Cannabis – Opium des Volkes oder Symbol der Freiheit?

Eine kritische Betrachtung der Cannabisfreigabe und eine andere Perspektive auf Drogen.

ein Kommentar von Sinan Kücükvardar

It’s 420 somewhere. Foto: Lukas Hillmann

Transparenz ist unablässig: Ich bin gerade ziemlich high, ein bisschen stoned, sehr abgespaced und dicht wie ein U-Boot. Das geschmeidig gedrehte Papier – in seinem Innern ein Gemisch aus Tabak und Cannabis – leckte ich an der vorgesehenen Stelle mit einem erotisch angehauchten Zug ab und formte gefühlvoll die Tüte, den Joint, den Bubatz, die Dröhntante, den Torpedo.

Mein Cannabiskonsum besteht nicht nur aus dem bloßen Inhalieren, sondern wird ritualhaft durchgeführt – er ist schön. Am liebsten sitze ich an der Saale, betrachte die tanzenden Spiegelungen der Sonne in den kleinen Wellen des fließenden Wassers und denke darüber nach, wie in jedem Augenblick ein paar Menschen in blauen Kostümen mir das Baumeln meiner Seele vermiesen könnten. Ach, herrlich, staatlich legitimierte Mafiamethoden und absurde Zustände.

Aber zum Glück nicht mehr lange: Die Ampelkoalition versprach großtönig den freien privaten Konsum. Bald soll ich mir mein Gras in einem Laden kaufen können und gleichzeitig Steuern zahlen. Toll! Klar, dann muss ich mir auch nicht mehr durch gesetzlichen Zwang wahrscheinlich gestrecktes Marihuana holen, aber dafür werde ich sicher nicht dankbar sein.

Verrückte Welt

Doch was ist unter der sehnlichst erwarteten Freigabe zu verstehen? Gerade ist der Besitz noch strafbar, der Konsum ist es nicht. Letzteres ist ohne das erste nur schwer zu vollziehen, wenn man sich dazu entscheidet, aus Genusszwecken zu kiffen. Die Bundesregierung hat nun Initiative ergriffen und möchte die „kontrollierte Abgabe“ der Droge in „lizensierten Geschäften“ ermöglichen.

Gerade scheint der Enthusiasmus allerdings gedämpft, da von einer Obergrenze von 20 bis 30 Gramm der Droge öffentlich die Rede ist, während Tetrahydrocannabinol (THC) weiterhin in Anlage I des
ersten Paragraphen des Bundesbetäubungsmittelgesetzes gelistet verbleiben wird. Aber 23 Masthähnchen pro Quadratmeter Stall sind in Kurzmast legal. Verrückte Welt! Von einer Zunahme an Freiheit kann also nicht die Rede sein, vielmehr werden die Ketten ein bisschen gelockert, an welche wir gebunden uns durch den Alltag bewegen.

Für eine neue Drogenkultur

Mit beiden Augen geschlossen sind es gute Aussichten und eine reale Verbesserung, gesellschaftlicher Fortschritt bleibt allerdings leider aus und der ideologische Status quo wird aufrechterhalten: Drogen und ihr Konsum gelten weiterhin als sündhaft und ein Hauptargument für die Freigabe von Cannabis ist wirtschaftlich konnotiert. Dies zeigt, wonach wir hier urteilen.

Was wir brauchen, ist ein offener Diskurs über Drogen: Welche Rolle sollen sie in unserer Gesellschaft spielen? Ist eine Welt ohne Drogen realistisch und wollen wir sie überhaupt? Wir brauchen eine neue Drogenkultur.

Denn in bewusstseinserweiternden und -betäubenden Drogen steckt ein Potential und die Vorstellung einer Welt, in der Drogen einen kulturellen Wert haben, wirkt traumhaft: rituelle Einnahmen in kleinen oder großen Kollektiven mit orgiastischen Resonanzerfahrungen, spirituelle Reisen, in welchen die eigene Existenz transzendiert wird, oder philosophische Ausarbeitungen durch das Erhalten neuer Perspektiven. Bewusstsein ist Freiheit und ein aufgeklärter Konsum wirkt kathartisch, Ekstase ist Kunst. Damit sind nicht „ehrenlose Besäufnisse“ gemeint, sondern Entfesselungen der menschlichen Natur dort, wo die Strukturen aufgelöst werden, welche das Denken und individuelle Leben sonst beeinflussen.

Dies wäre eine Welt, in der Drogen nicht mehr der Weltflucht dienen, um dem durch Ausbeutung und Überarbeit durchdrängten Alltag zu entkommen, eine Welt, wo wir verstünden, dass Sucht und Depression gesellschaftliche Probleme sind. Drogen könnten dabei helfen, die Welt wieder zu verzaubern – aus der rationalisierten Umwelt eine lebende zu machen, in die wir emotional eingebunden sind. Das bedeutet nicht Verblendung oder ein Rückschritt in archaische Zeiten, sondern eine höhere Form von Bewusstsein darüber, dass wir Teil eines Organismus sind.

Wir existieren in einem fragilen System, das unser gerichtetes Bewusstsein verlangt, wenn wir in ihm agieren. Sensibel und rücksichtsvoll müssen wir handeln, und wenn man mal LSD genommen hat, versteht man auch, was das hinsichtlich der Welt bedeutet.

Immer wieder die alte Leier

Über so viel wird nicht gesprochen. Im jetzigen Diskurs geht es allein um Steuern, einen Standortvorteil und wirtschaftliche Genüsse, es geht richtigerweise darum, dass das Gesetz nicht mehr die konkrete Zukunft einer Kifferin zerstört, und darum, dass Cannabis kein Brokkoli ist. Dabei wird die teuflische Droge außerhalb des kulturellen und sozialen Rahmens betrachtet: Die Gewerkschaft der Polizei reagierte mit abstruser Angstmacherei auf den Koalitionsvertrag und mit eigentlich längst überholten Dogmen.

Ihr Lieben, der Grund für Drogenmissbrauch liegt meist in den gesellschaftlichen und sozialen Umständen der Suchtkranken und nicht in der freien Entscheidung des zu verhaftenden Bösen. Niemand ignoriert Gefahren, wir brauchen aber auch nicht die Rute von Papa Staat, sondern eine ehrliche Aufklärung und das Gespräch darüber, wie wir Suchtbedingungen als Gesellschaft bekämpfen können.

Die anvisierte Legalisierung von Cannabis ist ein gutes Beispiel für die These, dass dann und nur dann liberale politische Entscheidungen im Kulturellen getroffen werden, wenn sie nicht die autoritäre wirtschaftliche Ordnung des bestehenden Finanz- und Monopolkapitalismus gefährden.

Letztendlich ist Gras nur das Zuckerbrot zur Peitsche, mit der uns die Revolution aus dem Leibe getrieben wird.

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