Wichsvorlagen, schnelles Geld und Feminismus

Die Plattform Onlyfans macht als Porno-Instagram von sich reden. Zwei Thüringerinnen berichten über ihre Erfahrungen mit dem Netzwerk.

Von Julia Keßler

Katy liegt unbekleidet in ihrem Bett. Die Bettdecke hat sie ein Stück zur Seite geschoben, sodass man Teile ihrer Tätowierungen erkennen kann. Auch ihre Brüste sind unbedeckt. Auf Instagram sind ihre Brustwarzen durch GIFs von stilisierten Brustwarzen verdeckt. Male Nipple steht plakativ darüber, denn anders als ihr weibliches Pendant werden männliche Brustwarzen auf Instagram nicht zensiert. Für die unzensierte Version des Bildes leitet Katy ihre Follower seit Kurzem zur Plattform Onlyfans weiter, denn das Netzwerk setzt genau dort an, wo Instagram sich durch die Zensur von Nacktheit und pornografischen Inhalten Grenzen gesetzt hat.
Auf der 2016 gegründeten Social-Media-Plattform Onlyfans können User Fotos und Videos von sich teilen und Live-Streamings veranstalten. Obwohl der Aufbau der Website stark an das frühe Instagram erinnert, gibt es einen elementaren Unterschied: Jedes einzelne Abonnement auf der Plattform ist kostenpflichtig. Die Höhe des Betrags wird von den User selbst festgelegt; 20% der Umsätze werden von den Betreibern einbehalten. Alleinstellungsmerkmal der Plattform ist die radikale Offenheit gegenüber pornografischen Inhalten aller Art und genau das scheint auch der Grund für ihren enormen Erfolg zu sein.

Endlich nackt sein dürfen

Genau diese Offenheit hat auch Katy (@katyvandynamite) zu Onlyfans geführt. „Ich bin einfach sehr gern nackt und da ich schon seit fast zwanzig Jahren als Model arbeite, habe ich auch solche Bilder immer mal bei Instagram gepostet. Daraufhin wurde ich immer wieder gemeldet, die Bilder wurden gelöscht und am Ende wurde mir sogar angedroht, dass mein Profil gesperrt würde, wenn ich weiter Nacktbilder von mir hochlade“, erzählt die 41-Jährige aus Weimar. Ein guter Freund habe sie dann darauf gebracht, sich ein Profil bei Onlyfans zu erstellen, da sie dort ihre Bilder unbehelligt posten und sogar noch etwas Geld damit verdienen könne. „Ich wusste gar nicht, dass es sowas gibt, aber das hat mich dann natürlich neugierig gemacht.“
Im Gegensatz zu Katy war sich Mine, die als @nichtvondieserwelt auf Onlyfans aktiv ist, von Anfang an über das Potenzial der Plattform im Klaren. „Ich hatte damals eine schlecht bezahlte Lehre angefangen und hatte immer wieder Geldprobleme. Ich modele schon länger und als ich dann endlich achtzehn geworden bin, war es naheliegend, die Bilder dort für etwas Kleingeld anzubieten“, sagt die 18-Jährige. Nach einem knappen Jahr verdient die junge Frau aus Arnstadt nun mit ihrer Internetpräsenz so gut, dass sie ihre Lehre abgebrochen hat und ihr Abitur nachholt.
Vom tatsächlichen Ausmaß ihres Erfolgs waren beide dann aber doch überrascht. „Da hat mir sicher auch die Corona-Pandemie in die Karten gespielt“, resümiert Mine. „Ich merke auch jetzt, wo man kaum noch etwas unternehmen kann, wie die Abonnements wieder stärker steigen.“ Katy hingegen vermutet, dass ihr viele Fans, die sie in den vergangenen zwanzig Jahren auf Instagram und Facebook angesammelt hat, direkt auf Onlyfans gefolgt sind. „Einer, den ich schon ewig kenne und der schon immer heiß auf mich war, freut sich jetzt natürlich, dass er dort so viel von mir sehen kann.“

