Ersti-Feeling für alle!

Warum es seit Corona nicht ganz so viel Spaß macht, sich über Erstis und deren Unbeholfenheit lustig zu machen.

von Tabea Volz

Raum 602? Keine Ahnung, wo der ist…

Eigentlich dachte ich immer, im dritten Semester sei das Studium, zumindest im Idealfall, schon zur Hälfte vorbei. Man hat sich eingelebt, kennt die Uni wie seine Westentasche, hat eigentlich schon genug von den Dozierenden und weiß die besten Tricks, wie man es verkatert durch einen Uni-Morgen schafft. Was für eine naive Vorstellung, denke ich mir, während ich planlos vor dem Notfallplan im vierten Stock des Uni-Campus am Ernst-Abbe-Platz stehe. Zumindest vermute ich mal, dass ich hier stehe…

Es ist mein erster Tag im dritten Semes-ter und ich habe keine Ahnung, was ich hier gerade tue. Bin ich im richtigen Stock, im richtigen Gang, im richtigen Gebäude, überhaupt in der richtigen Stadt? Ich sehe mich etwas verloren um, entdecke eine Erstigruppe und frage mich, ob sie wohl wissen, wo mein Seminarraum ist. Ganz kurz habe ich das Bedürfnis, sie zu fragen, doch mein Stolz hat irgendwie ganz deutlich etwas dagegen. Wäre ich nur nicht so spät aus meinem Bett gefallen, dann hätte ich vielleicht noch jemanden erwischt, den ich zumindest über eine Webcam kenne. Um viertel nach aufzustehen, wenn zur selben Uhrzeit das Seminar anfängt, wird wohl nicht mehr ganz so gut funktionieren wie bisher. Schade eigentlich!

Verloren im dritten Semester. Foto: Lukas Hillmann

Zum Glück weiß niemand, dass ich in meinem Shirt auch geschlafen habe und eigentlich nur in meine Schuhe geschlüpft bin, bevor ich aus meiner Tür gestolpert bin. Auch mein Schädel brummt noch von dem ein oder anderen Bierchen am Vorabend, der fehlende Kaffee und die mit Maske erklommenen vier Stockwerke machen das Ganze nicht unbedingt besser. Ich nehme mir vor, das nächste Mal unbedingt Aspirin in meinen neu gepackten Uni-Rucksack zu schmeißen, am besten auch noch eine Mate. Bisher ist der sowieso noch komplett leer.

Während meine Gedanken kreisen, entdecke ich die Nummer meines Raumes auf dem Plan. Geradeaus, einmal links und zweimal rechts, das sollte auch ich mit meiner Rechts-Links-Schwäche irgendwie hinbekommen. Ich trotte los und komme im Gewusel der 3G-Nachweise an, niemand bemerkt, dass ich zu spät bin. Vielleicht nehme ich den Vorsatz, pünktlich aufzustehen, doch wieder zurück. Erleichtert lasse ich mich auf den letzten freien Platz in der ersten Reihe fallen. War ja klar, dass nur noch der frei ist.

Bei keinem hatte ich mir Größe und Ausstrahlung so vorgestellt, wie sie sich mir hier darbieten

Das Seminar startet mit den gewöhnlichen Organisationsinfos, wenigstens hier kenne ich mich wirklich schon aus und schlafe auf meinem Platz in der leider ersten Reihe beinahe ein. In den letzten Semestern hätte ich einfach meine Kamera ausgemacht und mich wieder zurück in mein Bettchen verkrümelt. Auch die Flucht in mein Handy scheint irgendwie nicht so verlockend wie bisher, der aufmerksame Blick der Dozierenden schreckt mich ab. Stattdessen schaue ich mir die ganzen Gesichter im Raum an, einige kommen mir irgendwie bekannt vor.

Doch bei keinem hatte ich mir Größe, Ausstrahlung und Gestik so vorgestellt, wie sie sich mir hier darbieten, und somit wirken alle eher wie Fremde, von denen man schon mal ein Bild gesehen hat. Ich fühle mich gerade, als würde ich keine Menschenseele in Jena kennen. Dass das totaler Schwachsinn ist, ist mir dennoch bewusst. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, gerade in einem komischen Mittelstadium zwischen Ersti und altem Hasen zu stecken. Ein seltsames Gefühl.

Als ich den Seminarraum verlasse, um mich mit meinen Freund:innen auf dem Campus zum Mensen zu treffen, laufe ich an einem Fahrstuhl vorbei. So kann man die Treppen also umgehen. Dennoch nehme ich die Stufen nach unten, eine gute Entscheidung: Ein deutlich älterer Studierender kommt der nach unten strömenden Menschenmasse entgegen und fragt laut in die Runde, wo Raum 602 ist, alle schauen sich fragend an: „Gibt es überhaupt ein sechstes Stockwerk?“ Es geht uns heute wohl allen so. Egal ob erstes, drittes oder vielleicht auch zehntes Semester, irgendwie sind wir heute alle wieder Erstis.

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