Was das für Studierende bedeutet und ob man Hausarbeiten mit ChatGPT schreiben sollte. Drei Professoren beantworten Fragen zur künstlichen Intelligenz.
Herr Demmerling,
Kann man KI Bewusstsein zugestehen?
Bereits in den 1950er Jahren hat Alan Turing vorgeschlagen, mittels einer Tastatur einem Menschen und einem Computer, die sich in einem anderen Raum befinden als die Person an der Tastatur, Fragen und Aufgaben zu stellen. Wenn die Person an der Tastatur nicht mehr zwischen den Antworten des Computers und des Menschen unterscheiden kann, dann – so Turing – müssen dem Computer aufgrund seines nicht vom Menschen abweichenden Verhaltens dieselben intelligenten Fähigkeiten wie dem Menschen zugesprochen werden. Der Turing-Test wurde immer wieder angeführt, um für die Gleichwertigkeit von menschlicher und künstlicher Intelligenz zu argumentieren.
Heute gibt es vielfältige Formen von KI, die vieles besser und vor allem schneller können als Menschen. Künstliche Systeme können rechnen und Ableitungen durchführen. Es gibt Computer, die sehr gut Schach spielen. Aber sind künstliche Systeme in der Lage, beispielsweise in einer schwierigen Verhandlungssituation die richtige Tonlage zu treffen? Ich denke nicht. Hier kommt man mit Rechenoperationen und dem Zugriff auf große Datenbanken nicht weiter. Man benötigt Urteilskraft, und die lässt sich nur auf der Grundlage von Erfahrungen in konkreten Lebenssituationen ausbilden. Urteilskraft benötigt man auch, wenn man sich mit wissenschaftlichen Problemen auseinandersetzt, weshalb uns die Maschinen die Arbeit niemals ganz abnehmen können. Urteilskraft ist ebenfalls erforderlich, um Inhalte aus dem Studium angemessen zur Darstellung zu bringen. ChatGTP kann Sätze formulieren, ist aber bezüglich der Inhalte ahnungslos.
Unser Denken fußt nicht auf einer einfachen Repräsentation der Dinge um uns herum, sondern wird von einer emotionalen Auseinandersetzung mit der Welt getragen. „Computers don‘t give a damn“, wie der Philosoph und KI-Kritiker John Haugeland zu sagen pflegte. Er wollte sagen, dass für Maschinen nichts wichtig ist, sie von nichts betroffen werden. Dass einen etwas angeht, ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich die Dinge in der Welt sortieren und wir die jeweils relevanten Zusammenhänge herstellen. Selbst wenn es uns jemals gelingen sollte, Maschinen zu entwickeln, die aussehen wie wir und sich auch so verhalten, man denke an die Androiden, die uns in vielen Science-Fiction-Filmen begegnen, oder an den humanoiden Roboter Ameca von Engineered Arts in England, besteht der maßgebliche Unterschied darin, dass Menschen als lebendige Wesen über Gefühle verfügen, mit Hilfe derer sie sich in der Welt orientieren. Maschinen haben keine Gefühle, sie können diese allenfalls simulieren.
von Christoph Demmerling, Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Theoretische Philosophie an der FSU
Herr Kunert,
Wie kann die Zusammenarbeit mit KI aussehen?
Die Herstellung von Metallen und Legierungen verursacht ca. 8 % der weltweiten CO2-Emissionen; gleichzeitig wird eine deutliche Zunahme des Bedarfs an metallischen Werkstoffen bis 2040 prognostiziert. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Entwicklung nachhaltiger metallischer Werkstoffe weltweit im Fokus vieler Forschungsaktivitäten steht. Das von der Carl-Zeiss-Stiftung finanzierte und an der Ernst-Abbe-Hochschule durchgeführte Projekt „SteelDesAIn. KI-Tools zur Entwicklung zukunftsfähiger Stähle.“ ist eines davon. Es hat das Ziel, mit Hilfe von KI-Tools Nachhaltigkeitsaspekte wie Ressourceneffizienz, Recyclingfreundlichkeit, aber auch Versorgungssicherheit in die Stahlentwicklung einzubringen.
