Urlaub in der Mensa

Italien wird immer teurer, Mallorca verbietet das Eimersaufen und noch dazu tummeln sich überall ungeimpfte Boomer. Warum nicht dort Urlaub machen, wo es das ganze Semester am schönsten ist? In der Mensa.

Von Lukas Hillmann und Tim Große

Freitagmorgen, 8 Uhr. Aus dem Tiefschlaf gerissen wartet eine Delegation reiselustiger Redakteure im Espressorausch an der Heimathaltestelle Teichgraben auf den Bus hinauf zur verheißungsvollen ersten Station der Reise, der Mensa Carl-Zeiss-Promenade.
Ein Gruppenmitglied lässt noch auf sich warten. Zum Glück wurde diese Eventualität in der Reiseplanung beachtet: Mit dem gebuchten Flexpreis-Ticket besteht keine Busbindung und das Urlaubsziel ist so begehrt, dass die Busse in regelmäßigen Abständen dorthin verkehren.
Als der von der Nacht gezeichnete Langschläfer das Stadtzentrum erreicht, steigt die Reisegruppe in den Bus, der am meisten nach Urlaub klingt: Burgaupark. Der feuchte Traum eines modebewussten Bürgers auf der Jagd nach neuer Bekleidung im Takko oder Ernsting’s. Der Busfahrer – an die hiesigen Verkehrsbedingungen bestens angepasst – fährt sehr schnell, aber dennoch sicher die engen Berggassen hinauf auf das Zeiss-Mensa-Plateau.

Brunch in der Carl-Zeiss-Mensa

1968 im sozialistischen Baustil als Versorgungszentrum für den VEB Carl Zeiss Jena errichtet, thront der Prunkbau mit seiner pittoresken Panoramaterrasse über dem umliegenden Gewerbegebiet und bietet seit der Wende auch den studentischen Urlauberinnen Unterschlupf. Allein ist man aber nicht auf der Terrasse. Die einheimischen Zeissianer kennen den Urlaubsgeheimtipp schon. Um halb neun ist der Freisitz reichlich gefüllt, mit unseren mitgebrachten Badetüchern reservieren wir eine der letzten Teakholz-Sitzgruppen mit Blick auf die Kernberge.

Mensa-Tisch nach einem ganz normalen Urlaubstag.
Foto: Tim Große


Anders als in der Abbe-Mensa erhält man in der Zeiss-Mensa einen authentischen Einblick in das traditionelle Jena: In der Schlange am Frühstücksbuffet wird thüringisch gesprochen und auch das Speisenangebot wirkt heimisch. Die beliebtesten Gerichte sind: Rührei mit Schinken, Strammer Max (Brot mit Spiegelei und Schinken), Strammer Lukas (Brot mit Spiegelei und Wiener) und Schnitzelbrötchen, die in einer beachtlichen Stückzahl von mindestens drei Tabletts in der Auslage bereit gehalten werden. Das beeindruckend vielfältige Angebot, von der klassischen, in kleinen Portionen abgepackten Konfitüre bis zum Naturjoghurt mit frischen Erdbeeren, sowie das sehr freundliche Personal lassen einen tatsächlich in Urlaubsstimmung kommen und den Alltag vergessen.
Mit reichlich Essbarem sowie Kaffee und O-Saft bepackt, geht es zurück zur reservierten Teakholz-Sitzgruppe. Endlich Zeit, die Seele baumeln zu lassen und in aller Ruhe das Frühstück zu genießen. Sobald um halb zehn die offizielle deutsche Frühstückszeit vorüber ist, wird es ruhig auf der Terrasse. Man kann diese Tageszeit nutzen, um den Blick schweifen zu lassen über das Saaletaal, die Stadt und ihre majestätischen Berge im Hintergrund, auf denen der Fuchsturm emporragt – eines der sieben Wunder Jenas.

Elf Uhr öffnet ein Highlight, das jeden FSU-Studenten überlegen lässt, sich doch für Maschinenbau an der EAH einzuschreiben: Eine kreisrunde Kaffeebar.

Lediglich die Angestellten der Mensa sind noch auf der Terrasse und machen eine Pause zwischen Frühstücks- und Mittagsandrang. In alter Manier drückt die Reisegruppe ihnen ein Gespräch auf und versucht, lokale Eindrücke vom Urlaubsort zu erhalten. Am liebsten werde von den Angestellten hier oben das Jägerschnitzel – also panierte Jagdwurst, vorzugsweise serviert mit Makkaroni – konsumiert, das Rührei sei aber auch zu empfehlen. Wo sie selbst am liebsten Urlaub machten? Vor allem gern am Wasser, Warnemünde vielleicht. Noch besser sei es aber immer auf Balkonien, Terrassien und Gardenien.
Ab elf Uhr öffnet ein Highlight an der Promenade, das jede FSU-Studentin überlegen lässt, sich doch für Maschinenbau an der EAH einzuschreiben: Eine kreisrunde Kaffeebar, deren liebevolle Barista allerlei Kaffeespezialitäten anbietet. Ob Crema, Milchkaffee oder Cappuccino, alles ist zu erschwinglichen Preisen erhältlich, auf Wunsch sogar mit Kakao- oder Zimt-Topping. In den heißen Sommermonaten wird der Eiskaffee mit Sahne und Vanilleeis empfohlen. Und was empfohlen wird, das bestellt man am besten auch, man will ja die lokalen Händler nicht enttäuschen.

