Skurril, Dialogarm, Hypnotisierend

Neugierige Aliens, abstrakte Tänze und ein Archäologe mit Batterieradio schwirren durch das Theaterhaus Jena. Am 22. April feierte „On repeat“ Premiere.

von Nora Haselmayer

Die Zeit scheint sich aufgelöst zu haben. Auf der Grabungsstätte der menschlichen Zivilisation wechselt sich ein friedlich bürstender Archäologe mit drei zotteligen Außerirdischen ab, die interessiert um Autoreifen, Raketen und antike Säulen schleichen und in wilde Tänze verfallen.

In „On repeat“ prallen Alltägliches und Existenzielles aufeinander. Man fragt sich etwa: Was wird am Ende von der Menschheit übrig sein? Welche Momente werden in Erinnerung bleiben? Allerdings wird das Stück keine Antworten auf diese Fragen verraten. Und die Regisseurin erst recht nicht. „Ich möchte niemandem erzählen, wie der Abend interpretiert werden soll”, erklärt Zarah Bracht.

Wie ein Fiebertraum

Die Regisseurin setzt sich in ihren Werken häufig mit Gefühlen und Trieben auseinander, die gesellschaftlichen Debatten zu Grunde liegen. „On repeat“ entwickelte sie zusammen mit dem Jenaer Ensemble. Die Schauspielenden Linde Dercon, Henrike Commichau, Anna K. Seidel und Paul Wellenhof wechseln ihre Rollen häufig und gehen im Körperschauspiel vollkommen auf. Gut so, denn dieses steht in „On repeat” im Vordergrund.

Die Dialoge der gesamten 80 Minuten würden vermutlich auf eine DIN-A4-Seite passen. Bewusst werden die Zuschauer:innen mit ihren Gedanken alleingelassen. Hier wird niemand an die Hand genommen. So kann man beispielsweise minutenlang einem Duschabzieher beim Quietschen zuhören. Akribisches Putzen ist ein nicht unwesentlicher Teil des Stücks.

Hin und wieder werfen namenlose Figuren kurze Sätze zu Dating-Apps, Steuererklärungen und ihrem ersten Mal Tomatensaft im Flugzeug in den Raum. Diese Erinnerungsfetzen machen nachdenklich; das menschliche Leben wird scheinbar in eine wahllose Aneinanderreihung von Banalitäten zerstückelt.

Passend dazu sind auch die Kostüme zufällig zusammengesetzte Fragmente unserer Welt. Die menschlichen Figuren tragen zum Beispiel blaue Tennisstrümpfe, glänzende orangene Shorts und beige Oberteile mit und ohne Halloween-Kürbis-Cut-Outs.

Während man einer Meerjungfrau beim Ersticken zuschaut und ein Cowgirl dabei beobachtet, wie sie eine Glaskabine mit dem Lasso einfängt, fühlt man sich zwischendurch ein bisschen wie in einem Fiebertraum. Der klassische Spannungsbogen wird hier durch ähnlich wiederkehrende und skurrile Szenen ersetzt. Mit nachgeahmten Vogelgesängen und Ausdruckstanz versetzt einen das Ensemble in einen hypnoseähnlichen Zustand.

Zuvor geordnete Gedanken zerfallen zusammen mit physikalischen Gesetzen der Gravitation und Zeit.

Hinterfragt wird unter anderem unser Blick auf Alltagsgegenstände wie Sonnencreme und Marlboro-Aschenbecher. Wären sie für Archäologen in der Zukunft nicht mindestens genauso interessant wie eine antike Vase? Was genau trennt überhaupt Trivialitäten von dem, was wir als bedeutsam ansehen? Gemeinsam mit all den offenen Fragen schweben auch die Requisiten ab und zu in der Luft. Zuvor geordnete Gedanken zerfallen zusammen mit physikalischen Gesetzen der Gravitation und Zeit.

Der Interpretationsspielraum ist so groß, dass sich manche Zuschauende vor den Kopf gestoßen fühlen. Im Programmheft wird zwar angekündigt, dass hier Krisen, Erinnerungen, und existenzielle Fragen der Menschheit thematisiert werden. Allerdings muss man sich darauf einstellen, dass all diese Aspekte in abstrakter Form aufgegriffen werden, die hauptsächlich Fans der Postmoderne begeistern wird. Doch „On repeat“ hat keine Angst davor, abzuschrecken. Die Verwirrung des Publikums ist kein Zufall, sondern ein bewusst eingesetzter und elementarer Teil des Erlebnisses. Obwohl einzelne Elemente häufig wiederholt werden, überrascht das Stück immer wieder. Wenn man geduldig genug ist, sich darauf einzulassen. Auch wenn während des Zusehens das normale Zeitgefühl aussetzt, sollte die anschließende philosophische Diskussion mit der Theater-Begleitung unbedingt in den Abend eingeplant werden.

Die vorerst letzten Aufführungen von „On repeat“ sind am 25. und 26. April. Danach kommt das Stück erst im Oktober zurück auf die Bühne.

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