Dann nehmen wir es halt von den Studierenden

Aufgrund einer finanziellen Notlage diskutiert der Stadtrat über die Einführung einer Zweitwohnsitzsteuer. Ist die Hauptwohnsitzkampagne zu ineffektiv?

Von Lukas Hillmann

Jena ist in finanzieller Not und ausgerechnet Studierende könnten Abhilfe schaffen – wenn es sein muss, durch Zwang. Die Finanzeinbußen der Corona-Pandemie ließen auch die Gewerbesteuereinnahmen um ein Drittel einbrechen, weshalb die Stadt bereits im Oktober 2020 eine Haushaltsnotlage verkünden musste. Konsequenzen wären für die Stadt die Vorlage eines Haushaltssicherungskonzepts, in dem sie aufschlüsselt, welche Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren ergriffen werden sollen, um den Haushalt auszugleichen. Dabei wurde auch eine vor allem für Studierende relevante Maßnahme diskutiert: die geplante Einführung einer Zweitwohnsitzsteuer.
In einem Entwurf für die Haushaltssicherung vom November 2020 steht, dass es zu einer Einführung der Zweitwohnsitzsteuer im Jahr 2022 kommen könne, wodurch sich die Stadt zusätzliche Einnahmen von einer Million Euro jährlich verspricht. 700.000 Euro davon würden Studierende beitragen. Aufgrund der schwierigen finanziellen Gesamtsituation konnte jedoch die Gesetzeslage des Thüringer Kommunalgesetzes geändert werden, sodass das Haushaltssicherungskonzept erst einmal vom Tisch ist, „wenn mit der Haushaltssatzung alle Sparmöglichkeiten ausgenutzt“ würden, wie das Gesetz nun vorschreibt. Im Zuge des Beschlusses über den Doppelhaushalt wurde auf die Zweitwohnsitzsteuer bis 2022 erst einmal verzichtet. Wie es danach aussieht, hänge laut Bürgermeister Thomas Nitzsche von den konkreten Einnahmeentwicklungen der Stadt ab.

König ist, wer gefälligst seinen Hauptwohnsitz in Jena anmeldet.
Foto: Tim Große


Auch wenn die Stadt nun kein Haushaltssicherungskonzept vorlegen muss, bleibt die finanzielle Notlage bestehen und es muss gespart werden, wo gespart werden kann. Laut CDU-Fraktion im Stadtrat sei der Haushalt bereits seit 2018, also schon vor Corona, defizitär, was sich durch steigende Ausgaben noch verstärke. Diese müssten daher vor allem gesenkt werden oder – realistischer – dürften nicht weiter ansteigen. Doch auch sinkende Ausgaben seien nicht ausreichend, die Stadt brauche Geld. „Wo mehr Einnahmen erzielt werden können, soll das ohne Belastung der Bürgerinnen und Bürger geschehen“, so Bastian Stein von der CDU-Fraktion im Stadtrat. Der Zuzug von Studierenden könne diese Einnahmen durch Schlüsselzuweisungen steigern. Eine richtige Steuererhebung wäre das nicht, vorausgesetzt Studierende melden brav den Hauptwohnsitz an. „Das Ziel einer solchen Steuer wäre aus Sicht der Stadt ihre Vermeidung. Wir wollen von den Studierenden nicht ihr Geld, sondern ihren Hauptwohnsitz“, sagt Nitzsche. Aber braucht es einen steuerlichen Zwang, damit sich Studierende ummelden?

Ist eine Steuer effektiv?

Schon in den 90er Jahren gab es eine Debatte um eine mögliche Zweitwohnsitzsteuer in Jena. Damals lag die Stadt unter der 100.000-Einwohner-Marke, die eine Stadt zur Großstadt macht. Aus diesem Grund wurde 2003 temporär eine Zweitwohnsitzsteuer eingeführt – mit Erfolg: 71 Prozent aller Neuanmeldungen der 18- bis 30-jährigen in Jena waren Hauptwohnsitzanmeldungen. Seit 2003 bedient sich Jena jedoch einer Strategie, die positive Anreize schaffen soll. Sie will Studierende mithilfe einer Prämie dazu bewegen, ihren Hauptwohnsitz umzumelden. Zunächst gab es 270 Euro für eine Ummeldung, ab 2008 bekamen Studierende immerhin noch 240 Euro und seit 2013 beläuft sich die Prämie auf 120 Euro, aufgesplittet in 60 Euro für zwei Semester.
Zusätzlich finanziert die Stadt eine Hauptwohnsitzkampagne, die von der studentischen Agentur Goldene Zwanziger seit 2003 geplant und durchgeführt wird. Die Kampagne soll Studierende über die Prämie informieren und sie dazu bewegen, ihren Hauptwohnsitz hier anzumelden. Zwischenzeitlich wurde mit der Kampagne eine Hauptwohnsitzquote von fast 80 Prozent erreicht. Aktuell besteht keine akute Gefahr, dass Jena seinen Großstadtstatus verlieren könnte. Im Jahr 2021 zählt die Stadt rund 108.000 Einwohner:innen mit Hauptwohnsitz. Vielmehr erhofft sich die Stadt eine finanzielle Erleichterung. Pro gemeldete Person erhält die Stadt jährlich 1.100 Euro an Schlüsselzuweisungen vom Freistaat – Geld, das in finanzieller Not nicht fehlen darf.

