zwischen den Finanzer:innen und dem FSR Wiwi. Die Protokolle kamen daraufhin auch eine ganze Zeit später bei den Finanzverantwortlichen an, und mit ihnen der Verdacht, dass sie nachträglich geschrieben wurden.
Der zweite Verdacht trifft den Stura wie ein gebranntes Kind. Noch in derselben Sitzung zeigen die Finanzer:innen eine Exceltabelle mit Mittelfreigaben des FSR Wiwi bei der FSR-Kom, dem Zusammenschluss aller Fachschaftsräte, in den Jahren 2019 bis 2021. Grüne Felder zeigen die beantragten Mittelfreigaben der Wiwis – rote dahinterliegende Kästchen die tatsächlich abgebuchten Gelder in dieser Zeit. Als Beispiel nennt Samuel Ritzkowski, der stellvertretende Kassenverantwortliche des Stura, eine Mittelfreigabe für 200 Euro. Diese wurden auch an den FSR überwiesen, zusätzlich aber noch zweimal 200 Euro an eine Privatperson. Insgesamt wurden mit einer Mittelfreigabe mal eben 600 Euro überwiesen, also dreimal so viel wie eigentlich beschlossen – und das nicht nur einmal. Samuel betont an dieser Stelle, dass dies nicht zwangsweise die Schuld des FSR WiWi sein müsse, aber diese Fälle überprüft und aufgearbeitet werden müssen.
Gleicher Meinung ist auch der FSR Wiwi. Ihm sei nicht bekannt, dass doppelte Überweisungen vom FSR WiWi an Privatpersonen gegangen seien. Und falls doch, soll es sich um Centbeträge gehandelt haben, die beim Verrechnen aus Versehen zu viel überwiesen und direkt wieder zurücküberwiesen wurden. Bei Überweisungen von der FSR-Kom an Florians privates Konto könne er für sich nicht ausschließen, dass da einmal etwas zu viel überwiesen wurde. Er würde dem FSR so viel auslegen, dass er am Ende nicht selten 50 bis 100 Zahlungseingänge auf einmal bekäme. „Das nehme ich so hin, wie es ist, sonst hätte ich gar keine Lebenszeit mehr.“ Außerdem schulde der Stura ihm aktuell noch 5.891,41 Euro – eine der wenigen Zahlen, die Florian ganz genau nennen kann. Er könne nicht mehr nachvollziehen, wofür er wann welches Geld wiederbekommen würde.
Aber die Finanzverantwortlichen beunruhigt noch ein ganz anderes Problem. Sie vermuten, dass der FSR Wiwi Einnahmen generiert haben könnte, die sie dem Stura nicht gemeldet haben, und dass daher keine Umsatzsteuer abgeführt wurde. Das wäre dann Steuerhinterziehung. Es gibt unter anderem den Verdacht, dass Pfandeinnahmen nicht aufgeführt wurden, als beim FSR Wiwi im Dezember letzten Jahres kostenlos Eistee und Wodka-Energy-Dosen ausgegeben wurden. Ähnlich verhielt es sich mit den Teilnahmebeiträgen für die Ersti-Tage im Wintersemester 2022/23. Florian versichert, dass der FSR Wiwi lediglich für das kostenlose Tagesprogramm verantwortlich war. Die Kosten des Abendprogramms seien dagegen ausschließlich vom Förderverein der Fachschaft Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena e. V. getragen worden. Genauso sei es auch bei der Ausgabe der kostenlosen Getränke gewesen: Der Förder verein habe diese vorher bezahlt und das Pfandgeld, welches ausschließlich Mitglieder eingenommen hätten, sei später wieder an den Verein zurückgegangen. Von außen ist das schwer zu widerlegen, da der Förderverein zum Großteil aus aktiven und ehemaligen FSR-Mitgliedern besteht. Vorsitzender ist in beiden Fällen Florian Rappen.
Wichtig für die Zusammenarbeit zwischen einem FSR und einem Förderverein ist ein Kooperationsvertrag. Nach dem Frietival-Festival im Sommer 2021 hat sich das Thema Kooperationsverträge stark verkompliziert. Seit der Sitzung vom 13. Juli 2021 besteht ein Kooperationsverbot für die Organe der Studierendenschaft mit dem Förderverein der Fachschaft Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena e. V. Die Richtlinien sind aber so unsauber formuliert, dass es schnell zu Ungenauigkeiten und Missverständnissen kommen kann.
