“IHR OPFER”

Leo lag nach einem Bowlingabend mit der Familie zwei Wochen flach. Der Corona-Test ergab: positiv. Hier berichtet er, wie es ist, die Quarantäne im familiären Umfeld verbringen zu müssen.

Von Leonard Fischer

„So schnell kann’s gehen“, pflegt Mutter zu sagen. Ein Abend Bowling mit den vier Geschwistern. Am nächsten Tag der Anruf der Ältesten: Sie fühlt sich krank und hatte Infizierten-Kontakt – ein Tag später der Positivbefund. Bei mir beginnt es mit einem sanften Kratzen im Hals, dann kicken mich langsam steigendes Fieber und erst sehr trockener und dann sehr schleimiger Husten temporär aus dem Leben. Meine Glieder schmerzen, als hätte Andreas Scheuer mich mit einem E-Scooter überfahren. Zu dritt schleppen wir uns zum Corona-Test.

Das heißt, nur Schwester 2 und ich schleppen uns, denn die Jüngste ist – wie sich später herausstellt – zwar positiv, aber symptomfrei. „Ihr Opfer“, quittiert sie unser Leiden, wie es nur ein Teenager vermag. „Ich muss hinters Zäpfchen“, bemerkt die freundlich lächelnde und doch erbarmungslose Ärztin lakonisch, während sie mich zum Würgen bringt und dasselbe Stäbchen danach tief in beide Nasenlöcher schiebt. Damit ich auch ja meinen Positivbefund erfahre, rufen zwei Tage später durch: meine Schwester, das Gesundheitsamt Coesfeld, die Wattestäbchen rammende Ärztin, das Gesundheitsamt Jena und das Ordnungsamt. Nur die Kanzlerin meldet sich nicht. Typisch. Ich stehe ab Testung zehn Tage unter häuslicher Quarantäne. Bei Zuwiderhandlung gegen die „Absonderung“ – ja, das heißt so – drohen 1.000 Euro oder Freiheitsstrafe. Die ganze Familie bewegt sich im Haus nur noch mit Maske. Essen und sonstige Wünsche liefern mir Eltern nach Messenger-Bestellung an die Zimmertür.

Meine Schwester meldet sich in der WhatsApp-Familiengruppe: „Ich schmecke und rieche nix mehr. Außer Honig und einem Hauch von Zahnpasta.“ Am fünften Tag der Quarantäne verlässt auch mich die Nase. Das heißt, sie ist zwar noch da, verweigert aber die Arbeit. Salami, Nutella, Honig, Schimmelkäse, italienischer Pesto, Biomüll, Zahnpasta – alles riecht gleichermaßen nach großem Nichts.

Schließlich bekommen auch die Partner meiner Schwestern und Mutter ihren Positivbefund. Vater zieht aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auf die Wohnzimmer-Couch – er verbleibt als gallisches Dorf gegen Mutter, mich, die Jüngste und viele Hektoliter Virenluft.

Nach zehn Tagen darf der Löwe – der Löwe bin ich – aus dem Käfig. Mutters Quarantäne wird wegen stärkerer Symptome verlängert, doch einen erwischt es noch härter: Der Mitbewohner meiner ältesten Schwester – der das Virus in die Familie trug – liegt sieben Tage im Krankenhaus. Er ist 33 Jahre alt. Fiebrige Nächte, sozialer Zölibat und die Angst, eine Gefahr für die eigenen (Groß-)Eltern zu sein, stellen klar: Corona macht keinen Spaß, Corona ist kein Spaß. Impfstoff, komm schnell.
PS: Fickt euch, Querdenken-Demos.

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