Um den Hauptwohnsitz zu bewerben, griff die Agentur sogar in die Meme-Kiste, allerdings mit wenig Erfolg: Der Beitrag erhielt nur 27 Likes.

Als die Stadt zum ersten Mal Studierende der Kommunikationswissenschaft mit der Planung und Durchführung der Hauptwohnsitzkampagne in Jena beauftragte, war das der Startschuss für die Gründung des Vereins Goldene Zwanziger e.V., der sich zur umsatzstärksten studentischen Agentur für Kommunikation Deutschlands entwickelt hat. Neben anderen Projekten planen sie seit 2003 durchgängig die Hauptwohnsitzkampagne für die Stadt und werben mit Goodies, Gutscheinen und kleinen Robotern für die Anmeldung des Hauptwohnsitzes. 2018 stach die Kampagne „Home is where your Hauptwohnsitz is“ vor allem durch Stoffbeutel heraus, die auf dem Campus verteilt wurden. „Die Leute sind vor allem durch unsere Plakate, Gewinnspiele und die Hauptwohnsitzparty auf den Ummeldebonus aufmerksam geworden“, reflektiert Caroline Schöwe, Finanzvorständin des Vereins. In den Jahren 2018 und 2019 haben 72 und 75 Prozent der 18- bis 30-jährigen Jena zum Hauptwohnsitz gemacht. „Man kann schon davon ausgehen, dass Studierende durch unsere Kampagne auf den Geldbonus gestoßen sind, weil der sonst nirgends beworben wird“, so Schöwe.

Oder hilft eine starke Kampagne?

Durch die Pandemie fand die Kampagne, die die Stadt 22.000 Euro kostete, im letzten Jahr ausschließlich online, vor allem auf Instagram, statt. Unter dem Motto „Back to the Future – Starte deine Zukunft mit dem Hauptwohnsitz“ starteten zwei Instagram-Accounts, die Fakten und Sehenswürdigkeiten der Studienstadt Jena bereithielten. Nebenbei wurden die altbekannten „Grillen oder Braten“-Diskussionen ausgegraben und die Frage, ob „Dreiviertel“ nun „Viertel nach“ oder „Viertel vor“ bedeute, wurde natürlich auch gestellt. Um den Hauptwohnsitz zu bewerben, griff die Agentur sogar in die Meme-Kiste, allerdings mit wenig Erfolg: Der Beitrag erhielt nur 27 Likes.
Die Zielgruppe – Erstis, die möglichst schnell ihren Hauptwohnsitz anmelden sollen – fühlt sich anscheinend nicht wirklich angesprochen. Man könnte hier die Frage stellen, ob sie den Film noch kennen, auf den die Kampagne anspielt. Und wenn ja, dann stellt sich die nächste Frage: Was hat der Film mit der Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu tun? Immerhin erreicht der zweite, nicht ganz so auffällig bunte Instagram-Account der Kampagne fast 700 Follower:innen, aber auch hier sieht es mit der Engagement-Rate eher mau aus.
Schöwe, die für die Roboterkampagne als Projektleiterin fungierte, spricht sich dennoch für den Erfolg der Kampagne aus: „Vom Umfang war die Kampagne wesentlich kleiner, aber dafür ist sie von den Zahlen her ganz gut ausgefallen.“ Und die Zahlen sprechen tatsächlich auf den ersten Blick für die Kampagne: Setzt man die Quoten der Erst- und Zweitwohnsitze ins Verhältnis, festigt sich immerhin eine 70-prozentige Hauptwohnsitzquote. Und das trotz der schlechten Engagement-Rate auf Instagram. Ist die Kampagne vielleicht gar nicht ausschlaggebend, sondern eher der Bonus von 120 Euro, der laut Agentur „die dauerhaft klaffende Lücke im Portemonnaie der Studierenden füllen soll“?

Es bestehe die Gefahr, dass weniger Studierende nach Jena ziehen und der geplante Effekt nicht eintrete.