FSRe gehören zwar nach der Satzung nicht zu den Organen der Studierendenschaft, sondern zu denen der Fachschaft, womit sie vom Verbot ausgenommen sind. Trotzdem dürfen sie keine Ko-
operationsverträge unterschreiben, da dies ausschließlich dem Vorstand des Stura vorbehalten ist und das Kooperationsverbot mit dem Förderverein den Vorstand miteinschließt. Und hier schließt sich der Kreis wieder. „Die Wiwis versuchen, Schlupflöcher zu suchen, um sich darin auszuruhen“, so Samuel. Florian hinterfragt derweil, ob das Kooperationsverbot gegen seinen Förderverein überhaupt rechtlich erlaubt ist. „Das ist Verleumdung.“
Sie vermuten, dass der FSR Wiwi Einnahmen generiert haben könnte, die sie dem Stura nicht gemeldet haben, und dass daher keine Umsatzsteuer abgeführt wurde. Das wäre dann Steuerhinterziehung.
Dem Stura liegt kein Kooperationsvertrag zwischen dem Förderverein und dem FSR Wiwi vor, dieser beteuert aber seine Existenz. Es sei ein unbefristeter Vertrag, der lange vor dem Kooperationsverbot geschlossen wurde. Auf den Wunsch des Vorstandes, den Vertrag zu sehen, reagiert Florian mit der Forderung, zuerst Einsicht in den Verlauf der FSR-Kom-Finanzen zu bekommen. Dem Vorstand ist dies jedoch nicht möglich. Nur die Finanzer:innen haben auf den Verlauf Zugriff. Diese müssen den Verlauf aber erst aufarbeiten, doch das koste wieder unnötig Zeit. Auch eine Anfrage des Akrützel, den Vertrag zu sehen, wird vom FSR abgelehnt. Florian bekundet darüber sein Mitleid: Das Akrützel würde nun bedauerlicherweise genauso zu den Leidtragenden der Auseinandersetzung mit dem Stura gehören – bis dieser auf die Forderung eingeht.
Die Auswirkungen
Kooperationsvertrag hin oder her, eigentlich sollte mit dem Beschluss, die finanzielle Entscheidungsmacht des FSR Wiwi in die Hände des Stura zu legen, alles in trockenen Tüchern sein. Ein Eindruck, der wieder verfliegt, als der FSR Wiwi auf Instagram in seiner Story postet, sowohl morgen als auch nächste Woche wieder Tickets für seine Party am 12. April in der Mensa zu verkaufen. Dem Stura hätten keine Beschlüsse und Protokolle für die Wiwi-Party vorgelegen, was laut dem FSR Wiwi auch nicht nötig gewesen sei. Alle Finanzen wären vom Förderverein verwaltet worden, und dieser braucht keine Beschlüsse vom Stura. Die Kooperation muss allerdings geregelt sein.
Auch in der weiteren Planung der Veranstaltung gibt der Stura an, keine finanziellen Entscheidungen übernommen zu haben. Nach dem FSR Wiwi sei das auch nicht möglich gewesen, weil dieser nichts von der Übernahme wusste. Zwar waren drei Mitglieder des FSR Wiwi auf der Sturasitzung, jedoch nicht in ihrer Funktion als Mitglieder des FSR, sondern als Sturamitglieder. „Ich sehe mich nicht als Schriftsklave des Stura“, stellt Florian klar. Es sei die Aufgabe des Stura, den FSR über wichtige Eingriffe in ihren Handlungsraum zu unterrichten. Die offizielle Information über den Beschluss kam aber erst am 17. April, zwei Wochen nach der Sitzung, da wären alle finanziellen Entscheidungen für die Party schon getroffen worden.
