Der schöne Schein

Bargeld ist vom Aussterben bedroht und eine ganze Generation stirbt gleich mit. Die Eigenarten des Kleingelds und das große Ganze kommentiert Ada Leonie Jabin.

Es wandert von Hand zu Hand; mal kalt und rund, mal flach, leicht und bunt – das Bargeld.
Unsere gemeinsame Währung hat Tradition.
Wir schreiben das Jahr 2021 und befinden uns mitten in einer neuen Debatte. Bereits als die Corona-Krise begann, wurde an vielen Stellen aus vornehmlich hygienischen Gründen um Kartenzahlung gebeten.

Unter diesem Druck erscheint mir jeder Kunde bewundernswert, der in aller Ruhe noch nach dem passenden Kleingeld kramt

Neue Zahlungsmethoden halten Einzug und führen vor allem in eher traditionellen Verkaufsstellen wie Bäckereien zu hitzigen Debatten. Da versuchen es Kunden zuerst mit der Visa, nur um, wenn diese nicht akzeptiert wird, die Smart-Watch zu zücken – wenn dann alle Stricke reißen, holt schließlich der ein oder andere als finale Lösung sein Handy heraus und hält es hoffnungsfroh an das EC-Gerät. Solange, bis ihm dämmert, dass sogar Apple-Pay beim Brötchenkauf an seine Grenzen stoßen kann.

Braucht das noch jeman? Foto: Lukas Hillmann

Nicht selten schaut man in staunende, überraschte und sogar verärgerte Gesichter, wenn keine dieser Methoden funktioniert – das Gerät nimmt nun mal nur die gute „alte“ EC-Karte. Es ist da wählerisch. Ansonsten halt in bar. Hier besteht immerhin die einzige „technische Störung“ darin, dass eine Omi fünf Minuten damit verbringt, nach dem letzten Kupfer zu kramen.

Ein Leben lieber kontaktlos

Fast die Hälfte aller Kunden im Einzelhandel bezahlt inzwischen mit Karte – viele kontaktlos. In Chicago hat Amazon Geschäfte eröffnet, in denen man komplett kontaktlos bezahlen kann – unter totaler Videoüberwachung; mit biometrischer Gesichtserkennung ausgestattet registriert man hier jeden Kunden und was er in seinen Einkaufskorb legt.
Beim Verlassen des Geschäfts wird über NFC der entsprechende Betrag vom Konto abgebucht, ohne dass jemand sich beim schnellen Zücken der Brieftasche wieder jemand überraschend einen Muskel zerrt. Keine Panik mehr am Fließband, beim Verräumen der Waren, unter dem strengen Blick der Kassiererin, die schon mit dem EC-Gerät wedelt.
Unter diesem Druck erscheint mir jeder Kunde bewundernswert, der in aller Ruhe noch nach dem passenden Kleingeld
kramt. Das gehört jetzt offiziell der Vergangenheit an und zumal der erste Shop dieser Art 2016 eröffnet wurde, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie bei uns in Jena ankommen.

Bargeld hat Stil

Und doch hat Bargeld Stil. Unsere Moneten sind schön bunt, wenn auch nicht ganz so bunt wie Schweizer Franken. Vor allem, nach einem langen Arbeitsmonat das hartverdiente Kleingeld der nächsten Kassiererin auf den Cent genau in die Hand zählen.
Doch was spricht nun eigentlich gegen Bargeld? Und was gegen einen digitalen Euro? Sind Transaktionen nicht superpraktisch? Und ist digitales Geld nicht auch viel billiger herzustellen als Euroscheine und -münzen? Spart man nicht dabei auch wertvolle Zeit? Ist es nicht unserem modernen digitalen Zeitalter nur angemessen, eine neue und passende Währung einzuführen?

Kontaktloser Fortschritt

Nun ja. Natürlich kann kontaktloses Bezahlen als Fortschritt betrachtet werden, das ist es auch. Und ja, eine Karte hat man deutlich schneller gezückt als Bargeld. Also worum zum Henker geht es dann, wenn von einer „Better-than-cash-alliance“ die Rede ist?!
Im Prinzip ist es ganz simpel: Wird Bargeld endgültig und ein für alle Mal durch ein digitales Pendant wie zum Beispiel einen digitalen Euro ersetzt, entfallen auf einen Schlag so ziemlich alle bargeldbezogenen Arbeitsplätze, Obdachlose und Straßenkünstler noch nicht mit eingerechnet. Nicht nur das: Es ist damit zu rechnen, dass neben der EC-Karte Privatunternehmen wie u.a. Paypal, Visa, Mastercard und American Express einen höheren Anteil der Zahlungen ausmachen und Geld, das normalerweise in Form von einer staatlichen Beteiligung an Sparkassen, Landesbanken und Co in Staatskassen fließt, von der Privatwirtschaft abgeschöpft wird und in ihr versickert.

