50 Jahre (kein) Bafög

Vor 50 Jahren wurde die Einführung des Bafögs als großer Meilenstein gefeiert, mittlerweile mehrt sich die Kritik. Das Bundesverwaltungsgericht hält es sogar für verfassungswidrig. Was fordern Studierende und Hochschulrektoren?

Von Ariane Vosseler und Alexander Nehls

Wir schreiben das Jahr 1971. In den USA wird Zigarettenwerbung im Fernsehen verboten, die Sendung mit der Maus wird zum ersten Mal ausgestrahlt, Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen werden gegründet. Bekannte Persönlichkeiten wie Elon Musk, Vitali Klitschko, Lance Armstrong, Moritz Bleibtreu und nicht zuletzt Snoop Dogg werden geboren.
Was bei all diesen großen Namen etwas untergeht, ist die Einführung des – Achtung, festhalten! – Bundesausbildungsförderungsgesetzes, kurz Bafög. Wie all diese Berühmtheiten wird auch das Bafög in diesem Jahr 50 und kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken.

Waren es 1990 noch 18,3 Prozent, erhalten heute nur noch 11 Prozent aller Studierenden in Deutschland Bafög.

An die Beliebtheit der ersten Jahre, in denen knapp die Hälfte aller Studierenden Bafög erhielten, kam das Geburtstagskind nie wieder heran. Das liegt auch daran, dass die Förderungen bis 1974 komplett als Zuschuss ausgezahlt wurden und die Studierenden daher nichts zurückzahlen mussten. Dies änderte sich schrittweise, bis Helmut Kohl 1982 zum „Bafög-Kahlschlag“ ausholte und Bafög-Zahlungen fortan nur noch als Volldarlehen, das komplett zurückgezahlt werden musste, vergeben wurden. Seit 1990 besteht das Bafög in seiner heutigen Form: Die Hälfte muss zurückgezahlt werden, die andere nicht. Trotz dieser Änderung ist der Anteil der mit Bafög geförderten Studierenden weiter zurückgegangen: Waren es 1990 noch 18,3 Prozent, erhalten jetzt nur noch 11 Prozent aller Studierenden in Deutschland Bafög.

Kein Grund zum Feiern

Zu wenige Bafög-Berechtigte, zu komplizierte Antragsverfahren oder Angst vor den Schulden: Kritik am Bafög gibt es viele und schon lange. Anlässlich des Jubiläums hat sich nun eine Initiative unter dem Namen 50 Jahre BAföG – (K)ein Grund zum Feiern! gebildet, die Reformen des Bafögs fordert und dafür eine Petition gestartet hat. Auch wenn sie das Bafög grundsätzlich für gut halten, kritisieren sie, dass es über die Jahrzehnte gelitten habe. Es wird nicht nur von weniger Studierenden als jemals zuvor bezogen, auch das Bafög für Schüler:innen wird kaum noch in Anspruch genommen. Dadurch kann natürlich einiges eingespart werden. Rebecca Heuschkel, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Kultur des Studierendenwerks Thüringen, betont aber zu den abnehmenden Zahlen: „Nein, sicherlich ist diese negative Entwicklung nicht gewollt.“

Zum 50. gibts einen Schlag ins Gesicht. Wie so oft nach dem Bafög-Antrag.
Foto: Nico Kleinschroth


Das Studierendenwerk Thüringen ist der Ansprechpartner für Studierende der FSU und EAH bei Fragen zum Bafög und hat über die Jahre Erfahrungen gesammelt. Sie schätzt, dass das Bafög vor allem ein Vertrauensproblem hat. Von Vielen werde es nicht mehr als verlässliche Quelle zur Finanzierung einer Ausbildung wahrgenommen. „Viele verzichten darauf, weil sie Angst vor Verschuldung haben oder das Antragsverfahren zu umständlich erscheint“, sagt Heuschkel. Diese Vorbehalte seien aus ihrer Sicht zunächst unbegründet, da man nicht alles zurückzahlen müsse und es auch einen Online-Assistenten gebe, der beim Beantragen unterstützen solle. Viele Studierende seien sich zudem nicht darüber bewusst, dass sie einen Anspruch auf finanzielle Förderung haben, sagt Heuschkel. „Insbesondere bei Kindern von Selbstständigen gibt es häufig die Einschätzung, dass kein Bafög-Anspruch bestehe.”