Fluch und Segen

Ähnlich, wie es auch bei Instagram der Fall ist, scheint der große Erfolg von Onlyfans darin begründet zu sein, dass die User extrem nahbar wirken. Viele haben eine breit aufgestellte Onlinepräsenz, führen Accounts auf Instagram, Facebook oder betreiben Blogs. Follower können mit ihnen in Kontakt treten, ihnen Nachrichten schreiben und ihr alltägliches Leben verfolgen. „Klar gibt es viel kostenlose Pornografie im Netz, aber wenn man mal mit einer Person geschrieben hat und dann Nacktfotos von ihr anschauen kann, ist das natürlich nochmal etwas anderes“, meint auch Mine.
Trotz des Erfolgs sehen die beiden Frauen auch die Schattenseiten ihres Business. Für Katy hat der unfreiwillig tiefe Einblick in das Verhalten vieler Männer ihre Idealvorstellung einer festen Beziehung entzaubert. „Wenn ich sehe, wie viele Männer für Bilder von mir zahlen, obwohl sie eine Frau oder Freundin haben, frage ich mich manchmal, ob es sich überhaupt noch lohnt, eine Beziehung einzugehen.“ Dennoch wünscht sich die Mutter von drei Kindern eigentlich einen Partner, der im besten Fall auch ihre Internetpräsenz akzeptiert. Kurz lässt sie anklingen, dass sie für den Richtigen auch aufhören würde, Nacktbilder von sich im Netz zu verkaufen. „Aber eigentlich auch nicht“, fällt sie sich selbst ins Wort – ein My zu schnell, um wirklich glaubhaft zu sein.
Für Mine sind unangenehme Kommentare ihres Umfelds das größte Problem. „Es ist schon vorgekommen, dass ich von vermeintlichen Freunden als Hure bezeichnet wurde.“ Diese Personen habe sie dann aber schnell aus ihrem Freundeskreis aussortiert. Dennoch bereue sie es nicht, ihr Umfeld so offen über ihre Internetpräsenz informiert zu haben. „Sonst könnte ich ja auch keine Werbung auf Instagram machen und das lohnt sich schon.“ Nur ihre Eltern wissen nicht so ganz genau, was sie im Internet so treibt. „Sie wissen, dass ich Bilder von mir verkaufe, aber dass ich nackt im Internet zu sehen bin, habe ich ihnen natürlich nicht erzählt.“
Mit unangemessenem Verhalten ihrer Follower gehen beide Frauen sehr gelassen um. Obwohl Mine hin und wieder Anfragen bekommt, ob sie getragene Unterwäsche verkaufe oder auch mal für eine Nacht zu buchen sei, nötigt das der 18-Jährigen höchstens ein mildes Lächeln ab. „Ich versuche da, höflich zu bleiben, denn die Männer meinen es ja nicht böse, die denken halt nur hormongesteuert.“ Anfragen wie diese haben aber auch dazu geführt, dass Mine hin und wieder mit Onlyfans hadert. „Die User dort sind daran gewöhnt, dass man alles sieht, aber ich habe auch einen Anspruch an Ästhetik. Das Intimste, was man von mir sieht, sind Nippel.“ Deshalb habe sie sich zusätzlich noch bei der Konkurrenzplattform Patreon angemeldet, weil diese nicht so explizit auf pornografische Inhalte ausgerichtet sei.
Katy hingegen gefällt sich als Sexobjekt. „Ganz ehrlich? Ich finde das geil, wenn ich weiß, dass mich jemand so heiß findet, dass er eine Erektion bekommt oder sich auf mein Bild einen runterholt.“ Auch das ungefragte Zusenden von Dickpics, das in Deutschland eigentlich einen Straftatbestand darstellt, stört sie nicht. Für sie gehört das zu ihrer Internetpräsenz dazu.

In wenigen Klicks zur Emanzipation?

Mine, die sich selbst ausdrücklich als Feministin bezeichnet, sieht die Sache anders. Für sie ist ihre Freizügigkeit eine Möglichkeit, ihre Selbstbestimmung zurückzugewinnen. „Als Frau wird man doch sowieso zum Sexobjekt gemacht, ob man nun Burka trägt oder einen Minirock.“ Mit ihrer Onlinepräsenz versuche sie, den Spieß herumzudrehen. „Auf meinem Account kann ich entscheiden.Ich bestimme, was ich mit meinem Körper mache und wer das sieht und ich finde, das ist ein deutlicher Schritt in Richtung Emanzipation.“
Für beide Frauen ist der offene Umgang mit ihrem Körper aber auch ein wichtiger Schritt der Selbstermächtigung. „Ich fand mich nie toll oder hübsch. Dann habe ich die Bilder meiner ersten Shootings gesehen und dachte‚ Alter, doch, ich seh ja eigentlich echt gut aus“, erinnert sich Katy. Auch auf das Selbstbild von Mine, die in ihrer Jugend mit Essstörungen und Depressionen zu kämpfen hatte, hat es sich positiv ausgewirkt. „Man bekommt einfach so viele verschiedene Meinungen an den Kopf geknallt, dass man lernen muss, sich auf sich selbst zu verlassen und das ist ja generell eine gute Sache.“
In einem Punkt sind sich beide Frauen einig: Sie sind nicht nur auf der Suche nach dem schnellen Geld, sondern wehren sich gegen Alltagssexismus, Objektifizierung von Frauen und setzen sich dafür ein, ihr Leben so gestalten zu können, wie sie es wollen, ohne gesellschaftlich dafür verurteilt zu werden. So kann Katy sich in ihren Storys kleine Seitenhiebe auf die sexistische Nippel-Zensur auf Instagram nicht verkneifen, nutzt die teilzensierten Bilder aber auch, um weitere Kunden auf den Onlyfans-Account zu locken. Für Mine ist ihr Account das Tor zu Abitur, Studium und Traumberuf und sie nutzt die Gelegenheiten, die sich bieten – für schnelles Geld und Aktivismus. „Wer Hausfrau sein will, soll Hausfrau sein dürfen, und wer sich nackt im Internet zeigen will, soll das tun. Und ich bin halt gern nackt“, lacht sie am Ende.

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