Die Abschaffung des Bargelds wäre eine Aufweichung der staatlichen Kontrolle und setzt den Staat zunehmend unter Konkurrenzdruck. Gleichzeitig stellt die zunehmende Digitalisierung ein hohes Risiko für jeden einzelnen Bürger in Krisenzeiten dar. Das neue Konzept für zivile Verteidigung sieht unter anderem unter der Sicherung einer minimalen Daseinsvorsorge eine Bargeldversorgung vor und verpflichtet sich selbst sowie den Bürger, genügend Reserven in bar vorrätig zu haben.

Natürlich kann kontaktloses Bezahlen als Fortschritt betrachtet werden

Krisenfälle wären dann solche, bei denen flächendeckend der Strom ausfällt; im Prinzip reicht auch schon ein Internetausfall, zum Beispiel durch Hackerangriffe, um den viel gelobten digitalen Zahlungsverkehr nachhaltig lahmzulegen. Wer dann kein Bargeld im Haus hat, ist plötzlich in seiner Handlungs- und Bewegungsfähigkeit drastisch eingeschränkt und kann nur auf nette Nachbarn hoffen. Wer sich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht einmal zuhause befindet, ist ohne analoge Bezahlmethode aufgeschmissen. Bargeld gibt dem einzelnen Bürger also eine gewisse Autonomie und garantiert seine Mündigkeit. Jede Person kann selbst entscheiden, ob sie der Bank einen Kredit gewährt und ihr das eigene Geld ohne Garantie auf Rückzahlung überlässt oder doch auf „Nummer sicher“ geht und alles unter Omas Matratze bunkert.

Finanzielle Inklusion

Wenn es nach der sogenannten „Better-than-cash-alliance“ ginge, hätten wir bald keine andere Möglichkeit mehr als digitales Geld: Sie stellt einen Zusammenschluss aus vier Hauptgruppen dar: Staaten, Banken, Konzernen und Hilfsorganisationen. Unter Ersteren befindet sich Indien, dessen amtierender Premierminister Narendra Modi bereits im November 2016 eine rücksichtslose Bargeldreform durchführte und von einer Nacht auf die andere alle Geldscheine im Wert von mehr als 100 Rupien (1,38 Euro) für ungültig erklärte, ca. 86% der sich im Umlauf befindlichen Banknoten. Diese konnten daraufhin nur innerhalb eines Monats auf das eigene Bankkonto eingezahlt und anschließend in Form von kleineren Scheinen abgehoben werden.
Die offizielle Mitgliedschaft in einer „Better-than-cash-alliance“, gemeinsam mit diversen Banken und Privatunternehmen wie Visa und Mastercard wirft die Frage auf, ob es nicht zuletzt doch wieder einmal um das vielgelobte Wirtschaftswachstum geht, für das kontinuierlich von unten nach oben umverteilt wird. Das Ganze wird dann ironischerweise unter dem Deckmantel der „finanziellen Inklusion“ armer Bevölkerungsschichten vorangetrieben, die allerdings leider nur teilweise wirklich etwas davon hat

Was erstmal wahnsinnig fortschrittlich, bequem und sinnvoll klingt, kann sich schnell ins Gegenteil verkehren

Finanzielle Inklusion bedeutet hier, dass statt Bargeld ausschließlich digitale Zahlungsmittel verwendet werden. Was erstmal wahnsinnig fortschrittlich, bequem und sinnvoll klingt, kann sich jedoch schnell ins Gegenteil verkehren. Wir leihen zwangsläufig all unsere Ersparnisse einer Bank, die damit am Aktienmarkt spekuliert – ohne Risiko, dass sie plötzlich ihr geliehenes Geld wieder auszahlen muss. Der Staat ist damit bezüglich Bankenrettung aus dem Schneider, diese können mittels neu gewonnener Freiheit noch viel riskanter spekulieren und sich über anschließend vergebene Negativzinsen alles von der Bevölkerung zurückholen.

Zurück zum Tauschhandel?

Wie steht es also um unseren schnöden Mammon? Sollen wir einfach gleich zurück zum Tauschhandel? Den Semesterbeitrag mit Druckerpapier und dem Beamer von Papa begleichen?

Natürlich nicht. Es geht hier um Souveränität und Kontrolle: Entscheidungen nicht bloß auf Basis von Bequemlichkeit und Trends, Influencern und PR zu treffen, allgemeine Entwicklungen zu hinterfragen und sich dessen bewusst zu sein, dass man sich vielleicht in Zukunft die eigene Privatsphäre erkaufen muss und persönliche Daten die Banknote ersetzt haben.

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