Staatssekretär für Hochschulen: “Präsenzlehre ab Ende Mai ist realistisch”

Carsten Feller (SPD) ist Thüringer Staatssekretär für Wissenschaft und Hochschulen. Ein Gespräch über den schleppenden Digitalausbau, die späte Verlängerung der Regelstudienzeit und die Zukunft der Präsenzlehre.

Das Interview führte Tim Große

Die Thüringer Strategie zur Digitalisierung im Hochschulbereich wurde 2017 ins Leben gerufen. Das sind 51 Jahre nach Erfindung des Internets. Kam die Strategie etwas verspätet?
Nein, das kann man nicht sagen. Bei einer guten Kombination aus digitalen Unterstützungselementen und Präsenzveranstaltungen waren die Hochschulen in der Tat zögerlich. Aber es ist auch in Thüringen so, dass das erste Programm zur Förderung von E-Learning um die Jahrtausendwende kam und es trotzdem Vorbehalte gegen die Form der Lehre gegeben hat und immer noch gibt. Deswegen ist Corona eine riesige Chance für diesen Bereich. Meine Hoffnung ist, dass dadurch Berührungsängste abgebaut werden und viele sagen, das ist ja keine schlechte Sache.

Also läuft in der Digitallehre alles spitze?
Natürlich hat nicht alles funktioniert. Wir mussten an den Hochschulen die Digitalinfrastruktur neu aufbauen. Weder war die Verwaltung darauf eingestellt, überwiegend im Homeoffice zu arbeiten, noch hat digitale Lehre in dem nötigen Umfang sofort geklappt. Wir haben das landesseitig mit 2,2 Millionen Euro im ersten Schritt und nochmal 2,8 Millionen Euro im zweiten Schritt unterstützt, um die digitale Lehre möglichst gut stattfinden zu lassen. Im Ergebnis hat das gut geklappt.

Staatssekretär Feller beim Gespräch mit dem Akrützel im Erfurter Wissenschaftsministerium. Fotos: Dominik Itzigehl


Das eingeschränkte Lehrangebot macht ein Studium in der vorgesehenen Regelstudienzeit schwer möglich. Trotzdem hat sich Thüringen erst Mitte März als letztes Bundesland dazu entschieden, diese pauschal um zwei Semester zu verlängern. Warum so spät?
Mir war wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, es gäbe eine Art Nullsemester, das schon von vornherein als abgehakt betrachtet werden kann. Das wäre nicht verantwortlich gewesen, da geht es auch um die Lebenszeit von Studierenden. Zumal zu diesem Zeitpunkt niemand wirklich davon ausgegangen ist, dass die Pandemie tatsächlich so lange andauern würde. Deswegen war es aus meiner Sicht damals das richtige Signal zu sagen, wir organisieren das so, dass der Studienalltag möglichst ungestört stattfinden kann, und nur wenn das nicht funktioniert, dann wird das Semester nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet. Aber in den meisten Fällen hat es eben funktioniert. Dann war es aus meiner Sicht ein Erfolg, zu sagen, wir verlängern nicht pauschal.

“Mir war wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, es gäbe eine Art Nullsemester.”

Und die Qualität des Studiums war Ihnen egal?
Wir haben eine Regelung im Mantelgesetz eingeführt, mit der die Studierenden, die glaubhaft machen können, dass sie wegen Corona das Semester nicht in vollem Umfang studieren konnten, das nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet bekommen. Insgesamt haben etwa 1200 von 50.000 Studierenden einen solchen Antrag gestellt, was für mich bedeutet, dass der allergrößte Teil trotz dieser Krise das Studium halbwegs ordentlich weiterführen konnte.
Jetzt haben Sie festgestellt, dass es doch nicht so gut läuft und rückwirkend das Beste daraus gemacht?
Von Anfang an zu sagen, das macht nichts, es gibt eine Verlängerung der Regelstudienzeit, wäre kein gutes Signal gewesen. Irgendwann muss man aber zur Kenntnis nehmen, dass die Pandemie deutlich länger dauert, als wir das alle im März letzten Jahres geahnt haben, und muss dann mit anderen Maßnahmen darauf reagieren. Deshalb gibt es jetzt die pauschale Verlängerung der Regelstudienzeit.

Wird der Präsenzlehre langfristig weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden?
Ich bin kein Freund davon, jetzt komplett auf digitale Lehre umzustellen, denn dann würde sich – etwas zugespitzt – die Frage stellen, warum ich in Erfurt, Jena studieren soll oder ob nicht eine Uni deutschlandweit ausreicht. Der Kontakt, nicht nur zu den Professorinnen und Professoren, sondern auch zu den Kommilitonen, ist extrem wichtig. Viele Studiengänge leben von der intensiven Diskussion – das geht online auch, aber viel schlechter. Ein weiteres Thema sind die Bibliotheken. Wir hatten vor 20 Jahren noch eine weitgehende Präsenzbibliothekslandschaft. Inzwischen geht viel mehr des Beschaffungsbudgets in digitale Zeitschriften und Literatur als in Präsenzbestände. Und wenn man nochmal 20 Jahre weiterdenkt, ist meine Vermutung, dass alles elektronisch publiziert werden wird. Und dann stellt sich die Frage, ob man sehr große Bibliotheken mit Lesesälen noch braucht, oder ob diese umgebaut werden in Orte mit Arbeitsplätzen und Gruppenräumen.

