Jenaer Mordgeschichten

Für den Tatort hat’s nicht gereicht, doch immerhin einen Thüringenkrimi gibt’s im ZDF
seit letztem Jahr. Unsere Autorin hat ihn unter die Lupe genommen.

von Carolin Lehmann

Wolff auf der Pirsch. Foto: ZDF/Steffen Junghans

Wie in jeder Weltmetropole passieren auch in Jena Verbrechen. In bislang zwei Folgen des vom ZDF als „Thüringenkrimi“ geplanten Formats klärt Theresa Wolff, eine ruppige Rechtsmedizinerin, Morde auf. Im Juli fanden Dreharbeiten für eine dritte Folge rund ums UHG statt. Das muss aber nicht bedeuten, dass die Uni eine Rolle spielt. Schließlich wurden auch in den vergangenen Folgen der Serie Unigebäude munter zweckentfremdet: Das Kommissariat steckte man kurzerhand ins Institut für Anatomie am Teichgraben, die Rechtsmedizin ins Chemische Institut am Steiger.

Kalt wie Eis ist nicht nur der Mord

Auch sonst finden sich hier und da ein paar, nun ja, sagen wir Ungenauigkeiten. So fährt Wolff in derselben Szene zweimal die Stadtrodaer Straße entlang; jedoch einmal stadtein-, einmal stadtauswärts. Ist sie vielleicht kurzerhand umgekehrt? Nein, Theresa Wolff irrt sich nicht. Das Drehbuch zeichnet sie als selbstsichere und emanzipierte Führungspersönlichkeit. Das zeigt sich vor allem in den Zankereien mit ihrem persönlichen Antagonisten, dem Hauptkommissar. In der ersten Folge ist das der mürrische Junggeselle Brückner, in der zweiten der kaltschnäuzige Lewandowski. Beide lassen vom Vorwurf prämenstrueller Launenhaftigkeit bis zur Titulierung als „Fräulein“ kein sexistisches Klischee aus und rasten auch sonst ganz gern mal aus. Doch Wolff lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Tränen gestattet sie sich nur im Geheimen, Ängste offenbart sie lediglich ihrem Vater. Beziehungsweise einer Art Grabstein mit seinem Namen. Die Wolff’sche Ruppigkeit („Emotionen behindern die Ermittlungsarbeit“) wirkt zuweilen etwas übertrieben. Gibt es kein ausgewogenes Maß zwischen unsicherem Heimchen und menschgewordenem Vorschlaghammer?

Überhaupt, wieso ermittelt eine Rechtsmedizinerin? Ist das nicht eigentlich die Aufgabe des Kriminalhauptkommissars? Genau das ist neben persönlichen Beleidigungen ein wiederkehrender Konfliktpunkt zwischen Protagonistin und Gegenspieler – ein aus Tatort & Co bereits bekannter Erzählstrang. Natürlich wird auch das Thema Frauenquote bemüht, wie so oft in öffentlich-rechtlichen Produktionen: „Bin halt keine Frau”, stichelt Theresa Wolffs Kollege Zeidler, nachdem eine Berufungskommission die Leitung der Rechtsmedizin der Berlinerin Wolff anvertraute statt dem Jenaer Urgewächs Zeidler.

Worum geht es eigentlich? In „Home Sweet Home“, der ersten Folge, wird eine Oberärztin tot aus einem schwimmenden Auto geborgen. Brisantes Detail: Der Mann der Toten ist Theresa Wolffs Exfreund. Schlecht verheilte Verletzungen und mysteriöse Bakterien in den Schleimhäuten lenken die Ermittlungen ins nahe Umfeld des Opfers. Im zweiten Fall „Waidwund“ deponiert jemand eine Leiche im Brunnen auf dem Marktplatz (der, das lernen wir hier, offiziell Bismarckbrunnen heißt) und eine weitere vor dem Planetarium. Die Opfer führten einst die Firma Aspiclab (ein Optikunternehmen – welch ein Zufall) und so liegt der Verdacht nahe, dass hinter dem Mord der Racheakt eines ehemaligen Angestellten steckt, der durch die Wende seine Arbeit verlor. Auch hier ist Wolff biographisch mit verwickelt. Sie traut ihren Erinnerungen nicht mehr und glaubt sich schließlich selbst für einen längst vergangenen Mord verantwortlich. Fans des Übersinnlichen kommen auch auf ihre Kosten: Immer mal wieder streifen Wölfe durch die Szenerie, die Wolff sieht oder zu sehen glaubt. Fehlt nur noch, dass sie sich selbst in einen verwandelt…

Warum ermittelt eine Rechtsmedizinerin?

Neben diesen etwas unrealistischen Zügen schafft es der ZDF-Krimi dennoch, Spannung aufzubauen und gleichzeitig ernste Themen anzusprechen: Gewalt gegenüber Beziehungspartner:innen und pflegebedürftigen Angehörigen, die Verlusterfahrungen vieler Ost-Arbeiter:innen nach der Wende, während sich ihre ehemaligen Chefs die Taschen füllten. Dazwischen nimmt die Kamera die Zuschauenden mit auf Drohnenflüge über die Stadt, Lobedas Betonschluchten, einen Teich bei Stadtroda und Wald, viel Wald. Erfrischend auch, dass die Standard-Sehenswürdigkeiten Jentower, Paradiespark und Fritz Mitte mal beiseite gelassen wurden. Man darf gespannt sein, ob mit der dritten Episode auch der dritte Hauptkommissar kommt und ob sich Wolff mit dem ausnahmsweise mal versteht.

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