Jahrzehntelang müssen sich die Mitarbeiter:innen der Chemisch-Geowissenschaftlichen Fakultät mit Unannehmlichkeiten vor und in ihrem Gebäude abfinden. Ein Zaun soll es jetzt richten.
von Vincent Kluger
Die Treppenstufen, die zum Haupteingang der Chemisch-Geowissenschaftlichen Fakultät hinaufführen, markieren den Beginn dieser Geschichte. Seit vielen Jahren kommt es zu kleinen bis großen Unannehmlichkeiten in den Fluren, vor allem aber vor dem Eingangsbereich des Gebäudes. Müll, Spuckeseen, Zigarettenstummel, Pöbeleien und Exkremente führten zu einem zunehmend angespannten Verhältnis zwischen den Personen, die im Gebäude arbeiten, und den Unifremden vor dem Gebäude. In den letzten zwei Jahren formierten sich Widerstände, die dem Ganzen ein Ende bereiten wollten. Die bisherige Strategie, die Situation auf der Treppe auszuhalten, ist damit offenbar gescheitert.
Im November 2021 findet auf Initiative des Dezernats 4 (Bau- und Liegenschaften der Universität) ein Treffen statt, eingeladen sind die damalige Institutsdirektorin Prof. Dickel, Prof. Müller, der Direktor des Instituts für Materialforschung, und Vertreter:innen des Dezernats. Bei dem Treffen soll es darum gehen, eine Lösung für das Problem am Haupteingang zu finden. Schon da steht seitens des Dezernats 4 ein Zaun als Lösung im Fokus. Dickel informiert den Institutsrat der Geographie über das Vorhaben des Dezernats. Auf der folgenden Institutsratssitzung wird intensiv diskutiert, die einen sind mit dem Zaun einverstanden, die anderen fordern eine sozial verträglichere Lösung. Bei den Materialforscher:innen scheinen die Positionen indes klarer: Der Zaun soll es werden. Das Problem mit einer Videoüberwachung am Eingang zu lösen, wird von beiden Seiten ausgeschlossen. In der Sitzung geht es nicht nur darum, den Zaun abzunicken, es besteht auch die Möglichkeit, alternative Verbesserungsmaßnahmen zu formulieren. Trotz der immer wieder geäußerten und gut begründeten Kritik am Zaun kommt bis zum Schluss kein belastbarer Gegenvorschlag zustande. Protokolliert wird jedenfalls keiner.
Widerstand formiert sich
Die Fachschaft, auch im Institutsrat vertreten, stört sich ebenfalls an der Idee. Seit der Pandemie sind die Türen am Haupteingang ohnehin abgeschlossen und bleiben es zum Frust der Fachschaft auch mit den ersten Lockerungen. Begründet wird die weiter anhaltende Sperrung des Haupteingangs damit, dass eine Lösung kurz bevorsteht. Der FSR sammelt Unterschriften gegen den Plan, einen Zaun zu errichten. Am Ende finden sich 104 Unterstützer:innen auf der Liste wieder, was gut 12 Prozent der Geographiestudierenden sind. Die Beteiligung ist für hochschulpolitische Umstände hoch und gleicht in etwa der an den Gremienwahlen. Doch diese Liste hat es laut Dickel nie in den Institutsrat geschafft, das bestätigt auch der amtierende Institutsratsvorsitzende Roland Zech.
Nach einem weiteren Treffen zwischen dem Otto-Schott-Institut, der Geographie und dem Dezernat 4 geht es Schlag auf Schlag. Das Dezernat beginnt mit der Planung und entwirft den Zaun, wie er heute zu sehen ist. Allerdings wird dabei darauf verzichtet, die Entwürfe mit den Instituten zu teilen und den Wünschen und Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Grundgedanke ist scheinbar nur, die Treppe für Fremde unzugänglich zu machen, Sorge und Kritik werden nicht berücksichtigt. Dieser Leitgedanke findet seine Form in den massiven Streben, aus denen sich die Zaunelemente zusammensetzen, und den spitzen Zacken auf den oberen Querstreben.
Trotz der immer wieder geäußerten und gut begründeteten Kritik am Zaun kommt bis zum Schluss kein belastbarer Gegenvorschlag zustande.
