„Fest“

Eine Schauspielerin will mit dem Theaterpublikum über ihre Ängste sprechen. Was sich im ersten Moment befremdlich anhört, entpuppt sich als schonungsloser Einblick in die Abgründe einer widersprüchlichen Krankheit.

von Markus Manz

Hanneke van der Paardt ist wütend. Foto: Joachim Dette

Angst bedeutet Leben mit zeitlich begrenzten Theorien. Das erklärt Hanneke van der Paardt in ihrem neuen Stück Fest, das am 10.02.2023 im Jenaer Theaterhaus Premiere feierte. Alles, was sich über das Thema sagen lässt, ist unsicheres Wissen ­­­­­­­­­– nichts davon muss morgen noch zutreffend sein. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gibt es jetzt dieses Theaterstück. Ein sehr düsteres, aber auch komisches, oft wütendes und an anderen Stellen dann wieder sehr abgeklärtes Zwiegespräch Hannekes mit sich selbst. Vielleicht so ambivalent und vielfältig wie die Angst selbst, der Menschen mit Angststörungen überall begegnen können. 

Wenn Blütenstengel zurückschauen

Hanneke sitzt im Malsaal des Theaters. Dem Ort, an dem normalerweise die Kulissen und Requisiten angefertigt werden. Hier ist eigentlich kein Platz für ein Publikum, aber im Stück wird der Ort auf die Bühne gebracht und damit selbst zur Kulisse. Das Gefühl, einen eigentlich nicht zugelassenen, viel zu privaten Raum zu betreten, drängt sich auch auf, wenn man Hanneke über ihre Angst sprechen hört.  Sie erzählt von Augen an Blütenstängeln und Gesichtern in den Wolken, sie sieht sich keine Serien wie Black Mirror oder Haus des Geldes an. Den Song Riders of the Storm kann sie nicht mehr hören, weil sie befürchtet, irgendwann herauszufinden, dass die darin flüsternden Stimmen nur aus ihrem Kopf sind. Als sie ihn später doch noch spielt, hat das eine erleichternde Folgerichtigkeit. Als wäre das Angst-Gespenst jetzt vertrieben. Aber auch das bleibt nur eine zeitlich begrenzte Theorie des Publikums, die von Hanneke fast unmittelbar wieder eingerissen wird. Die Intensität des Stückes lebt dabei nicht unwesentlich von der Bühnenpräsenz seiner Darstellerin, die die Zuschauer:innen oft vergessen lässt, dass es sich bei Fest um einen Monolog handelt.

Vorbeikommen statt auflösen

Die Performance folgt keiner strengen Erzählstruktur. Oft ist sie eine nicht chronologische Abfolge von Erinnerungen, die von Hanneke eingeordnet und in resignierten Resümees anschließend wieder abgebunden werden. Allerdings öffnet die Schauspielerin mit Jena und ihrer Heimatstadt Amsterdam zwei Räume, die für Unterschiedliches stehen. Die Geschichten aus Amsterdam handeln von familiären Konflikten, vor allem von ihrer kranken Schwester Lisa, zu der sie ein schwieriges Verhältnis hat. Die Stadt ist auch der Ausbruchsort der Angst, die Hanneke seit ihrem 19. Geburtstag verfolgt. Jena und der Malsaal wirken dagegen fast schon wie Fluchtpunkte, an die ihr die Vergangenheit nicht gänzlich folgen kann. Hier scheint Entspannung manchmal möglich. Sie sind deshalb aber keine Orte zum Heilen. Hanneke weiß nicht, wie das gehen soll. Therapeut:innen haben ihr anfangs Hoffnung auf ein Verschwinden der Angst gegeben, aber letztendlich halfen sie ihr immer nur dabei, sich kurzfristig besser zu fühlen. In diesem Sinne ist Fest auch eine Performance über unauflösbare Hindernisse und das ständige Sich-Fragen, wie man an ihnen vorbeikommt. Ein Sich-Einrichten mit der Angst, ohne diese zu normalisieren.

Im Gespräch mit einer Freundin

Fest ist ein sehr empathisches und mitreißendes, aufrüttelndes Theaterstück über Angststörungen. Hanneke gelingt es, unterschiedliche Arten des Umgangs mit der Angst wie Wut, Verdrängung oder Ironie auf sehr gekonnte und einfühlsame Art und Weise nebeneinanderzustellen. Das Fluktuieren der Theorien ­­­­­­­­­– das stetige Aufwerfen und Verwerfen von Gedanken – über die Angst macht das Thema in einer angemessenen Komplexität sichtbar. Dadurch, dass es Hanneke fast von Anfang an gelingt, eine intime Atmosphäre zwischen sich und dem Publikum zu erzeugen, fühlt sich Fest über Strecken weniger wie ein Bühnenstück als ein Gespräch mit einer sehr vertrauten Freundin an. Gerade weil das Thema so nahbar aufbereitet ist, ist aber irritierend, dass das Theater an keiner Stelle vor so sensiblen Inhalten warnt.

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