Instagram, erklärt für Boomer

Im März erschien in schicker Suhrkamp-Aufmachung das Buch Influencer – Die Ideologie der Werbekörper von dem Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt und dem Jenaer Wirtschaftsstudenten Ole Nymoen. Eine Rezension.

Von Johanna Hungerer

Jan Böhmermann klärte sein Publikum vor kurzem in einer Folge seiner Sendung über die Influencerinnen auf, die scheinbar in Scharen in die Vereinigten Arabischen Emirate auswandern. Um dort Werbung zu machen – für den achsogönnerhaften Staat beispielsweise („I like, I like, beauutiful“) und nebenbei von einer Menge Werbekooperationen profitieren. Steuern sparen, dem kühlen Pandemiedeutschland entfliehen, die Follower trotzdem mitnehmen und bewundert werden, die habens gut.
Diese manipulativ und antiaufklärerisch agierenden Sozialfiguren, wie die Autoren die Influencer schon im Vorwort betiteln, sind, wie ihre Berufsbezeichnung schon vermuten lässt, prägende Phänomene der heutigen Pop- und Konsumkultur. Ole Nymoen, ein Jenaer Wirtschaftsstudent, und Wolfgang M. Schmitt erläutern das gesellschaftspolitische Dilemma des Influencertums und beleuchten viele Aspekte dessen in hohem Maße berechtigt kritisch.

Foto: Suhrkamp

Der deutlich größere Anteil des Publikums der Influencer kann nicht zwischen dem ehrlichen Beleuchten über ein Herzensthema und dem antialtruistischen, werbepartnerfinanzierten „Ich-verrate-euch-mal-was-Besonderes“-Aufklären unterscheiden. Die Welt ist so komplex geworden, dass über Aufklärer aufgeklärt wird, die dafür widerum selbst in kritisches Licht gerückt werden. Es ist nicht mehr zu erkennen, wer es nun wirklich noch gut mit einem meint, und der sogenannte Influencer trägt nicht unbedingt einen entwirrenden Anteil dazu bei. Allerdings stellen sich die Autoren des Sachbuches mit ihrer unempathischen Art zu schreiben weit über die Leserin. In jedem Satz schwingt mit, dass sie offenbar als einzige durchschaut haben, dass diese „wandelnden Litfaßsäulen“ als Retter des Kapitalismus auftreten, um nur den eigenen Ruf und Kontostand aufzubessern. Es ist keineswegs zu widersprechen, dass dieses konsumförderde Phänomen „Influencer“ eine Gefahr für eine selbstbestimmte, progressive Generation Z darstellt. Aber man kann auch nicht alle Figuren, die Einfluss auf das Denken und Handeln einer Gesellschaft haben, über den bitteren Kamm des Dubai-Influencers von Böhmermann scheren. Das wird einer Greta Thunberg einfach nicht gerecht.

Über die Sprache selbst bleibt noch zu sagen, dass man beim Lesen den Eindruck hat, dass einfache Sachverhalte bewusst so komplex wie möglich beschrieben werden, um sich vom nicht-akademisch-vorbelastetem Publikum möglichst abzugrenzen. Die Autoren verlieren sich in unpassenden Literaturvergleichen; ob Brecht oder Marx – dem Leser wird die Meinung quasi aufgebunden und es bleibt wenig Raum für Eigeninterpretation.
Dennoch erhält man durch das Buch einen gut recherchierten, ideologiekritischen Überblick über ein Thema, dass jede und jeden nachdenklich stimmen sollte. Wenngleich auch spektakuläre Erkenntnisse ausbleiben, strukturieren die beiden Autoren den Inhalt klar und ordnen ihn in größere Zusammenhänge, wobei sie fokussiert bleiben und polemisch auf dem Fundament berechtigter Kritik stehen.

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