Angekreidet

Pfeifen, Schnalzen, Kussgeräusche. Für viele Frauen gehören übergriffige Kommentare in der Öffentlichkeit zum Alltag. Strafrechtlich ist das nicht relevant, deshalb hat es sich eine Initiative zur Aufgabe gemacht, auf diese aufmerksam zu machen.

von Pauline Schiller und Henriette Lahrmann

Sexuelle Belästigung sichtbar machen. Foto: Pauline Schiller

Mit gelber Kreide in der Hand kniet Jana-Sophie Niegisch auf dem nassen Boden der Haltestelle Universität und schreibt die letzten Buchstaben des Catcalls an. Dort hatte vor kurzem ein Mann eine Frau angehupt und ihr hinterhergerufen. Es ist die erste Nachricht, die Jana heute auf die Straße schreibt; zwei weitere werden im Laufe des Nachmittags folgen. Jana gehört einer Gruppe von etwa 30 Mitgliedern an, die unter dem Namen catcallsofjena zugeschickte Erfahrungen mit Catcalling oder sexueller Belästigung anonym ankreiden und anschließend auf Instagram posten. Mit dem Ankreiden will die Gruppe um Jana
den Betroffenen zeigen, dass sie mit ihrer Erfahrung nicht alleine sind. Außerdem will man den Tätern zeigen, dass ihr Verhalten belästigend ist.

Catcalling ist, wenn meist Männer im öffentlichen Raum anderen Personen mit übergriffigen Kommentaren, Kuss- und Pfeifgeräuschen bedrängen. Überwiegend sind Frauen, aber auch Personen aus der LGBTQIA+ Community betroffen. Es ist eine Form der verbalen sexuellen Belästigung. In Deutschland stellt es allerdings keinen eigenen Straftatbestand dar und kann bestenfalls als Beleidigung geahndet werden. Betroffene Personen sind Catcalling somit – zumindest rechtlich – ausgeliefert.

Gegen das Patriachat

Nachdem Jana den Hashtag „stopptbelästigung“ und den Instagram-Namen unter den angekreideten Catcall geschrieben hat, macht sie ein Bild, um es später auf Instagram posten zu können. Der seit einem Jahr bestehende Account beinhaltet mittlerweile 76 Beiträge – 76 dokumentierte sexuelle Belästigungen. Nur ein Mal war der Täter kein Mann. „Es ist ein Sexismusproblem, das ist Fakt“, so Jana. Alle zwei bis drei Wochen kommt ein neuer Beitrag hinzu. Mit 150 weiteren Accounts gehört der Instagram-Kanal zur Bewegung Chalk Back.

Eine Nachricht, die sexuelle Gewalt berichtete und sie lange mitgenommen hat, bleibt Jana bis heute im Gedächtnis. Es war ihre erste Nachricht, die einen sexuellen Übergriff beschrieb. Für Jana war das der Auslöser dafür, ein Highlight auf ihrem Instagram-Account zu erstellen, das Hilfetelefone und Anlaufstellen für Betroffene von sexueller Gewalt umfasst.

Warum fühlen sich viele Männer von den Aktionen angesprochen?

Im Stadtzentrum, so auch in der Johannisstraße, halten es alkoholisierte Männer oft für nötig, weiblich gelesenen Personen sexualisierte Kommentare oder Laute hinterherzurufen. Hier hat im zweiten Cat-
call, den Jana heute ankreiden wird, ein Betrunkener eine Frau mit den Worten “Hallo Schatz” belästigt. Der Gehweg ist nass, weswegen Jana eine alternative Stelle sucht. Sie entscheidet sich für den Durchgang zwischen Krautgasse und Ernst-Abbe-Campus. Dort würden sie regelmäßiger ankreiden.

„Das könnte ich gewesen sein“, kommentiert ein passierender Mann lachend. Andere laufen einfach drüber. Für Jana ist die Reaktion des Mannes keine Überraschung, dennoch fehlen ihr in diesem Moment die Worte. Gelegentlich wird die Arbeit von ihr und ihren Kolleg:innen kommentiert. Jedoch würden die entstehenden Gespräche meist gut laufen. Viele fänden das Ankreiden sinnvoll. Manchmal wird dann doch einer patzig. Jana fragt sich in diesen Momenten, warum sich viele Männer persönlich von den Aktionen angesprochen fühlen. Denn oft beziehen Männer die Kritik auf sich selbst. „Blöde Kommentare kommen von Leuten, denen ich Belästigung auch zutrauen würde“, merkt Jana an. Nicht ohne Grund gehen die Mitglieder von catcallsofjena immer gemeinsam ankreiden. Bis jetzt sei aber noch nie etwas passiert.

Während Jana weiter über den Campus läuft, entscheidet sie sich im Übergang zum Leutragraben, den letzten Catcall anzukreiden. In diesem Fall schickte ein Mann einer Frau ungefragt Dickpics und forderte
sie auf, ihr ebenfalls Nudes zu schicken. Als sie das nicht tat, beleidigte er sie als „Schlampe“ und „fette Sau“.

Jana zieht einzelne Buchstaben nach, die Kreidegrafitur ist fertig. Ein Mann bleibt spontan neben ihr stehen und liest aufmerksam die Nachricht, als er fertig ist, schaut er kurz erschrocken. Auch sexuelle Übergriffe wie die letzte Nachricht, würden immer wieder vorkommen. „Gerade die kleinen Dinge, die manche schicken, sind wichtig vor Augen zu führen“, erzählt Jana. Solange es jedoch kein Gesetz gibt, das Catcalling als Form verbaler sexueller Belästigung anerkennt und strafbar macht, müssen weiterhin Initiativen wie catcallsofjena aktiv werden und die Kreide in die Hand nehmen.

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