Die Schreber-Streber

Viele Studierende träumen von der Parzelle im Grünen. Wie ist es, neben dem Studium einen Kleingarten zu bewirtschaften?

Von Lukas Hillmann

Ein Tor trennt die Anlage von der Außenwelt. Ein Tor, das natürlich mit Stacheldraht versehen ist, um Unbefugte fernzuhalten. Wer kein Mitglied ist, hat keine Chance, die Kleingartenanlage zu betreten. Ich stehe davor und werde von einer Gärtnerin beäugt, die misstrauisch fragt: „Gehören Sie hier überhaupt dazu?“ „Ich bin nur zu Besuch.“ „Na, ich will Ihnen mal glauben.“

Louise und Paul in Omas Garten
Foto: Dominik Itzigehl


Freundlicherweise wird einem der Zutritt gewährt und man steht in der Anlage des Kleingartenvereins Rautal e.V. Hinter dem Tor befinden sich hübsche, kleine Parzellen mit ordentlich angelegten Blumenbeeten, blühende Tulpen in allen möglichen Farben und bunte Plastikwindräder, die sich durch den Sturm an diesem Tag Anfang Mai schneller drehen als gewöhnlich. Geht man vorbei an selbstgebauten Lauben und dekorativen Tonscheiben mit der Aufschrift „Unkraut zu verschenken“, so steht man bald in der Parzelle von Louise und Paul.

Der Traum vom Garten

Die beiden haben das Glück, einen Kleingarten bewirtschaften zu können, umgeben von Rentner:innen und Familien. Ihr Garten gehört seit fast 40 Jahren Pauls Oma, die nicht mehr genug Kraft hat, um ihn allein in Schuss zu halten. „Für sie hängen aber zu viele Erinnerungen am Garten, um ihn einfach aufzugeben. Deshalb hatte Paul letztes Jahr die Idee, den Garten zu übernehmen und ich fand das mega“, berichtet Louise. Eine Win-win-Situation für alle: Die Oma kann den Garten behalten, die Studierenden haben ein Refugium im Grünen und die Nachbar:innen freuen sich, dass der Rasen hin und wieder gemäht wird.
Wenn Louise in den Garten geht, sperrt sie zuerst die Gartenlaube auf und stellt Stühle auf die kleine Terrasse, obwohl sie genau weiß, dass sich niemand auf diese Stühle setzen wird. Es wartet schließlich genügend Arbeit. Die Pfingstrosen benötigen mehr Licht, das Unkraut muss gejätet, das neue Beet umgegraben und das alte mit Kompost angereichert werden. Wenn sie sich eine Aufgabe vornimmt, fallen ihr bei der Bearbeitung zehn weitere To-Dos ein, die am besten heute noch erledigt werden müssen. Und den Rasen darf sie auch nicht vergessen.
Viele Studierende träumen vom eigenen Garten. Durch die Digitalsemester verbringen sie mehr Zeit in ihren WG-Zimmern und wünschen sich einen Ausgleich in der Natur. Im eigenen Garten kann man leichter Abstand von anderen halten als im Park und man hat zusätzlich ein Hobby, das der neuen Tristesse einen Sinn verleiht. Schließlich hält man die Früchte seiner Ernte am Ende auch wirklich in den Händen. Doch leicht ist der Weg in den Kleingartenverein nicht. Holger Eismann, Vorsitzender des zuständigen Regionalverbands der Kleingärtner, zählt 325 Plätze auf der Warteliste für Jena, was einer Wartezeit von bis zu einem Jahr entspreche. In den letzten Jahren sei die Nachfrage exponentiell gestiegen. Da die Alten länger fit bleiben und ihre Gärten später abgeben würden, bilde sich ein Rückstau, der die jungen, nachrückenden Familien betreffe. Ein Garten neben dem Bachelor wird damit zum nahezu ungreifbaren Traum. Beziehungen zu Omas, wie sie Louise und Paul haben, helfen aber, ihn zu verwirklichen. Durch die jahrelange ehrenamtliche Vereinsarbeit der Oma genießen die beiden sogar eine Art Kündigungsschutz.