An der EAH fanden bis zuletzt alle Prüfungen in Präsenz statt. Begründet wurde dies mit rechtlichen Unklarheiten. Was ist dran?
Es gibt die gesetzlichen Grundlagen, Prüfungen datenschutzkonform digital durchzuführen. Dabei darf man, wie Sie sagen, auch über die Kamera des Laptops beobachtet werden. Dass alle Prüfungen in Präsenz stattfinden, ist ein Punkt, der schwierig ist. Wir haben in der letzten Runde mit den Präsidenten darauf gedrängt, dass möglichst viele Prüfungen digital stattfinden. Die Prüfung ist aber Teil der Lehre. Und diese steht unter einem besonderen grundgesetzlichen Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre. Und deshalb ist es schwierig, mit einer Maßgabe des Landes auf eine konkrete Prüfungsentscheidung einzuwirken. Ich nehme zur Kenntnis, dass das nicht überall gelungen ist.
An einigen sächsischen Hochschulen gibt es zumindest für Studienanfänger eine Rückkehr zu einem begrenzten Präsenzangebot im Verbund mit einem negativen Test. Wäre dies in Thüringen momentan auch umsetzbar?
Grundsätzlich schon. Alle Hochschulen haben ja im geringen Maße Präsenzveranstaltungen, und die kann man ausweiten, wenn man sie mit Testkonzepten verbindet. Das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes setzt nun aber in ganz unguter Weise Hochschulen mit Schulen gleich; das besagt, dass ab einer Inzidenz von 165 keinerlei Präsenzangebote mehr stattfinden dürfen. Das ist aus unserer Sicht unsinnig, weil die Lehrveranstaltungen an Hochschulen überhaupt nicht mit denen an Schulen vergleichbar sind.

Die FSU zeigt hier Initiative und hat ein eigenes Testzentrum in Betrieb genommen. Bekommt sie dafür zusätzliche Unterstützung von Land?
Nein, das finanziert die Hochschule aus den eigenen Mitteln, dazu sind sie auch in der Lage.
Zieht sich das Ministerium damit nicht aus der Verantwortung?
Wir geben das nicht vor. Es gibt Regeln für die Beschäftigten an den Hochschulen, das sind zwei Testangebote pro Woche. Und dann gibt es die Möglichkeit von Hochschulen, Tests in ihr Hygienekonzept einzubauen, um beispielsweise bestimmte Präsenzsituationen zu ermöglichen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Hochschulen das in ihrer eigenen Verantwortung hinkriegen.
Warum spielen Studierende in der öffentlichen Wahrnehmung eine kleinere Rolle als Schüler?
Studierende sind im Unterschied zu Schülern ganz anders in der Lage, selbst zu lernen. Die Möglichkeit, Stoffe selbst zu erarbeiten, ist geradezu Inhalt des Studiums. Dass das Ganze zu psychischen Belastungen führt, ist aber auch verständlich.

Wie stark wurden die Hilfsprogramme für Studierende in finazieller Not nachgefragt?
Die Corona-Soforthilfe des Landes ist 367 mal bewilligt worden, das sind knapp 300.000 Euro.
Bei dem Programm StudienstarthilfePlus braucht es eine Verwendungsnachweisliste aller Ausgaben, sonst muss man die Unterstützung zurückzahlen. Das ist kein wirklich niederschwelliges Angebot.
Wir haben lange überlegt, ob das nicht einfacher geht. Aber wir sind da im Bereich des Zuwendungsrechts, und da kommt dann in zwei Jahren der Landesrechnungshof und guckt, ob wir mit den Steuergeldern so umgegangen sind, wie sich das gehört. Und dann ist eben ein zweckgebundener Nachweis erforderlich.

Welche nachhaltigen Folgen wird Corona in der Hochschullandschaft hinterlassen?
Ich hoffe, dass wir nicht allzu viele Studierende auf dem Weg verloren haben. Was Studienabbrüche anbelangt, können wir momentan noch nicht gut genug in den Statistiken sehen. Ich kann fast sagen, das ist jetzt meine dritte Pandemie. Ich habe schon Schweinepest und Geflügelgrippe in meinem aktiven Berufsleben hinter mir. Sätze wie „Das Leben ist danach nie mehr, wie es davor gewesen ist“ habe ich auch schon zweimal gehört. Der Wunsch nach Normalität wird sicher bald wieder dazu führen, dass man in alte Verhaltensweisen zurückkommt.

Momentan wird für Mitte Mai die Möglichkeit der Rückkehr zur teilweisen Präsenzlehre in Aussicht gestellt. Ist das wirklich realistisch?
Ich halte es für realistisch, dass mit zwei bis drei Wochen harten Lockdowns und zunehmenden Impfquoten eine begrenzte Präsenzlehre ab Ende Mai möglich ist. Aber mit Sicherheit kann man das heute nicht sagen.

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