Gleiche Chancen für alle?

Aber auch sie äußert Kritik und bemängelt vor allem, dass sich das Bafög nicht mehr weiterentwickle. Seit 2001 habe es keine nennenswerten Reformen gegeben, nur noch unregelmäßige und nicht ausreichende Anhebungen der Bedarfssätze und Freibeträge. Dabei schätzt sie das Bafög als sehr wichtig ein: „Es geht um nichts weniger als Chancengleichheit in der Bildung.“ Als wichtigste Änderungsvorschläge nennt sie die Punkte, auf die sich die Hochschulrektorenkonferenz im April geeinigt hatte: die Bemessungsgrenze für die Einkommens- und Vermögensfreibeträge der Eltern anpassen, die Regelstudienzeit um zwei zusätzliche Semester erweitern, die Altersgrenze streichen, die Förderung für Teilzeitstudierende öffnen und eine Nothilfe-Komponente für bundesweite Notsituationen, wie die Corona-Pandemie, zu ergänzen.
Die Initiative 50 Jahre BAföG – (K)ein Grund zum Feiern! hat ähnliche Kritikpunkte, geht aber noch weiter. Sie fordert, dass das Bafög wieder ein Vollzuschuss wird, also nichts mehr zurückgezahlt werden muss und dass die Regelstudienzeit kein Kriterium mehr ist. Wichtig wäre ihnen auch, dass es klare Perspektiven zur familienunabhängigen Förderung gebe, denn derzeit muss man seine Eltern verklagen, wenn sie einen nicht unterstützen wollen, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Insgesamt werden erhöhte Beiträge und eine Anpassung der Zuschüsse gefordert und auch das Bafög für Schüler:innen soll überarbeitet werden, sodass es ab Klasse 10 ohne Sonderbedingungen beziehbar ist.

Wie können Reformen bewirkt werden?

Zuständig für das Bafög ist das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBF), seit 2018 unter Leitung von Anja Karliczek. Es bereitet Änderungen vor, über die dann der Bundestag abstimmt. Seit 2015 bezahlt der Bund die Leistungen komplett, weswegen die Länder dabei auch kein Mitspracherecht mehr haben. Dass es an Reformwillen in den letzten Jahren gemangelt hat, überrascht bei der Aussage der Bildungsministerin in einem Spiegel-Interview nicht: „Man muss ja nicht in die teuersten Städte gehen, wir haben auch hervorragende Standorte in Gegenden, in denen Wohnen nicht so teuer ist.” Heuschkel hofft, dass das Ministerium eine Bafög-Reform zuoberst auf die bildungs- und hochschulpolitische To-do-Liste einer neuen Bundesregierung nach der Wahl im Herbst setze. Aber auch andere staatliche Organe üben Druck auf die Regierung aus. Das Bundesverwaltungsgericht ist überzeugt, dass der Bedarfssatz des Bafögs zu niedrig berechnet wird und deswegen nicht mit einem gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten vereinbar sei.

Das Bundesverwaltungsgericht ist überzeugt, dass der Bedarfssatz des Bafögs zu niedrig berechnet wird.

Das Gericht ist aber allein nicht berechtigt, diese Verfassungswidrigkeit festzustellen und hat sie deswegen dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Wenn dieses das Urteil bestätigt, muss der Satz neu berechnet und erhöht werden, was als Grundlage für eine umfassende Reform genutzt werden könnte. Noch steht das Urteil zwar aus und vor den Wahlen wird es wohl keine neuen Reformen mehr geben, aber die Kritik am Jubilanten mehrt sich und es bleibt zu vermuten, dass das Bildungsministerium darauf auch irgendwann reagieren wird, spätestens, wenn es dazu gezwungen ist.

Schreibe einen Kommentar

*