Future ohne Fridays?

Um die einst laute Jenaer Klimabewegung ist in letzter Zeit erstaunlich still geworden. Was ist passiert? Drei Initiativen im Gespräch.

von Carolin Lehmann

Wo sind denn alle hin? Foto: Lukas Hillmann

Will man sich einen Überblick über die Klimabewegung in Jena verschaffen, findet man sich in einem dichten Dschungel einzelner Initiativen, Bündnisse und Zusammenschlüsse wieder: Klima- und Radentscheid, diverse For-Future-Gruppen, Greenpeace und das Klimanotstandszentrum sind nur einige davon.

Vincent Leonhardi vom Runden Tisch Klima und Umwelt (RTKU) ist von all diesen Initiativen am nächsten dran am Jenaer Stadtrat: Der RTKU entsendet drei Mitglieder in den Klimabeirat der Stadt, der wiederum Beschlussvorlagen für den Stadtrat erarbeitet. Die bekannteste der Vorlagen dürfte der Vorstoß zu einer autofreien Innenstadt sein, der zu einer kontroversen Diskussion im Stadtrat führte und nur stark abgeschwächt – auf dem Löbdergraben gilt jetzt Tempo 20 statt 30 – umgesetzt wurde. Der Grund: Die Mehrheit in Ausschuss und Stadtrat sei pro Auto, so Leonhardi. Die Konsensfindung gestalte sich schwierig, viele Fraktionsmitglieder fehlten bei den Sitzungen.

Wenn Sachverständige aus dem RTKU wie ein Energieberater Mühe in eine Beschlussvorlage steckten und diese dann vom Stadtrat abgelehnt werde, sei das „ziemlich unschön“, findet der Student. Das führe zu Frust und folglich zu weniger Engagement im Gremium. Dennoch verbucht er die verkehrsberuhigte Zone als „kleinen Erfolg“. Vier Jahre nach den ersten Demonstrationen von Fridays for Future sei jedoch Ernüchterung eingetreten: „Man hatte schon viel erreicht, aber in vielen Bereichen wurde nicht auf die Bewegungen gehört, sondern einfach weitergemacht und die Menschen ignoriert.“ Das habe die Bevölkerung auch zum Klimaentscheid letztes Jahr motiviert, vermutet Leonhardi.

Wie alles anfing

Damit widerspricht er dem Eindruck, die Jenaer:innen interessierten sich nicht (mehr) fürs Klima. Wie sieht es damit bei den Studierenden aus? 2019 veranstalteten die Students+ for Future (S+FF) die erste Public Climate School und eine Studierendenvollversammlung mit 1300 Teilnehmenden, bei der Forderungen für eine nachhaltigere Uni formuliert wurden. Die sechste Public Climate School dieses Jahr verzeichnete deutlich weniger Zulauf als am Anfang. Das mag zum einen an anderen aktuell brennend wichtigen Themen liegen, die größere Aufmerksamkeit bekommen, zum anderen an der Haltung der Institution Uni zu Nachhaltigkeitsbestrebungen: S+FF-Mitglieder berichten von wenig Unterstützung durch die Unileitung und schlechter Kommunikation.

Seit es eine AG Nachhaltigkeit im Senat sowie ein Green Office gebe, bekomme man nicht mehr viel mit davon, was uniintern passiere. Protokolle aus den Senatssitzungen dürfen nicht veröffentlicht werden, was die Nachvollziehbarkeit der Beschlüsse zur Umsetzung der Forderungen von 2019 erschwere. Hier hätten die Klimainitiativen den Anschluss verloren, räumen die Students+ ein.

Corona drückt dem Aktivismus die Luft ab

Gut vernetzt sind sie, die vielen Jenaer Initiativen. Das zeigte sich nicht zuletzt beim Parking Day 2020: Zahlreiche Klimabündnisse besetzten sonst Auto-dominierte Flächen wie Straßen und Parkplätze mit Picknicks, Malaktionen und Ständen. Man kennt sich untereinander: Leonhardi selbst war bei FFF, ein S+FF-Mitglied sitzt im RTKU. Auch von Lehrenden und dem Studierendenwerk komme Unterstützung, erzählen die S+FFler. Die Entscheidungsträger der Uni jedoch bremsen laut S+FF und Umweltreferat.

Teure Vorhaben wie Gebäudesanierungen hätten gegenüber günstigen Einmal-Maßnahmen wie der Einführung von Ecosia als Standardsuchmaschine kaum Chancen, umgesetzt zu werden. Geht es um konkrete Forderungen, verweist die Unileitung gern auf das Green Office und die AG Nachhaltigkeit. Die Angestellten in beiden Gremien sind jedoch massiv überlastet. Die Uni umformen, wie es das ursprüngliche Ziel von S+FF war – das schafft man eben nicht mit einer Handvoll studentischer Aushilfen und ein paar Palettenmöbeln auf dem Campus.

Gelitten hat die Klimabewegung wie wir alle unter der Corona-Pandemie. Online arbeitet und quatscht es sich deutlich schlechter, viele Ideen mussten auf Eis gelegt werden. Nach und nach dünnten die Gruppen aus. Auch nach der Pandemie blieb der große Ansturm Interessierter aus, erzählen Vertreterinnen des Umweltreferats. Etablierte Veranstaltungen wie der allseits beliebte Kleidertausch fielen aus, Posts auf Instagram erreichen inzwischen kaum mehr neue Menschen.

Die Stille könne auch an dem häufig zu beobachtenden Schicksal ehrenamtlicher Gruppen liegen, wie es Alessa von S+FF beschreibt: Auf die Gründung und eine Phase begeisterter Aktivität folgt der Rück- und Wegzug vieler Aktiver, schlussendlich versandet die Initiative.

Mit dem Abschluss des Studiums ist dem Engagement so von vornherein ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufgeprägt. Das Umweltreferat besteht zurzeit aus drei Mitgliedern. Große Aktionen lassen sich so nicht stemmen.

Von der Straße ins Gremium

Es ist ein paar Jahre und verschiedene Krisen her, dass sich jeden Freitag Menschenmengen durch die Städte bewegten und lautstark zum Handeln gegen den Klimawandel aufriefen. Dass man nun nicht mehr so viel mitbekommt von der Klimabewegung liegt auch an der Formalisierung, meint Leonhardi.

Gremien wie der Runde Tisch seien weggekommen von der Straße, wo sie laut und sichtbar waren. „Trotzdem glaube ich, dass die Klimabewegung weniger tot ist, als sie manchmal scheint.“ Außerdem sei die Bevölkerung progressiver als der Stadtrat. Es herrsche ein Bewusstsein dafür, wo extreme Hitzesommer und Waldbrände herkämen.

Sollte der Klimaaktionsplan, der diesen Herbst vom Stadtrat beschlossen werden soll, nicht das Ziel erreichen, Jena bis 2035 klimaneutral zu machen (eigentlich auch ein Beschluss des Stadtrats), wollen RTKU und Klimaentscheid wieder mobil machen und Mehrheiten abseits des Stadtrates suchen. Bleibt zu hoffen, dass nicht bald die nächste Krise um die Ecke kommt, die der Klimakrise den Rang abläuft.

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