Fakt ist, dass der Bonus für die Hauptwohnsitzanmeldung fast ausschließlich über die Kampagne kommuniziert wird, sie trägt also wahrscheinlich einen Teil zur Quote bei. Es ist aber auch Fakt, dass die Kampagne schon bessere Jahre gesehen hat. In den Jahren 2013 bis 2015 lag die Hauptwohnsitzquote bei fast 80 Prozent, deutlich mehr als 2003 mit der Einführung der Zweitwohnsitzsteuer. Tina Rudolph, Vorsitzende des Studierendenbeirats Jena, sagt, dass eine Rückkehr zu diesen hohen Quoten eine Mehrsumme von 300.000 Euro für die Stadt bedeuten könne, die Hälfte der Einnahmen, die sich die Stadt durch eine Zweitwohnsitzsteuer von den Studierenden erhofft.

Sichere Einnahme vs. solidarische Entlohnung

Wie kann die höhere Quote nun erreicht werden – durch eine bessere Kampagne oder doch durch die Steuer? Aktuell laufen die Verhandlungen zwischen den Goldenen Zwanzigern und der Stadt noch, der Bürgermeister hat die Finanzierung der Kampagne in den nächsten beiden Jahren uns gegenüber bereits zugesagt. Auch er spricht sich für den überaus großen Erfolg der Kampagne aus, die zu Beginn des Wintersemesters jedes Mal auf sympathische Weise stadtbildprägend sei. Wirklich erfolgreich ist die Kampagne aber nur, wenn sie die Zweitwohnsitzsteuer abwenden kann – auch wenn der Fiskus in zwei Jahren wieder vor der Tür steht.
Die Linken-Fraktion im Stadtrat spricht sich gegen die Einführung einer Zweitwohnsitzsteuer aus. Sie befürchtet einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Hochschulstandorten. Es bestehe die Gefahr, dass weniger Studierende nach Jena ziehen und der geplante Effekt nicht eintrete. Auch der Studierendenbeirat der Stadt und die beiden Sturas sprechen sich gegen die Steuer aus. Studierende müssten neben finanziellen Schwierigkeiten auch weitere negative Konsequenzen durch die geplante Zweitwohnsitzsteuer tragen. So entfalle das Wahlrecht, bisweilen seien Mitgliedschaften im Heimatort betroffen. Erhebe der Heimatwohnort bereits eine Zweitwohnsitzsteuer, so könnten Betroffene dieser nur schlecht ausweichen. Der Beirat spricht sich für eine Bestärkung der Hauptwohnsitzkampagne aus und verweist auf das Erfolgsmodell der Bonuszahlungen. Weimar habe kürzlich einen Bonus eingeführt und zahle sogar 300 Euro an die Studierenden. Auch der Senat der Uni Jena spricht sich einstimmig gegen die Einführung der Steuer aus und schließt sich den Forderungen des Studierendenbeirats an.
Sicherlich könnten sowohl eine gestärkte Hauptwohnsitzkampagne als auch eine Zweitwohnsitzsteuer den Haushalt der Stadt um ein paar Euro bereichern. Ein Konzept arbeitet mit einem Belohnungssystem und die Stadt hätte zwar eine unsicherere, dafür aber studifreundliche Maßnahme ergriffen. Die andere arbeitet mit Zwang und bedeutet sicheres Geld in schwierigen Zeiten, aber leider von Menschen, deren Lücke im Portemonnaie zurzeit auch eher größer denn kleiner wird. Bleibt abzuwarten, für welche Lösung sich der Stadtrat entscheiden wird.

Gegendarstellung des Goldene Zwanziger e.V.:

Anzumerken ist, dass das Ziel der Hauptwohnsitzkampagne zu keinem Zeitpunkt war, viele Likes oder Follower zu generieren. Die Social-Media-Kanäle dienten im letzten Jahr nur als unterstützende Maßnahme, um zusätzliche Aufmerksamkeit und Aufrufe der Hauptwohnsitz-Webseite zu erlangen. Und dass dies gut gelungen ist, zeigen die (unter anderem auf der Pressekonferenz im Dezember 2020) veröffentlichten Zahlen. Der Erfolgsindikator der Kampagne misst sich letztendlich daran, wie viele Personen ihren Hauptwohnsitz angemeldet haben. Im Kampagnenzeitraum des letzten Jahres waren dies 1.656 Personen. Das ist, trotz der vielen pandemiebedingten Einschränkungen, wie beispielsweise der weggefallenen dreiwöchigen Campus-Promotion, der fehlenden Plakate und Hauptwohnsitzparty sowie des deutlich reduzierten Budgetumfangs im Vergleich zu den vorherigen Jahren, sehr gelungen. Um eine Entwicklungsbilanz der Kampagne ziehen zu können, sollten ebenfalls die Zahl der rückläufigen Einwohnerentwicklung der Stadt, aber auch die besonderen Umstände des letzten Jahres, wie zum Beispiel das durchgeführte Online-Semester und die fehlenden internationalen Studierenden berücksichtigt werden.

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