Driving Home for Christmas

Was tun bei Stammtischparolen am Küchentisch? Hier findet ihr ein paar Tipps, mit denen ihr leichter über die Feiertagsdiskussionen kommt.

von Pauline Brückner und Stephan Lock

Wir alle kennen diesen Onkel, der nach dem fünften Eierpunsch das Bedürfnis nicht unterdrücken kann, die eigenen Ansichten über Veganismus, Klimakrise und die politische Lage der Nation zum Besten zu geben. Es soll schließlich besinnlich werden: Plätzchenbacken, Weihnachtslieder – ein Glück, dass wir uns diese Weihnachten wieder alle sehen können.

O du fröhliche… Foto: Lukas Hillmann

Aber wo Menschen aufeinandertreffen, die mehr Gene als Überzeugungen teilen, kann es schnell ungemütlich werden. Was also tun, wenn ich in einer Diskussion anderer Meinung bin, aber weder die weihnachtliche Stimmung noch die Beziehung zum Onkel ruinieren will?

1. Take your Time

Oft hat man eine Ahnung, welche Position Familienmitglieder in Diskussionen einnehmen. Und es nervt, dass man immer noch darüber reden muss, ob das mit dem Maskentragen jetzt wirklich sinnvoll in der Pandemie ist. Aber es lohnt sich, die andere Meinung erstmal anzuhören, selbst wenn man weiß, dass man sie nicht teilt.

Zum einen hat das den Vorteil, dass man im Anschluss die eigenen Argumente besser anpassen kann und man so seine Wertschätzung ausdrückt. Zum anderen kann es nach hinten losgehen, sofort dagegen zu reden.

Egal wie ausgefeilt meine Argumente sind, wenn ich mein Gegenüber damit überschütte, besteht die Gefahr, dass die Person dann noch weniger bereit ist, Alternativerklärungen zuzulassen. So banal es klingt: Nimm dir Zeit und hör wirklich zu.

2. Was haben wir gemeinsam?

Wie sollte man sich in Konfliktgesprächen im Familienkreis verhalten? Laut Hans Nenoff, Dozent für Rhetorik an der FSU und Mediator, gibt es kein unfehlbares Schema F, das ausnahmslos zum Erfolg führt. Das Ziel sei nicht unbedingt, die andere Person von der eigenen Meinung zu überzeugen. In Konflikten liegt der Fokus auf dem, was uns trennt.

Aber gerade im Familienkontext lohnt es sich, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu finden, was uns verbindet. Zum Beispiel die Beziehung zueinander, wofür man allerdings die eigenen Emotionen reflektieren und ansprechen muss: Warum löst dieses Thema und deine Meinung dazu so viel in mir aus?

Kommt man zu dem Schluss, dass einem die Person am Herzen liegt, sei das ein wichtiges verbindendes Element, egal wie verschieden die Standpunkte sind.

3. Was ist der Preis?

Häufig werden in Verhandlungssituationen Ultimaten gesetzt, was hier aber eher in eine Sackgasse führt, meint Nenoff. Man müsse sich der Konsequenzen bewusst sein, die es hat, wenn man Drohkulissen aufbaut und sollte mit Weitblick auf die Situation schauen: Wie gehen wir auseinander, wenn wir uns nicht einigen können, und ist es uns das wert?

Durch Konflikte entstehen negative Gefühle, weil das, was wir für die Wahrheit halten, infrage gestellt wird. Wenn sich diese Gefühle auf die Gesprächspartner:innen übertragen, erzeuge das schnell eskalative Entweder-Oder-Szenarien. Oft tritt dann der Kern des Konflikts in den Hintergrund, bis man keine Grundlage mehr für ein konstruktives Gespräch hat.

An dieser Stelle sei es hilfreich, das Gespräch auf der Metaebene zu betrachten und zu fragen: „Wollen wir jetzt wirklich so weitermachen? Brauchen wir Regeln in dieser Unterhaltung? Ab wann hören wir auf zu diskutieren?“ Die Rahmenbedingungen zu klären und Grenzen aufzuzeigen kann verhindern, dass die Situation sich unnötig zuspitzt.

4. Fakten, Fakten, Fakten

„Ein Kollege von mir kennt wen, der…“ Wenn hinter der Aussage keine Ideologie steht, sondern die Person einfach Informationen wiedergibt, die sie irgendwo aufgeschnappt hat, sollte man einen Faktencheck durchführen: Woher kommt die Info? Ist das eine verlässliche Quelle? Wie wird die Situation in anderen Quellen dargestellt?

Fordere konkrete Aussagen. So zeigt sich relativ schnell, ob das Argument wirklich haltbar ist. Ist es wirklich eine gute Idee, für eine seriöse Einordnung des Pandemiegeschehens in die BILD zu schauen? Im besten Fall erkennt die Person dadurch, wo sie sich in Zukunft eher informieren sollte.

5. Worum geht es hier wirklich?

Hinter einer extremen Meinung steht oft eine starke Emotion. Das kennt man zum Beispiel aus Aussagen über die Flüchtlingskrise. Wie kommt es, dass Mittfünfziger, die seit ihrer Jugend im Familienbetrieb arbeiten und noch nie um ihre Anstellung fürchten mussten, sich darüber echauffieren, dass „uns die Ausländer die Arbeitsplätze wegnehmen“?

Der Ursprung solcher Ansichten ist oft die eigene Unzufriedenheit, Ängste oder einfach Verunsicherung, die im Kostüm des besorgten Bürgers nach außen getragen wird. Frag nach, worüber die Person sich in Bezug auf dieses Thema Sorgen macht. Hinterfrage, ob das wirklich etwas mit der individuellen Lebenssituation zu tun hat und wie wahrscheinlich das angedeutete Szenario wirklich ist.

6. “Das hab ich jetzt nicht verstanden”

… hilft besonders bei Stammtischparolen wie „Hast du den Schnee gesehen? Wo bleibt denn die Klimakrise?“ Lass dir solche Aussagen erklären, frag nach, wie sie gemeint sind. Entweder die Person hat selbst noch nicht darüber nachgedacht und ihr wird klar, dass sie das lieber nicht sagen sollte. Oder sie kommt in die äußerst unangenehme Situation, eine offensichtlich sexistische, homophobe etc. Aussage als solche benennen zu müssen.

So oder so erntet sie damit nicht den Lacher oder den bestürzten Blick, der damit provoziert werden sollte. Es kann eine unangenehme Erkenntnis sein, dass die Familie andere Ansichten vertritt und man sie nicht von den eigenen überzeugen kann, aber das muss die Feiertage nicht verderben.

Man kann die querdenkerischen Ansätze des Onkels ablehnen und trotzdem mit ihm Eierpunschtrinken. Das macht einen weder zu einer rückgratlosen Person noch ihn zum Gewinner der Diskussion. Es kann auch einfach bedeuten, dass man Widersprüche manchmal aushalten muss.

Wichtig ist in jedem Fall, populistische Aussagen nicht zu ignorieren, sondern sich mit Betroffenen zu solidarisieren und klarzustellen, dass man dem nicht zustimmt. Und wenn das alles nichts hilft, kann man sich immer noch am Glühwein festhalten und damit trösten, dass man sich erst zu Ostern wiedersehen muss.

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