Zum Glück sind wir uns einig

Die FSU ist im Wandel. Die Zukunftswerkstatt, ein partizipatives Projekt, soll eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln. Das Ziel: Klimaneutralität bis 2030. Das kann man kaum schlecht finden. Nachhaltigkeit ist allen schließlich ein Herzensthema. Gut ist das trotzdem nicht.

von Johannes Vogt und Lukas Hillmann

Und was kommt dann? Foto: Lukas Hillmann

Es ist 2019, Deutschland hat einen heißen Sommer hinter sich. Im September gehen über eine Million Menschen auf die Straße. Sie folgen dem Vorbild Greta Thunbergs, die den Freitag zum Streiktag für das Klima erklärt hat. Auch in Jena protestieren tausende Menschen, sie fordern Wandel: „Es gibt keinen Planeten B!“ Die Stimmung auf den Demos steckt an. Es werden Initiativen gegründet, unter anderem die Students+ for Future, die eine Vollversammlung der Studierendenschaft organisieren. An diesem 27. November sind die beiden größten Hörsäle am Campus nahezu voll.

Heute ist die Umweltbewegung in großen Teilen eingeschlafen. Schon lange sind die Straßen freitags wieder frei. Was bleibt, ist das Gefühl, dass es nicht reicht. Die Stimmung von damals zieht aber bis in die Parlamente und Gesetzbücher Thüringens. Es entstehen Institutionen, die den Wandel festschreiben sollen.

Der Druck der Straße erzeugt einen Zwang zur Veränderung, der sich verselbstständigt und am Ende auch ohne ihn auskommt. Jetzt treiben Institutionen und Gesetze die Veränderung voran.

Ein halbes Jahr nach der Vollversammlung gründet der Senat, das höchste Entscheidungsorgan der Uni, auf studentische Initiative eine Arbeitsgruppe, die nachhaltigkeitsbezogene Projekte besser koordinieren soll. 2021 stimmt er der Grundsatzerklärung zur Nachhaltigkeit zu. Die Uni hat nun das Ziel, sich für eine sozial-ökologische Transformation zu rüsten – sowohl nach Innen als auch nach Außen.

Ein Sustainability Consultant

Im selben Jahr gründet die FSU das Green Office, ein zentrales Organ zur Koordination nachhaltiger Ziele. Ein sogenannter Sustainability Consultant soll nun die große sozial-ökologische Wende bringen. Er heißt Robin Muggenthaler, ist nicht viel älter als die meisten Studierenden und könnte, so wie er aussieht, auch ohne Probleme bei einer Holunder-Minz-Limonade in Berlin seine selbstgemachten Sauerteigburgerbuns verkaufen.

Ein sogenannter Sustainability Consultant soll die große sozial-ökologische Wende bringen.

Als Bereichsleiter des Green Office ist er für die gesamte Nachhaltigkeitsstrategie der FSU verantwortlich. Der sozial-ökologische Transformationsprozess soll mit einer Vollzeitstelle koordiniert werden – mit der freundlichen Unterstützung von ein paar studentischen Mitarbeiterinnen.

Die Liste der bisherigen Errungenschaften des Green Office ist deshalb nicht besonders lang. Immerhin ist es verantwortlich dafür, dass die Verwaltung der Uni mit Ecosia sucht und ganz nebenbei Bäume pflanzt. Auch die bunt bemalten Palettenmöbel auf dem Campus sind dem Office zu verdanken.

Ein neues Konzept

Jetzt haben Muggenthaler und seine Mitarbeiterinnen ein Konzept entwickelt, das so demokratisch und partizipativ wie möglich ist: Die Zukunftswerkstatt. Vier Arbeitsgruppen entwickeln zwischen Juni und Juli Strategien für die nachhaltige Entwicklung verschiedener Bereiche der Universität. Die Lehre soll selbst nachhaltig sein und nachhaltige Themen stärker in den Fokus rücken, das gleiche gilt für die Forschung. Das Gebäudemanagement muss Bauprojekte und Gebäude nachhaltig umstrukturieren – bei 120 Gebäuden eine enorme Aufgabe. Und nicht zuletzt sollen die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Getragen wird das Projekt auch vom Senat der FSU. In jeder Arbeitsgruppe beteiligt sich mindestens ein Mitglied des höchsten Gremiums. Zum Ende des Semesters wird sie feststehen, die Nachhaltigkeitsstrategie, und vom Senat beschlossen werden.

Waschen Rosenthal und Muggenthaler grün? Zeichnung: Elena Stoppel

Die Möglichkeit zur Mitarbeit hatte jedes Mitglied der Universität: Studierende, Mitarbeiterinnen, der akademische Mittelbau und sogar Professorinnen waren eingeladen, sich für ihre Lieblings-AG zu entscheiden. Auf viel Resonanz ist dieses Angebot nicht gestoßen, besonders Studierende blieben dem Angebot fern (siehe Akrützel Nr. 420). Zur Auftaktveranstaltung kamen nur 100 Personen, Muggenthaler plante mit 300. Woran das lag, weiß er nicht so recht, vielleicht an der spärlichen Werbung. Im Sommer soll es eventuell noch einmal die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen, damit die Nachhaltigkeitsstrategie von einer breiten Basis unterstützt wird.

Die Ausarbeitung der Strategie soll bis zu ihrer Fertigstellung Ende des Semesters aber erst einmal hinter verschlossenen Türen stattfinden, eine AG-Leitung spricht von einem „geschützten Diskussionsraum“, bei dem „möglichst offen und vertraulich über Probleme und Chancen gesprochen werden kann“.