„Nach dem ersten Frühlingsgewitter gibts kurze Hosen zu tragen“

Nachdem sie die Stühle herausgestellt hat, begeht Louise den Garten und überlegt, welche Aufgabe als erstes erledigt werden soll. „Zu Beginn des Jahres habe ich einen Plan aufgestellt, was ich in diesem Jahr im Garten erreichen möchte.“ Das zweite Beet, das seit Jahren brach liegt, soll in dieser Saison wieder zum Einsatz kommen. Außerdem müssen die Rosen zurückgeschnitten und die Himbeeren ausgegraben und an einer anderen Stelle neu eingepflanzt werden. Ihr Wissen über die Gartenarbeit eignet sich Louise neben Tipps von den Eltern mithilfe der BBC-Serie Gardener’s World an. Und weiß sie akut nicht weiter, kann sie jederzeit googeln, wie Sträucher am besten verjüngt werden.
Bei der Begehung fällt auf, dass die Kleingärten nur zum Weg hin mit Zäunen und Hecken versehen sind. Zu den Seiten und nach hinten gibt es keine Grenzen zwischen den Gärten. So exklusiv die Anlage nach außen ist, so offen scheinen die Mitglieder miteinander umgehen zu können. Grenzunstimmigkeiten will Louise zwar nicht ausschließen, sie selbst sei damit aber noch nicht konfrontiert worden. Sie könnte Glück mit den Nachbar:innen haben, vielleicht spricht das aber auch für die Stimmung der gesamten Anlage. Patriotische Flaggen sind zumindest in der direkten Umgebung nicht zu sehen. Bei der Gartenschau trifft sie auf eine Nachbarin, die gerade Unkraut zupft und ein Gespräch über das schlechter werdende Wetter beginnt: „Nach dem ersten Frühlingsgewitter gibts kurze Hosen zu tragen, hat man bei uns immer gesagt.“ Sie lässt sich vom Wetter nicht beirren und zupft weiter fleißig Unkraut, während Louise Schutz in der Gartenlaube sucht.

Fugenkratzer für Nachbars Seelenwohl

Im kleinen Häuschen, wo sich der Einfluss der Oma noch am stärksten erkennen lässt, riecht es nach dem typischen Laubengeruch. Hier stehen der Gartentisch mit der Wachstuchtischdecke, Gartenstühle mit geblümten Polstern und kleine Matrjoschkas zur Dekoration. Neben großen Gartengeräten, wie dem Rasenmäher, findet man auch einen Fugenkratzer für das Seelenwohl besorgter Nachbar:innen. Zusätzlich gibt es Küchenschränke, die besser ausgestattet sind als so manche WG-Küche, eine Kochstelle und sogar eine Toilette. Gäbe es das Kleingartengesetz nicht, könnte man hier problemlos dauerhaft leben. So lässt sich zumindest ein Frühlingsgewitter aushalten. Als Anzuchtstation dient die Laube aber nicht, die kleinen Zucchinis und Tomaten wachsen gerade noch auf dem WG-Schreibtisch. Aus der Anzucht wurde schnell ein WG-Projekt mit täglichem Gießdienst, damit die Pflanzen auf ihre Saison hier draußen optimal vorbereitet werden.
Ist das Leben im Kleingarten spießig? Klar gibt es Regeln, an die sich gehalten wird. Ein Drittel der Fläche muss dem Anbau von Nutzpflanzen dienen, es müssen Blumen für die ästhetische Außenwirkung angepflanzt werden und einige Nachbar:innen reden gern davon, wie es besser geht und beobachten stets, ob der Rasen gemäht ist oder das Unkraut gejätet, damit sich die Ackerwinde nicht noch weiter verbreitet. Gleichzeitig haben junge Menschen die Möglichkeit, frischen Wind in die Anlagen zu bringen. Louise achtet darauf, den Rasen nicht zu häufig zu mähen, um den Bienen genügend Nahrung zu erhalten. Sie pflanzt neben roter Beete und Radieschen auch experimentelle Pflanzen wie Luffa-Gurken, um im Sommer einen nachhaltigen Schwammersatz zu ernten.

„Tomaten müssen hoch gebunden werden!“

Viele Möglichkeiten zum intergenerationalen Austausch gab es bisher jedoch nicht. Zwar grüßen die älteren Menschen gern, führen Small Talk und geben praktische Tipps (Tomaten müssen hoch gebunden werden!), aber ein echtes Kennenlernen konnte noch nicht stattfinden. Das mag am Altersunterschied liegen oder daran, dass alle vereinsinternen Veranstaltungen, wie das Oktoberfest oder das Skatturnier, im letzten Jahr ausfallen mussten. Bleibt zu hoffen, dass es bald wieder möglich sein wird, auch neue Erfahrungen in das Vereinswesen einbringen zu können.
Nach dem Gewitter kann heute nicht mehr viel im nassen Garten gearbeitet werden. Wir beschließen, die Parzelle zu verlassen und gehen durch das Tor mit dem Stacheldraht zurück in Richtung Jentower. Für das Verlassen der Anlage benötige ich übrigens keine Hilfe, von innen kann das Tor geöffnet werden. Ich gehe nach Hause und lege meine kurzen Hosen bereit. Bleibt zu hoffen, dass die fleißige Gärtnerin recht hatte mit ihrer Wetterregel.

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