Revolution oder Konformismus?

Verwaltungsorgan oder politisches Gremium – Eine Podiumsdiskussion zur Stura-Wahl zeigt, wie stark das oberste studentische Gremium in Jena gespalten ist.

Von Johannes Vogt

Hurra, endlich wieder Wahlen! Ein ganzes Jahr mussten wir warten. Ein ganzes Jahr ohne spannende Uniwahlkämpfe. Ein ganzes Jahr ohne Wahlaufforderungsmails, die man nur zur Kenntnis nimmt, um sich zwei Wochen später darüber zu wundern, dass sich auch dieses Jahr der Wahlzettel nicht von allein ausgefüllt hat und die Wahlbeteiligung wieder unter 25% liegt. Zum Auftakt der diesjährigen Wahlen wurde eine Podiumsdiskussion mit mehreren Kandidierenden verschiedener Listen veranstaltet. Wer diese nutzen wollte, um sich das erste Mal mit Themen und der Zusammensetzung des Sturas zu beschäftigen, hat sich wahrscheinlich gefühlt, als würde er das Finale einer Serie schauen, ohne die ersten Staffeln verfolgt zu haben.

Jungunternehmergeist trifft auf linksemanzipatorische Minirevolution

Am Donnerstagabend trafen sich sieben Kandidaten, sogar eine Kandidatin und ca. 30 weitere Menschen, die zunächst schienen, als seien sie unabhängige Zuschauer:innen. Neben der Emanzipatorischen Linken Liste (Ellis) und dem Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS), den zwei größten Listen, waren auch Volt, die Liste 42, Aktiv, Engagiert & Motiviert (AEM) und der Rote Campus vertreten. Das erste Thema: Digitalisierung und Uni nach Corona. Nachdem alle verkündeten, dass man niemanden während und nach der Coronakrise vergessen dürfe und ausgerechnet man selbst diese Weitsicht hätte, kam es zur ersten Kontroverse: Wie soll sich der Stura zum Unipräsidium verhalten? Konsequent und aufmüpfig, für die Interessen der Studierenden oder komprommisssuchend an einer gemeinsamen, realpolitischen Lösung interessiert? Der Jungunternehmergeist des RCDS traf auf die linksemanzipatorische Minirevolution der Ellis. Es war nicht völlig klar, wieso ausgerechnet bei dem Thema „digitale Uni“ nur dieser eine Streitpunkt identifizierbar war. Man wurde jedoch das Gefühl nicht los, dass dieser Konflikt historisch gewachsen und deshalb ohne Vorwissen nicht zu verstehen ist.
Das zweite Thema des Abends war ähnlich emotional aufgeladen. Es wurden Serviceleistungen des Sturas diskutiert. Auch hier gab es einen breiten Konsens darüber, dass der Stura nahbar und für die Studierenden da sein müsse. Doch wieder gab es einen Streitpunkt: Während der RCDS und die Liste AEM das Geld für eine unabhängige Rechtsberatung für Studierende nicht aufwenden wollten, waren die Ellis davon überzeugt, dass diese für eine autonome Studierendenschaft notwendig sei. Und wieder kommt es zu dem selben Konflikt zwischen aufmüpfigem Stura als politisches Gegengewicht zu den restlichen Uniorganen oder dem Stura als Verwaltungsorgan in Zusammenarbeit mit der gesamten Universität. Aber diesmal wird die historische Komponente klarer: Es gab bereits eine unabhängige vom Stura finanzierte Rechtsberatung, die aber im letzten Jahr aufgrund von Haftungs- und Finanzierungsproblemen eingestellt wurde. Im Laufe der Zeit wurde selbst denjenigen, die in den letzten Jahre keine Stura-Sitzungen verfolgt haben, klar: Es geht hier nicht um Inhalte, sondern um Konfliktaufarbeitung. Innerhalb des Sturas gibt es emotional aufgeladene Unstimmigkeiten darüber, was der Stura sein sollte. Unstimmigkeiten, die inhaltliche Diskussionen unmöglich machen.

Streit über die Rolle des Sturas zulassen

Dieser Konflikt gipfelte gegen Ende der Podiumsdiskussion darin, dass die Zuschauer:innen Fragen stellen konnten. Eigentlich würde man denken, dass gerade darin eine Möglichkeit läge, jenseits von Grabenkämpfen über Inhalte zu sprechen. Es stellte sich aber heraus, dass die meisten Fragenden nicht so unabhängig waren wie zunächst angenommen. Es wurden Fragen gestellt, die darauf abzielten, Kandidierende aufgrund von Handlungen in der Vergangenheit zu disqualifizieren. Fehlende Anwesenheit bei Stura-Sitzungen, unpassender Umgangston während der Sitzungen oder unfaire Verteilung von Redeanteilen sind nur einige Beispiele von Vorwürfen, die man sich jenseits von inhaltlicher Diskussion um die Ohren schmiss.
Dieser Konflikt lässt sich zusammenfassen. Es gibt zwischen den verschiedenen Seiten des Sturas keinen Konsens mehr, innerhalb dessen man über Inhalte sprechen könnte. Jeder Versuch, sich über konkrete Ziele oder Pläne auszutauschen, führt zu einer Grundsatzdebatte. Solche Diskussionen über Herangehensweisen sind wichtig, aber man sollte sich ihrer bewusst sein. Ob der Stura nur ein Verwaltungsorgan oder ein politisches Gremium ist, geht der Diskussion nicht voraus, sondern muss innerhalb des politischen Streits getroffen werden. Die jetzigen Stura-Anwärter:innen scheinen aber diesen Schritt überspringen zu wollen. Anstatt sich explizit mit der Rolle des Sturas zu beschäftigen, wird sie der Debatte vorausgesetzt. Jedem, der nicht die eigene Vorstellung des Sturas vertritt, wird somit die Legitimation abgesprochen, überhaupt an der politischen Diskussion teilzunehmen. Wenn die andere Seite keine Legitimation hat, gibt es auch nichts mehr, worüber man mit ihr diskutieren könnte und der politische Konflikt wird zu einem emotionalen Streit. Der Stura sollte sich seiner unbestimmten Rolle bewusstwerden und lernen, über sie zu reflektieren.

Johannes Vogt. Foto: Tim Große
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