Ein Methodenfeuerwerk

Schleicht man sich dennoch hinein, wird man von einem vielschichtigen Methodenfeuerwerk begrüßt. Zwischen Murmelrunden, Brainstorm-Sessions und Ideenparkplätzen sammeln die Teilnehmerinnen zuerst ganz allgemeine Ziele, die im Laufe der AG-Arbeit immer konkreter werden sollen. Dabei fließen Vorschläge ein, die im Vorfeld auf digitalen und analogen Pinnwänden gesammelt wurden. Muggenthaler ist stolz auf diese Pinnwände und Padlets. Schließlich wurden hier die meisten Ideen und Beiträge gesammelt.

Eine Kleingruppe der AG Betrieb plant die hybride Verwaltung und Lehre. Der Wunsch dafür wurde in vorherigen Sitzungen geäußert, jetzt gilt es, daraus etwas zu machen. Einige sind heute das erste Mal hier, in den Diskussionen halten sie sich erst einmal zurück. Die Leiterin des Workshops schleicht währenddessen mit erhobenem Zeigefinger durch den Raum und erinnert daran, auch ja etwas aufzuschreiben. Das sei schließlich sehr wichtig für die nächsten Schritte des Konzepts. Gedrängt vom Ideenimperativ sagt die Gruppe schnell dem Papier den Kampf an: Für eine digitale Verwaltungsstruktur! Außerdem müsse man stärker auf intelligente System setzen, Roboter, die Heizungen und Licht kontrollieren. Das würde sich auch finanziell lohnen, rechnet ein Mitglied des Workshops vor.

Ein Arbeitsauftrag

Es wirkt, als wurde eine Sache übersehen: Der Ausgangspunkt der Arbeitsgruppen sind spontane Einfälle von Personen, die zufällig an einer Pinnwand vorbeigelaufen oder in eine Kleingruppe geraten sind. Was für die Ideengeberin eine Sache von wenigen Sekunden ist, wird für die AG zum mehrstündigen Arbeitsauftrag. Sie müssen diese Sammlungen nun ordnen, clustern, priorisieren.

Am Ende der Arbeitsphase fällt die Maske. Nachdem die gesammelten Ideen erneut wiederholt wurden, platzt einer Teilnehmerin der Kragen. Sie wisse nicht, wohin dieser Prozess führen soll, ihr fehle die Linie. Ein hohes Mitglied des Senats erklärt, dass viele Schritte gar nicht gegangen werden können, weil es rechtliche Schranken gebe, und es kommen Zweifel daran auf, ob der Prozess überhaupt demokratisch ist. Schließlich hat das letzte Wort noch immer der Senat. Die Probleme werden nicht bis zum Ende ausdiskutiert.

Als die Zeit des Workshops schließlich vorbei ist, haben die Teilnehmerinnen die Möglichkeit, Feedback zu geben. Auf einer Zielscheibe können sie mit einem Sticker ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen.

Was der AG-Arbeit fehlt, ist eine Basis. Es gibt keine ausreichenden Informationen über die Klimabilanz der Universität. Darüber, welche Stellschrauben es gibt, wo man zuerst ansetzen muss und was man auf später verschieben kann. Jetzt stehen am Ende Ziele, von denen niemand weiß, wie man sie erreicht und warum sie überhaupt verfolgt werden.

Ein entfremdeter Diskurs

Die Zukunftswerkstatt wurde von einer Rede des Universitätspräsidenten eröffnet, in der er deutlich machte, wie wichtig ihm und dem gesamten Präsidium Nachhaltigkeit sei. Ein echtes Herzensthema, schon seit seiner Jugend. In den Arbeitsgruppen wird dieses ehrliche Engagement zu kurzsichtiger Verantwortungslosigkeit. Man kann nur verrückt werden bei der Präsentation der vermeintlichen Lösungen der Zukunftswerkstatt: Hybride Lehre! Autofreie Anfahrt zur Langen Nacht der Wissenschaften! Papierlose Verwaltung! Intelligente Systeme!

Die Zukunftswerkstatt erzeugt sich selbst und kapselt sich dadurch von der Realität ab. Es wird nicht diskutiert, was die Rolle der Universität in einer sozial-ökologischen Transformation sein könnte. Letztlich geht es darum, Ideen zu managen, die mit der Realität der Klimakrise kaum etwas zu tun haben. Die Uni könnte stattdessen ein Treiber dieser sozial-ökologischen Transformation sein. Dafür müsste sie aber aufhören, sich selbst hinters Licht zu führen. Die kleinen Schritte gehen vielleicht in die richtige Richtung, aber das macht sie noch nicht gut. Nämlich dann nicht, wenn sie verhindern, dass die eigentliche Frage gestellt wird: Wie schaffen wir die gesellschaftliche Wende?

Daran müsste die Universität Tag und Nacht arbeiten. Sozialwissenschaften müssten Transformationsprozesse erforschen, Wirtschaftswissenschaften alternative Formen des Wirtschaftens entdecken und Naturwissenschaften an erneuerbaren Energiequellen forschen. Stattdessen suhlt sich die Uni in ihrem eigenen Gewissen. Sie weigert sich damit, ihre Verantwortung anzunehmen.

Damit sind wir wieder beim Anfang. Schlecht ist das alles nicht. Jeder Schritt in die richtige Richtung ist wichtig. Gut ist das trotzdem nicht. Solange nicht, bis wir verstanden haben, dass kleine Schritte notwendig, aber nicht ausreichend sind. Schade eigentlich.

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