Zuhause ist es am gefährlichsten

Häusliche Gewalt gegen Frauen rückt durch Corona in den Fokus. Dabei sind die Plätze in Frauenhäusern seit langem knapp. Auch die Jenaer Einrichtung verzeichnet erhöhten Beratungsbedarf.

Von Rebecca Bück

Jenas Altstadt ist – trotz der Pandemie – gut besucht. Menschen unterschiedlichsten Alters bahnen sich den Weg durch die Straßen, gehen einkaufen, zur Arbeit oder zur Uni; eine Gruppe junger Frauen überquert lachend die Ampel am Johannisplatz. Nicht einmal 500 m weiter, am anderen Ende der Wagnergasse, befindet sich das Büro des Jenaer Frauenhaus e.V., ein Ort, an den viele Frauen kommen, denen das Lachen vorerst genommen wurde.
16 Plätze hält das Jenaer Frauenhaus e.V. für Frauen und Kinder parat, von denen aktuell nicht alle besetzt sind. Damit ist Jena vergleichsweise gut aufgestellt. Zurzeit, so erklärt Kathrin Hampel vom Jenaer Frauenhaus e.V., müssen natürlich besondere Vorkehrungen getroffen werden, bevor man einen Platz bekommt. Um eine Corona-Ausbreitung zu vermeiden, werden Anwärter:innen zunächst in einer Quarantäne-Wohnung untergebracht und erst, wenn eine Infektion ausgeschlossen werden kann, können sie ins Haus umziehen. Ist diese Wohnung besetzt, müssen Betroffene zunächst abwarten oder werden an andere Frauenhäuser in Thüringen vermittelt. Das funktioniere ganz gut, dennoch mussten auch schon Frauen zurückgewiesen werden.

Foto: Domenik Itzigehl


Bei Bedarf kommt man aber sehr schnell an einen Platz im Frauenhaus – unabhängig davon, welcher Art von Gewalt man ausgesetzt ist. „Wenn die Frau davon berichtet, dass sie häusliche Gewalt erfährt (…), wenn sie nicht mehr bleiben kann und Angst hat, bedroht wird, ist das ein Grund, ins Frauenhaus zu gehen. Da unterscheiden wir auch nicht, ob das körperliche Gewalt oder psychische Gewalt ist, sondern wenn die Frau das für sich so einschätzt, dass es zu Hause nicht mehr geht, dann glauben wir ihr das auch“, versichert Hampel. Die Vermittlung braucht im besten Fall nicht mehr als zwei Stunden. Eine Priorisierung gebe es auch nicht, sondern jede Frau würde nach Möglichkeit versorgt. Auch Kinder können mit untergebracht werden, Mädchen altersunabhängig, Jungen bis 14 Jahre. Man soll sich aber auch melden, wenn man ältere Söhne hat, da immer der Schutz der Frau im Vordergrund steht. Die Sprache ist auch keine Barriere, da mit Dolmetscher:innen zusammengearbeitet wird. Leider ist ein Aufenthalt im Frauenhaus nicht kostenfrei. Den Betrag wollte Hampel im Gespräch nicht nennen, er sei aber gering und es handele sich um eine kleine Miete und die Nebenkosten. Hampel betont, dass, wer von häuslicher Gewalt betroffen ist, sich nicht scheuen sollte, Hilfe zu suchen. Entweder man vereinbart einen Termin bei der ambulanten Fachberatungsstelle, oder wendet sich direkt an die Polizei.
Die Corona-Pandemie hatte Auswirkungen auf häusliche Gewalt, auch in Jena. Zwar konnte laut Hampel kein direkter Zuwachs an neuen Anwärter:innen festgestellt werden, dafür aber nahm die Anfrage am Beratungsangebot zu. Besonders junge Frauen und auch viele Studentinnen meldeten sich wohl in der ambulanten Fachberatungsstelle. Konkrete Zahlen gibt es also nicht, es lässt sich aber vermuten, dass mit der Dunkelziffer auch in Jena die Zahlen stark angestiegen sind.