Mit dem Errichten des Zaunes Ende November 2022 kehrte keine Ruhe in die Diskussion ein. Im Gegenteil: Immer wieder kam es zu Provokationen zwischen beiden Parteien. Drei Tage nach der Installation hingen erste Protestplakate an den neuen Gittern und der Hebel zur Notentriegelung wurde des Öfteren umgelegt.
In einer Rundmail an die Mitglieder der Fakultät wurden die „oberschlauen Zeitgenossen“ aufgefordert, den „Unsinn“, „besonders mutig ihren Standpunkt“ zu vertreten, umgehend zu unterlassen. Aber der Protest hielt an. Auf weiteren Schildern stand „Halt! Sie verlassen den akademischen Sektor!“, oder „Und hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen Sie die Grenzen der Empathie!“ Tatverdächtig war sofort die Fachschaft, was eine spontane Durchsuchungsaktion der FSR-Räume durch Personen der Materialforschung auslöste. Nach der Durchforstung folgte wieder eine Rundmail, gespickt mit Bildern aus dem FSR-Raum. Eine Akrützel-Anfrage ans Rechtsamt ergibt, es „liegt kein Grund vor, der das eigenmächtige Betreten des FSR-Büros hätte rechtfertigen können“ und dass die Person durch „das konkrete Vorgehen seine Kompetenzen in dieser Hinsicht überschritten hat“. Das Bewusstsein für diese Überschreitung schien in dem Moment zu fehlen, stattdessen folgte in bevormundendem Ton die Aufforderung an die Fachschaft, sich in ihrer Arbeit mit sinnvolleren Dingen wie „Ordnung und Sauberkeit“ zu beschäftigen.
Komplexe Probleme, einfache Lösung
Der Zaun steht, das Problem bleibt. Nicht die Pöbeleien und die Exkremente bleiben, diese hält das Gatter wie gewünscht fern. Was fehlt, ist Beteiligung. Mit fortschreitenden Planungsprozessen und der abnehmenden Möglichkeit an Einflussnahme steigt für gewöhnlich das Interesse an Engagement. Das ist ein in der Raumplanung durchaus bekanntes Problem und mit Sicherheit auch dem Dezernat 4 bewusst. Es verwundert daher, dass die Geographie als Wissenschaft vom Raum ihre eigenen Lehren links liegen lässt.
Die gesamten Abläufe zeugen von einem gewissen Dilettantismus. Es bleibt für die Öffentlichkeit unklar, wer für die Planung verantwortlich ist und woher die Legitimation stammt. Gegenvorschläge konnten eingereicht werden, aber offen blieb, an wen genau und wer letztendlich die Auswahl der eingebrachten Vorschläge trifft. Es wurde auf individuelles Engagement gesetzt und die Öffentlichkeit um den Prozess weitestgehend gescheut. So kam es, dass sich eine bereits feststehende Vision durchsetzen konnte.
Es verwundert daher, dass die Geographie als Wissenschaft vom Raum ihre eigenen Lehren links liegen lässt.
Dem Dezernat 4 als Fachstelle der FSU für Bauen und Planen hätte ein solch unsauberes Vorgehen nicht unterlaufen dürfen und es ist daher von der Kritik nicht auszunehmen. Es bleibt unklar, warum nicht zuerst ein Sicherheitsdienst mit regelmäßigen Kontrollen beauftragt wurde, Streetworker zur Vermittlung engagiert oder das Familien-, Bildungs-, und Sozialdezernat der Stadt zur Beratung hinzugezogen wurde.
Der Zaun wird vorerst stehen bleiben und damit auch das Konfliktpotenzial. Ein klärendes Gespräch zwischen dem FSR und den Instituten soll die Wogen glätten und unterstreichen, dass Durchsuchungen nicht das Mittel der Wahl sind. Für das Dezernat 4 wäre es nach den Ereignissen sicherlich eine gute Überlegung, auch für Bauprojekte, die die Öffentlichkeit vermeintlich nicht betreffen, Partizipations- und Informationsstrukturen zu entwickeln, um die gemachten Fehler in Zukunft zu vermeiden.