Wein gehabt

Jena kann auf eine lange Weinkultur zurückblicken. Obwohl diese im 20. Jahrhundert fast ausstarb, gibt es mittlerweile wieder mehrere Anbaugebiete. Eine Spurensuche im Weinberg.

Von Ariane Vosseler

Ein Jena ohne Uni, dafür umgeben von Weinbergen? Einige Jahrhunderte war das die Realität der Stadt. Als Jena 1558 eine Universität bekam, spielte der Weinbau bei dieser Entscheidung eine große Rolle. Schon in Erwähnungen Jenas aus dem zwölften Jahrhundert kommt der Weinanbau vor, und an Symbolen wie dem alten Stadtwappen lässt sich die Bedeutung erkennen. Für die Bürger war es zum Teil auch Pflicht, Wein zu keltern, da dieser als sicherer als Wasser galt.
Immerhin 700 Hektar Anbauflächen gab es rings um Jena, so viel wie heute in der gesamten Saale-Unstrut-Region. An vielen Stellen würde man mittlerweile aber keine Rebstöcke mehr anpflanzen, da dort kein qualitativ hochwertiger Wein wachse, erklärt Niels-Lund Trebitz, der am Jenaer Käuzchenberg Wein anbaut. Solche Stellen lassen sich an alten Flurnamen wie Essigtille, Essigkrug oder Essigpulle erkennen, diese ungünstigen Lagen sind zum Beispiel im Cospedaer Grund zu finden. Dennoch hatte Jenaer Wein einen guten Ruf, und wie der Jenaer Winzer Karsten Kirsch bestätigt, sei der heutige Wein auch auf gutem Weg, diesen wiederzuerlangen. Einige Weine seien schon prämiert worden. Die großen Mengen werde man wohl nie mehr erreichen, da es dafür mittlerweile nicht mehr die Flächen gebe. „Unten Wohnungsbau, in der Mitte Gärten, oben Naturschutz,“ erklärt Kirsch die fehlenden Nutzungsflächen in der Stadt.

Der Winzer Niels-Lund Trebitz am Jenaer Käuzchenberg.
Foto: Tim Große

Aber warum ging der Anbau zurück? Vor allem durch die Universität gab es in der Stadt andere Einnahmequellen, bei denen man sich die schwere Arbeit am Weinberg sparen konnte. Im 30-jährigen Krieg verbrannten die Schweden viele Weinstöcke, deren Wiederaufbau aufwendig war. Außerdem wurde seit dem 17. Jahrhundert das Klima kühler. Da Jena sowieso schon an der Grenze der noch geeigneten Bedingungen lag, hatte dies auch große Auswirkungen. Eigentlich braucht Wein ein Jahresmittel von circa 9°C, hier liegt Jena knapp darunter. Und Winter mit Temperaturen von unter -20°C, wie sie in Jena zumindest alle paar Jahre vorkommen, können die Reben stark schädigen. Um 1870 breiteten sich zusätzlich noch Krankheiten in den Stöcken aus. All dies führte dazu, dass man in Jena den Weinbau langsam vergaß und hundert Jahre lang kaum noch betrieb.

Die Wiedererweckung

Seit 1980 gab es Bestrebungen, in Jena wieder Wein anzubauen. Damals hatte man begonnen, den alten Käuzchenberg bei Zwätzen wieder zu bewirtschaften. Trebitz, langjähriges Mitglied im Verein der Winzer:innen des Berges, hat seine Pacht von seinem Schwiegervater übernommen, der bei den damaligen Rodungen des überwucherten, jahrhundertealten Weinbergs selbst beteiligt war. Jener Weinberg, hinter Zwätzen gelegen, wurde zum ersten Mal 1182 erwähnt und seit ungefähr dieser Zeit bewirtschaftet. Jedoch durfte das Gut in Zwätzen, mit dem der Anbau immer in enger Verbindung gestanden hatte, in der DDR dort nicht weiter wirtschaften. Der Berg wurde offen gelassen und war für alle, auch Schafe, frei zugänglich. 1980 gründete sich dann eine Kleingarten-Sparte, die sich des überwucherten Berges annahm, im Laufe der Jahrzehnte alte Weinreben wiederentdeckte und neue anpflanzte. Mittlerweile wirtschaftet schon die zweite Generation, die Pachten übernommen hat.

„Es geht um die Arterhaltung sehr seltener, zum Teil ausgestorben geglaubter Rebsorten“

Trebitz erklärt, dass er damit in den meisten Jahren kein Geld verdiene, obwohl er unzählige Arbeitsstunden neben seinem Beruf in die Reben stecke und am Ende auch mehr als 700 Flaschen jährlich herausbekäme. Da man sich beim Weinbau der Natur anpassen muss, passiere es auch mal, dass er nachts um drei Uhr am Weinberg steht, um die Reben noch vor seiner eigentlichen Arbeit zu pflegen. Warum aber nimmt er das auf sich? „Der Hauptmotivator ist für mich die Pflege von kulturellem Erbe“, sagt er.

Weinberg der Gemeinschaft

Obwohl die Vereinsmitglieder alle eigenverantwortlich ihre Pachtgebiete bewirtschaften, lernen sie auch voneinander. Wichtig sei, dass alle entsprechend ausgebildet sind, damit sie im Sinne des Weinrechts handeln können. Im Herbst, ungefähr 100 Tage nach der Blüte, erfolgt die gemeinsame Weinlese, von der jedes Mitglied so viel Wein bekommt, wie es angebaut hat. Verarbeitet werden die Trauben größtenteils in einer Lohnkelterei in Bad Sulza, wo der Wein auch in Flaschen gefüllt wird. Hier lässt sich die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Weingütern in ganz Thüringen erkennen. Im Freistaat hat sich in den letzten Jahrzehnten wieder eine ausgeprägte Weinkultur herausgebildet, sogar mit 13 Weinprinzessinnen und einer ihnen vorstehenden Weinkönigin.
Das erkennt man auch an den vielen Anbaugebieten in Jena, zum Beispiel am Fuße des Jenzig, bei Wöllnitz oder am Grafenberg bei Kunitz. Die meisten Lagen erwirtschaften keine großen Mengen, weshalb vieles nur in den Privatverbrauch geht. Die geringe Menge und viele Arbeit lässt sich auch am Preis der zum Verkauf stehenden Weine erkennen, er liegt durchschnittlich zwischen 10 und 15 Euro. Die Jenaer Winzer:innen arbeiten aber nicht nur bei der Ernte zusammen, sondern kooperieren auch darüber hinaus zum Beispiel im Verein Jenaer Weinbau. Dieser erforscht und dokumentiert die Geschichte des Weinbaus in Jena, ist aber auch auf den ehemaligen Weinbergen aktiv. „Es geht um die Arterhaltung sehr seltener, zum Teil ausgestorben geglaubter Rebsorten“, erklärt Kirsch, der auch in dem Verein aktiv ist. Für seine Liebhaber:innen ist der Weinbau in Jena viel mehr als Landwirtschaft: Es handelt sich hierbei vielmehr um eine jahrhundertealte regionale Kulturpraxis, die erkundet, wiederbelebt und weitergeführt werden soll.


Schreibe einen Kommentar

*