Häusliche Gewalt in Deutschland

Häusliche Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig und verborgen zugleich. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat jede dritte Frau schon einmal physische und/oder sexualisierte Gewalt erfahren, jede vierte wurde schon Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt durch ihre Partner:innen, unabhängig von ihrer Herkunft oder sozialer Schicht. Gewalt kann auch von der Familie oder den Mitbewohner:innen ausgehen und jede:n treffen. Da nie alle Fälle gemeldet werden (können), ist die Dunkelziffer weitaus höher. Das heißt, fast jede:r kennt eine Frau, die Gewalt erlebt hat.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich aus einer solchen Situation zu befreien: Generell gilt, Hilfe holen ist notwendig und um Hilfe bitten ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Selbstschutz. Bei akuter Gewalt sollte die Polizei gerufen werden; wer sich bedroht fühlt, kann sich entweder an vertraute Personen wenden oder Hilfe bei Frauenhäusern suchen. Besonders Frauen, die sich nicht an Familie oder Freund:innen wenden können, aber Bedarf nach Schutz haben, profitieren von dieser Institution.
Die Lage der Frauenhäuser in Deutschland ist allerdings prekär. Das CORRECTIV.Lokal-Netzwerk hat sich diesem Thema gewidmet und einen großen Mangel an Plätzen festgestellt, was auch der Dachverband Frauenhauskoordinierung e.V. bestätigt, der im Frühjahr 2020 meldete, dass in Deutschland mehr als 14.000 Plätze fehlten. Der eigentliche Soll verlangt, dass pro 10.000 Einwohner:innen eine Familie unterkommen soll, was auf Deutschland umgerechnet 21.429 Betten wären – aktuell sind lediglich 6.400 Betten vorhanden.
Mit der Corona-Pandemie nehmen die Fälle von häuslicher Gewalt zu. Die Lockdowns und die Anweisung, zu Hause zu bleiben, schützen zwar die Gesellschaft, Betroffene von häuslicher Gewalt leiden dafür umso mehr. Auf engem Raum konstant einander ausgeliefert zu sein, befeuert das durch Ängste oder Stress angeregte Gewaltpotential, was zumeist Frauen und Kinder zu spüren bekommen. „Eine umfangreiche Studie unter Leitung der Professorin Janina Steinert (TU München) und Dr. Cara Ebert (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) kommt zu dem Ergebnis, dass rund drei Prozent der Frauen in Deutschland in der Zeit der Kontaktbeschränkungen im Frühjahr 2020 zu Hause Opfer körperlicher Gewalt wurden. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft“, schreibt das CORRECTIV.Lokal-Netzwerk. Auch Tagesschau.de schrieb im Juli 2020, dass häusliche Gewalt vielerorts zunehme und beruft sich beispielsweise auf die Berliner Gewaltschutzambulanz, die im Monat Juni einen Anstieg von 30 Prozent der Fälle im Vergleich zum Vorjahr vermerkte. Da Betroffene noch seltener die Möglichkeit haben, den Täter:innen zu entkommen, melden viele die Vorfälle erst gar nicht. Deshalb schätzt die Bundesregierung die Dunkelziffer auf etwa 80 Prozent.
Das heißt also, dass auf der einen Seite die Fälle an häuslicher Gewalt immens zunehmen, auf der anderen Seite aber ein immer größerer Mangel an Plätzen in Frauenhäusern in Deutschland herrscht. Betroffenen von häuslicher Gewalt fehlen sowohl ein Rückzugsort wie auch Kontrollmechanismen durch Kolleg:innen, um diese schwere Zeit zu überstehen. Deswegen sind externe Rückzugsorte wie Frauenhäuser essentiell, um diese Menschen zu schützen.

Wie kann man Betroffenen helfen?

Was kann man tun, um Betroffenen zu helfen? Gerade wenn man als Nachbar:in vermutet, dass jemand misshandelt wird, sollte man nicht tatenlos bleiben, sondern einen Beitrag leisten, indem man sich aufmerksam zeigt und Betroffenen Hilfe anbietet. In diesem Fall komme es darauf an, ob man die Person kenne, meint Hampel. „Dann wäre es gut, es einfach anzusprechen, wenn man der Frau alleine begegnet und zu sagen ‚Ich hör das, ich mache mir Sorgen, brauchst du Unterstützung?‘ Es trauen sich viele nicht von allein, das Gespräch zu führen, weil sie sich schämen.“ Kennt man die Betroffene nicht, sollte man im Ernstfall auch die Polizei rufen. Ein beliebter Tipp ist auch klingeln und nach Eiern oder Mehl fragen; hier gilt aber Vorsicht. „Das finde ich nicht schlecht, ist aber risikobehaftet, weil man ja auch nicht weiß, was ist da los ist. Da muss man auf sich selber achten und es ist vielleicht besser, wenn man zu zweit klingelt.“
Häusliche Gewalt wird auch nach Corona noch relevant sein, weswegen der Kampf dagegen noch lange nicht vorbei ist.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des Akrützel mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden von Bürgern und Stiftungen finanziert. Mehr unter correctiv.org.

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