Bei einer Party soll es aber nicht bleiben, am 17. April bekommen wir eine Mail mit der Information, dass am 4. Mai das Friedrich tanzt, kurz FRIETA, stattfinden wird – eine Party für 3.000 Studierende auf drei Floors und mit vier Kinofilmen in zwei Hörsälen. Hinter der Party steht als Veranstalterin die Frieta GbR, laut der verantsaltungseigenen Webseite ein Zusammenschluss „der Studierendenschaft der FSU Jena, im speziellen dem Fachschaftsrat der Wirtschaftswissenschaften, den Hochschulgruppen, dem Förderverein der Fachschaft Wirtschaftswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena e. V., Hörsaalkino Jena e. V., und Aktiv Engagiert und Motiviert”. Ebenfalls Teil der GbR sind noch Sophia Bier und Florian Rappen. Der Stura weiß wieder von nichts. In einem Gespräch mit dem FSR WiWi am 20. April ist die Zusammensetzung der Frieta GbR auf der Webseite noch nicht aufgeschlüsselt. Florian erklärt, dass es sich bei der Veranstaltung um eine privatrechtliche Veranstaltung handle, der FSR sei von allen finanziellen Entscheidungen ausgenommen.
Noch am selben Tag geht über den Rundmailverteiler der Uni an alle Studierenden der FSU noch eine Mail mit Werbung zu FRIETA. Wie sie die Party finanzieren, ist unklar. „Ich könnte es sagen, tue es aber nicht“, sagt Florian, immerhin ist er in der Frieta GbR ganze viermal vertreten.
Die Dringlichkeit
Gelder der Studierendenschaft sind auf jeden Fall nicht dabei, denn seit dem letzten Wintersemester hat der FSR WiWi keine Semesterzuweisungen mehr bekommen. Auch mit den Geldern könnte derzeit nicht viel veranstaltet werden, weil sich der Stura momentan noch in einer Haushaltssperre befindet. Der Haushalt wurde für das aktuelle Haushaltsjahr zu spät beschlossen, am 13. April aber eingereicht. Nun hat der Präsident bis zum 25. Mai Zeit, Einspruch einzulegen oder den Haushalt zu genehmigen.
Gerade wegen der aktuellen Haushaltssperre trifft die Dringlichkeit des Antrages beim FSR WiWi auf Unverständnis. Warum komme er im April für Dinge, die teilweise im Dezember und davor passiert sein sollen? Für die Finanzverantwortlichen hat das mehrere Gründe. Für sie sei es strategisch besser, einzelne Probleme zu sammeln, zudem kam ein Hinweis erst sehr kurzfristig, „der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte“, so Samuel.
Ein Ende der Zwangsverwaltung ist noch nicht in Sicht, die Prüfung hat noch nicht richtig begonnen. Die Einreichung des Haushalts habe oberste Priorität gehabt, außerdem habe es noch andere Probleme gegeben. „Der Streit mit den Wiwis kostet wahnsinnig viel Zeit und Kraft“, erklärt Samuel. Als Finanzverantwortliche müssten sie untereinander darauf achten, sich gegenseitig gegen persönliche Angriffe von Seiten der Wiwis zu schützen.
Ein Ende der Zwangsverwaltung ist noch nicht in Sicht, die Prüfung hat noch nicht richtig begonnen.
Ihr Plan sei es, als Erstes die fragwürdigen Einnahmen des Pfands und der Teilnahmebeiträge der letzten STET zu überprüfen. Vor allem in dem Teil mit dem Pfand sehen sie einen eindeutigen Verdacht. Die Teilnahmebeiträge scheinen etwas weniger offensichtlich und müssen stärker geprüftt werden. Anschließend wollen sie sich um die Mittelfreigaben kümmern. Alles zu prüfen, wird wahrscheinlich lange dauern. Vor allem wenn sich ein Verdacht bestätigen sollte, rechnen die Finanzverantwortlichen nicht mehr mit der Vorlesungszeit und vielleicht überhaupt nicht mehr mit einer Rückgabe der Entscheidungsmacht in dieser Amtszeit. Ihre Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass der Stura keine weiteren Gelder verliert. Der FSR WiWi will die Prüfung unterstützen. Wenn es Fehler gegeben habe, müssten diese aufgeklärt werden. Sie wollen zurück zum Miteinander. Dafür solle der Stura aber das Kooperationsverbot kippen. Dieser hätte aber momentan sowieso kein Bedürfnis, mit ihnen zu reden.
Wirklich auszumachen scheint dem FSR Wiwi das aber nichts. Die Partyplanung ist in vollem Gange und vor der Ernst-Abbe-Mensa hängt ein riesiges FRIETA-Banner mit dem Logo des FSR Wiwi drauf.
Fotos: Pauline Schilller