Mittagstisch in der EAH-Cafeteria

Der im kühl-morgendlichen Leichtsinn mit Badetüchern reservierte Platz hat zum Nachteil, dass die direkte Sonneneinstrahlung jedes Antitranspirant unwirksam werden lässt: Die Sporthose klebt am Teakholz, die Nase glänzt rot in der Sonne, der Nomade in uns kommt durch – wir müssen weiterziehen. Im Internet kursieren Bilder einer stegähnlichen Terrasse mit Sonnensegel an der Cafeteria der EAH, die praktischerweise nur wenige Gehminuten entfernt liegt.
Sie muss sich keinesfalls hinter ihrer großen Schwester verstecken, auch hier werden einige Schmankerl geboten. Hinein kommt man nur mit der Thoska anwesender EAH-Studierender, hier bleibt man also wirklich fern von anderen nervigen Touristen, die gehetzt florale Fotomotive für ihren Whatsapp-Status suchen, und lernt das unverfälschte EAH-Leben kennen.
Nach langer Corona-Abstinenz erst vor einer Woche wieder eröffnet, freut sich das Personal noch ein bisschen doller über die eintretenden Urlauber, als das am vorherigen Buffett. Bei der Auswahl zwischen drei verschiedenen Mittagsgerichten kommt sogar die Veganerin durch Linsen-Vollkorn-Bolognese mit Käse-Alternative auf ihre Kosten. Die Essenseinnahme erfolgt vorzugsweise auf der vom orangefarbenen Sonnensegel geschützten Terrasse, das die Umgebung in ein warmes, sommerliches Licht taucht und zum Verweilen einlädt. Hier lassen sich die mehr als ausreichenden Portionen genießen, begleitet von Gesprächen über soziale Arbeit oder Biotechnologie.

Siesta in der Philosophenmensa

Nach dem Frühstück und dem anschließenden Mittag hat sich der Magen gefüllt, sodass ein kleiner Verdauungsspaziergang verspricht, wieder Platz für die nächste Station zu schaffen. Glücklicherweise ist Jena dafür bekannt, dass hier alles fußläufig erreichbar ist. Vor allem bergab, das Zeiss-Mensa-Plateau verlassend, lässt sich eine hervorragende Wanderung gen Stadtmitte anstellen. Durch kleine Gassen oder über imposante Straßen, vorbei an prächtigen Häusern im Jugendstil, geht es zurück in die Innenstadt. Im Philosophenweg zeichnet sich das kubische Backsteingebäude mit seinen großen Fensterfronten schon von weitem ab. 1929 nach den Entwürfen von den großen Bauhaus-Koryphäen Neufert und Bartning erbaut, bietet das Studentenhaus heute Platz für die Philosphenmensa, Station drei des Mensa-Urlaubs.

Die eingeplanten 50 Euro wurden um Längen unterboten. So viel kann man in der Mensa an einem Tag gar nicht essen.

Hier hat die Gentrifizierung schon längst Einzug gehalten. Zwar kann man auch noch hin und wieder Letscho in guter alter Ost-Küchen-Manier verkosten, die Anzahl veganer Mensa-vital-Gerichte aber nimmt gefühlt täglich zu. Der O-Saft wird durch koffeinhaltige Mategetränke ersetzt, Menschen unterhalten sich über bevorstehende Prüfungen und Semesterferien, das studentische Flair ist perfekt. Wenn der Magen trotz Verdauungsspaziergang kein weiteres Gericht mehr zulässt, gibt es die Option, alle Speisen mitzunehmen und auch nach Schließzeit vegane Bohnenpfanne mit Bulgur zu verspeisen.
Da ein Wassereis aus der Kühltruhe aber immer in den gefüllten Reisemagen passt, kann man dieses mit etwas Glück sogar in den vom Studierendenwerk aufgestellten Liegestühlen im Garten der Mensa verspeisen. Leider sind diese nur sehr rar gesät, sodass man auch hier überlegen sollte, Handtücher zum Reservieren mitzubringen.

Kaffeerunde in der UHG-Cafeteria

Wem die Essensausgabe der Philomensa als Trubel oder gar wie fabrikähnliche Massenabfertigung vorkommt, dem sei an dieser Stelle eine letzte Empfehlung ausgesprochen: Nur wenige Meter unterhalb des Außenbereichs kann man den wunderschönen Innenhof des Unihauptgebäudes erkunden. Hier lässt sich der Reiseabschluss-Kaffee in romantischer Umgebung schlürfen. Wer sich fragt, warum Jena auch als Toskana des Ostens bezeichnet wird, findet hier die Antwort: Der Duft frisch gebrühten Kaffees verbreitet sich in der Cafeteria, draußen sind um diese Uhrzeit kaum Menschen unterwegs, die weinumschlungene Veranda des Gebäudes ist leer, der Ginkgo lädt zum Verweilen ein. Der Genuss in diesem Ambiente rundet den Urlaubstag perfekt ab.
Es müssen also nicht unbedingt Froschschenkel in der Bretagne oder Torta della Nonna in der Toskana sein. Auch vor der eigenen Haustür kann man einige kulinarische Highlights inmitten architektonischer Meisterwerke erkunden. Und am allermeisten freut sich dabei der Geldbeutel: Die eingeplanten 50 Euro wurden um Längen unterboten. So viel kann man in der Mensa an einem Tag gar nicht essen.

Mitarbeit: Niels Darr und Sascha Jacob

Urlaubsfeeling an der Mensa Carl-Zeiss-Promenade: Zwei Akrützel-Urlaubstester auf ihrer mit Badetüchern reservierten Sitzgruppe.
Foto: Niels Darr

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