Die künstliche Intelligenz soll dabei zunächst Zusammenhänge zwischen der chemischen Zusammensetzung, den Prozessierungsbedingungen, dem mikroskopischen Aufbau und den Eigenschaften der Stähle erkennen. Das trainierte KI-Modell soll dann im zweiten Schritt Vorschläge für Stahlzusammensetzungen und -prozessierungen generieren, die unter vorgegebenen Randbedingungen – wie z. B. dem Verzicht auf problematische Legierungselemente oder eine Bevorzugung niedrigerer Prozessierungstemperaturen – die beste Nachhaltigkeit aufweisen, ohne die Eigenschaften zu verschlechtern. Momentan befinden wir uns in der Phase der Datenaufbereitung für das Training. Die Arbeit an den KI-Modellen basiert stark auf dieser Datenbasis und beginnt nachgelagert. Projekte mit einer vergleichbar komplexen Datenbasis sind ohne den Einsatz von KI nicht durchführbar.
SteelDesAIn ist das erste KI-Projekt an der EAH, das sich mit materialwissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnten mit den entwickelten Modellen nachhaltigere Stähle deutlich schneller entwickelt werden, als es derzeit möglich ist. Gleichzeitig könnten die Modelle genutzt werden, um auf kurzfristige Änderungen in Lieferketten von z. B. Legierungselementen zu reagieren.
Wir sehen im Einsatz der Methoden der künstlichen Intelligenz in diesem Projekt große Chancen, die Nachhaltigkeit von Stählen – und zukünftig eventuell auch von anderen metallischen Werkstoffen – zu verbessern.
von Maik Kunert, Professor für Werkstofftechnik, Biomaterialien und Oberflächentechnik am Fachbereich SciTec der EAH und Marcel Koch, Doktorand im Rahmen dieses Projektes zu einem KI-Thema
Herr Braun,
Kann KI besser schreiben als Menschen?
Durch ChatGPT und andere KI-gestützte Tools wird sich das Schreiben grundlegend wandeln. Immer mehr Schritte im Schreibprozess werden mit Hilfe von KI ausgeführt werden. Das eigenständige Formulieren wird dabei zurücktreten und an seine Stelle das Vergleichen der mit KI geschriebenen Entwürfe und das Überarbeiten treten.
Davon wird auch das literarische Schreiben nicht verschont werden. Allerdings wird es dabei nicht darum gehen, den gesamten Schreibprozess der KI zu überantworten. Von daher kommt der Frage, ob sie irgendwann bessere literarische Texte verfassen kann, keine große Relevanz zu. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, dass die KI immer stärker in den Schreibprozess integriert werden wird und schließlich Texte entstehen, die teils auf KI und teils auf menschliche Leistungen zurückgehen.
Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind sowohl juristischer als auch ästhetischer Art. Juristisch muss geklärt werden, bis zu welchem Maß KI als Hilfsmittel angesehen und das Ergebnis als „geistiges Produkt“ des:der Autor:in gelten kann. In umgekehrter Richtung ist zu fragen, ab wann ein mit Hilfe von KI verfasster Text als Plagiat eingestuft werden muss. Denn auch wenn von ChatGPT geschriebene Texte originär sind, da sie auf wahrscheinlichen Wortverknüpfungen beruhen, so ist das System doch mit unzähligen Texten gefüttert, hinter denen jeweils ein:e Urheber:in steht.
Ebenso einschneidend fallen die ästhetischen Konsequenzen aus. Was wir bisher an der Literatur schätzen, ist der künstlerische Gebrauch der Sprache, in der sich eine eigene Weltsicht formuliert. Er beruht auf der Erfahrung und dem individuellen Sprachvermögen des:der Autor:in. Wie wird sich das Lesen von Literatur verändern, wenn wir nicht wissen, wie hoch daran der Anteil der KI ist? Und selbst wenn es irgendwann einmal im Rahmen einer sich neu bildenden Text-Ökologie ein Zertifikat „KI-freie Literatur“ geben sollte, wird es immer einen Restverdacht geben, der sich in der Lektüre einschleichen wird.
von Peter Braun, Professor am Institut für germanistische Literaturwissenschaft und Leiter des Schreibzentrums an der FSU
Fortsetzung: KI an der Uni II