„Liebe brennt wie ein nasser Lappen”

Was passiert, wenn sechs Schauspieler:innen und ein israelischer Regisseur gemeinsam ein Stück
entwickeln? Sie denken Theater neu. Eine Rezension.

von Elisabeth Bergmann

Kafkaesk? Foto: Joachim Dette

„Das erinnert mich an eine Geschichte von Kafka”, sagt die junge Frau in violetter Kampfmontur, während sie sich gemeinsam mit vier weiteren Gestalten über ein Grab beugt. Vor wenigen Augenblicken wurde dort ihre Kollegin in einem Sarg hinabgelassen, nachdem sie von den anderen Figuren gejagt, verstoßen und einem einsamen Tod überlassen worden war.

Und tatsächlich gibt es in Liebe brennt wie ein nasser Lappen, das am 05. November am Theaterhaus Jena Premiere feierte, einige Parallelen zu den Werken Kafkas. Teilweise sind sie sehr offensichtlich, wie die Verwandlung einer Schauspielerin in eine Kakerlake, ihre darauffolgende Vertreibung und schließlich der Tod. Oder etwa die Omnipräsenz des Tierischen, welches sowohl den Menschen auf der Bühne als auch dem Publikum innezuwohnen scheint. Aber auch sonst zieht sich ein kafkaeskes Unbehagen und eine immer wieder neu geweckte Unsicherheit durch den eineinhalbstündigen Abend.

Das Publikum wird herausgefordert und teilweise auch überwältigt.

Wie alles an diesem Stück ist auch der Anfang verwirrend. Musiker:innen mit Tierköpfen geben ein grausiges Konzert und spielen sich in Rage, eine Zauberin und eine Kämpferin treffen sich im Abendgrauen und sprechen über ihre Träume. Das alles spielt vor einer Kulisse, die mit großen Mengen an Nebel und einer auf eine Leinwand projizierten Zeichnung einer mittelalterlichen Stadt dazu beiträgt, dass man sich wie in einem fürchterlichen Fantasyfilm fühlt.

Doch kaum stellt man sich entnervt die Frage, ob es nun wohl den ganzen Abend so überzeichnet und … nun ja, schlecht, weitergehen soll, bricht die vierte Wand und die Schauspielenden fallen aus ihren Rollen. In diesem Stück wird gespielt – mit den Mitteln und Klischees des Schauspiels, mit dem Publikum, der Unsicherheit, mit Brüchen und damit, was Theater eigentlich sein soll.

Immer wieder wird Spannung aufgebaut, nur um sie dann sofort wieder zu brechen. Das Publikum wird herausgefordert und teilweise auch überwältigt. Die Metaebene ausgereizt und Grenzen ausgetestet. Es ist cringe und unbequem.

Alles, was an diesem Abend auf der Bühne geschieht, ist zyklisch. Nicht nur die Bühne bewegt sich im Kreis und zwingt die Darstellenden dazu, in ständiger Bewegung zu bleiben, auch die Handlung folgt dem immer gleichen Muster und einzelne Intervalle wiederholen sich in regelmäßigen Abständen. Ein kurzer Abschnitt, in dem die Schauspielenden einen Teil der Handlung rund um die zur Kakerlake mutierten Schauspielerin darstellen, wird durchbrochen von Rufen nach einem Abbruch des Abends und der Bitte, alle mögen doch bitte den Saal verlassen. Ein Darsteller spricht auf einmal davon, dass wir unserem Inneren näherkommen müssen, macht Atemübungen und versucht, das vielleicht etwas zu deutsche Publikum dazu zu animieren, wilde Tiergeräusche aus sich herauszuholen. Dann wird getanzt, Zaubertricks mit Nüssen werden aufgeführt und alles verfällt zu Chaos, bevor die Handlung dann doch weitergeht.

Von Brüchen und dem Spiel mit der Realität

Insgesamt überzeugt der Abend durch sein Spiel mit Erwartungen und seinen Brüchen. Dadurch, dass man sich als Zuschauer:in äußerst unangenehm berührt und überfordert fühlt und nicht mehr zwischen Realität und Spiel unterscheiden kann. Die hervorragende Schauspielleistung bringt einen dazu, Theater an sich zu hinterfragen und die Rolle des passiven Publikums zu verlassen. Irgendwann beginnt man allerdings, das System zu durchschauen und die ewigen Spannungsbögen funktionieren nicht mehr ganz. Auch das Austesten der Grenzen eines Theaterabends wird nicht immer in seiner Gänze genutzt. Spannend wäre es gewesen, zu sehen, wie weit es gehen kann und wie viel blindes Vertrauen das Publikum den Anweisungen und Aussagen der Schauspielenden schenkt. Doch eines erreicht dieser Abend zweifellos: Er sorgt für Gesprächsstoff und viele offene Fragen. Und vielleicht ist es ja gerade das, was einen hervorragenden Theaterbesuch ausmacht.

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