Eine Szene für die Szene

Hinter dem Vintageladen soyuz steckt ein ausgeklügeltes Konzept für die Bildung eines jungen künstlerischen Kollektivs in Thüringen.

von Henriette Lahrmann

„Wenn eine Rakete erstmal gezündet ist, kann sie nicht mehr zurück“, erzählt der 25-jährige Julian Gimper, einer der beiden Gründer von soyuz. Das ist nicht nur der Fall bei der gleichnamigen sowjetischen Trägerrakete, sondern war auch das Motto seiner Gründung. Soyuz ist das gemeinsame Projekt der beiden Urheber Julian Gimper und Simon Nebel.

Vom Hamsterrad in den Pop-Up-Store. Foto: Henriette Lahrmann

Dahinter steht die Idee, der Übersetzung des russischen Wortes, „Vereinigung“, gerecht zu werden und eine Plattform zu generieren, die mehr bietet als nur einen hippen Vintageladen. Sie wollen ein Kombinat aus Klamotten- und Möbelladen sein, ein Treffpunkt für junge Menschen auf der Suche nach Austausch mit Gleichgesinnten. Der Grundstein dafür wurde bereits gelegt. In den vergangenen drei Monaten gab es soyuz in einem ersten Versuch als Pop-Up-Store am Ende der Wagnergasse.

Neben den mit Vintageware bestückten Kleiderstangen und den vereinzelt im Laden verteilten alten DDR-Möbeln fällt ein zwischen zwei Einkaufswagen stehendes Mischpult auf. Dieses kommt unter anderem bei den zahlreichen Workshops zum Einsatz, zum Beispiel bei dem DJ-Workshop für Frauen. Auch auf den Partys im soyuz legten große und kleinere DJs aus ganz Thüringen auf dem Pult auf, alles nach dem Motto: Die Großen und Bekannten helfen den Kleinen.

Konsum nutzen, um Kultur zu finanzieren

Die beiden, die sich an der EAH kennengelernt haben, hatten ihre erste Idee auf dem Bau, als sie zusammen eine Halle entkernten. Sie wollten zu der Zeit eigentlich schon beide nicht mehr in der Branche arbeiten und teilten das Interesse an Vintageklamotten, den selben Style und den Wunsch, etwas Eigenes zu machen.

Gimper, der zu der Zeit noch Wirtschaftsingenieurwesen an der EAH studierte, und Nebel, der mit seinem E-Commerce-Studium ebenfalls viel mit Wirtschaft in Kontakt stand, waren beide unzufrieden mit der Art, wie in Deutschland gewirtschaftet wird.

In ihrer dreimonatigen Experimentierphase konnten die beiden Gründer auf einige Inhalte in ihrem Studium zurückgreifen. „Das Studium hat sich als gutes Skelett dargestellt, dass befüllt werden kann“, so Nebel.  Die anderen Themen könnte man sich gut selber beibringen, die BWL sei eigentlich gar nicht so schwer.

Am Anfang waren ein 10- bis 14-Stunden-Arbeitstag und ein Arbeiten über ihrem Maximum für die beiden Gründer keine Ausnahme; sie haben schnell eingesehen, dass ein reguläres Studium nebenher nicht mehr möglich ist.
Im Pop-Up-Store sind beide fast immer aufzufinden, wobei Nebel sich hauptsächlich darum kümmert, dass der Laden läuft, während Gimpel neue Projekte plant und organisiert.

Mittlerweile ist mit der Verstärkung durch Grafikdesigner Nils Kölmer aus dem soyuz-Gründerduo ein Trio geworden. Kölmer kam dazu, als ein Logo für soyuz gebraucht wurde, und ist jetzt ein fester Teil im Kernteam für Social Media und den Grafikbereich.

Bildung von neuen Synergien

Der Austausch und die Zusammenarbeit sind die wesentliche Punkte in der Philosophie von soyuz, alles in einer flachen Hierarchie. „Wir wollen ein Schmelztiegel der einzelnen Kollektive in Jena sein“, sagt Gimper.

In der Stadt hätte lange Zeit eine Plattform unabhängig von politischen Gruppen gefehlt, die einen Freiraum für einzelne Akteur:innen und Menschen biete. Mit einigen jungen Künstler:innen hat das Team von soyuz schon zusammengearbeitet. Eine von ihnen ist Jules, die in dem Pop Up-Store die Kleidung von ihrem Label Julius Maximus ausstellt. Aber nicht nur Designer:innen können ihre Kunst bei soyuz zum Ausdruck bringen. An den Wänden des Ladens hängen beispielsweise schwarz-weiße Underground-Fotografien von einer jungen Künstlerin aus Erfurt.

Auch in ihrem festen Laden, der ab Dezember in einem ehemaligen Reisebüro in der Bachstraße öffnet, wollen Gimper und Nebel weiterhin jungen Künstler:innen die Möglichkeit bieten, ihre Produkte und Kunst auszustellen. Die einzige Voraussetzung sei, dass die Produkte einen nachhaltigen und sozialen Anspruch haben, ansonsten würden sie  nach ihrem Gefühl entscheiden. Hauptsache, es komme alles aus der linken Szene und passe zum restlichen Style.

Ein weiterer Aspekt, der den beiden Schöpfern von soyuz persönlich am Herzen liegt, ist ihr „Ossi-Hintergrund“. Beide kommen selbst aus Thüringen und sehen ihr gemeinsames Heimatbundesland als „Großstadt mit viel Grün“. Thüringen hätte sehr viel Potenzial für ihr Projekt, da es auf der einen Seite genügend Platz biete und auf der anderen Seite die Zusammenarbeit einzelner Künstler:innen dringend gebraucht werde.

Nebenbei versuchen Gimper und Nebel, mit soyuz die jungen Leute in Thüringen zu halten. Statt nach Berlin oder Leipzig zu ziehen und sich dort der bereits bestehenden Szene anzuschließen, sollen sie bleiben und daran mitarbeiten, „eine neue Szene für die Szene“ aufzubauen, erklärt Gimper.

Raus aus dem Dornröschenschloss, rein in die Modernisierung

Jetzt, wo die Experimentierphase mit dem Pop-Up-Store erfolgreich abgeschlossen ist, hat das soyuz-Team mit der ab Dezember geplanten Eröffnung eines eigenen festen Ladens in der Bachstraße den nächsten Schritt gewagt. Der Laden soll professioneller werden und außerdem einen Späti integrieren, den es bisher nur bei Veranstaltungen gab. Es sollen weiterhin Workshops angeboten werden und auch für neue Zusammenarbeit mit Künstler:innen ist das Team offen.

Finanziert werden soll die Erstausstattung hauptsächlich durch Crowdfunding und vielleicht eine Soli-Feier. Obwohl der eigene Laden noch nicht eröffnet ist, sitzt das Team von soyuz bereits an neuen Ideen, wie beispielsweise der Eröffnung einer zweiten Location in einer Lagerhalle in Thüringen oder einem Onlineshop für andere Händler:innen. Für Gimpel und Nebel ist ihr Projekt ein großes learning by doing, für sie hieß es von Anfang an: Feuer frei!

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