Wir sind für Pressefreiheit! Das ist nur eine leere Phrase, aber nichts dahinter? Von wegen. Hier zeichnen wir ein Bild, wie wir uns die Zukunft des Akrützels vorstellen. Konkreter geht’s nicht!
von Julian Hoffmann
Dienstagabend, 14. Juli 2048 – Sirenen heulen, Leute toben. Tausende. Die Sirenen werden lauter, die Leute drängen immer dichter an die Absperrungen heran. In der Mitte kippt einer um, wird weggetragen. Ihn haben stundenlanges Gedrängel in Kombination mit Wasserentzug und einem kaum atmungsaktiven Schweinekostüm ausgeknockt. Die Polizisten werden nervöser. Man sieht bereits die beiden LKW, flankiert von den 16 Einsatzwagen des SEK. „Ruhig bleiben, jeder bekommt was zu lesen“, ruft ein wahrscheinlich hochrangiger Beamter durch ein Megafon. Doch die Ansage geht unter im Meer der Fangesänge und einer Lawine aus Panik, es könnte wieder alles viel zu schnell vergriffen sein, wie ein kläglicher Hilferuf eines U-Boot-Kommandanten – ohne Funkverbindung.
Zwischen dem großen Turm und dem Campus kommen die LKW schließlich zum Stehen. Unter Personenschutz werden die Fahrer über tonnenweise roten Teppich in den luxuriösen Turm geleitet. Ein Blitzlichtgewitter noch und sie sind verschwunden. Die Menge schreit und jubelt.
Während die LKW-Fahrer für die kräftezehrende Strecke von Weimar hierher erst einmal mit Champagner und Kaviar im Erdgeschoss am Swimming-Pool in der Mitte des Turms entschädigt werden, öffnet sich der gläserne Fahrstuhl 3. Diesen legendären Fahrstuhl kennt inzwischen jeder Fan, aufgrund der direkten Nähe zur Tür und damit zur Außenwelt. Einigen Fotografen gelingt es immer wieder, hochrangige Redakteure durch die Fensterfront in diesem Fahrstuhl zu fotografieren. Das geht nämlich nur, wenn die Sonne in einem ganz bestimmten Winkel zum Turm steht, damit keine Spiegelungen entstehen.

Bild: Julian Hoffmann
An diesem Abend bemühen sich hunderte Fotografen, das Foto der Woche zu schießen. Sie wollen den Chefredakteur vor die Linse bekommen. Doch wie meistens an einem Dienstagabend ist es auch heute unmöglich, zwischen der fast 40-köpfigen Entourage des Chefredakteurs einen Blick auf die Person aller Personen zu erhaschen, bevor sie das Gebäude verlässt.
Wenige Augenblicke später stehen ein lächelndes Gesicht und eine winkende Hand auf dem roten Teppich vor der gläsernen Front des gigantischen Akrützelturms. Ein eleganter schwarzer Sakko und ein Team guter Maskenbildner täuschen mit Hilfe unzähliger Scheinwerfer darüber hinweg, dass dieser Job wirklich hart ist. 24 Stunden am Tag ist er erreichbar und fast die gesamte Zeitspanne arbeitet er auch, genau wie alle anderen Mitglieder der Redaktion, die sich in den vergangenen Jahren auf stolze 260 summiert haben. Nicht mit eingerechnet sind natürlich das Reinigungs- und das Schwimmbadpersonal, die Gärtner, Personenschützer, Stylisten, Köche, Barkeeper, Kameramänner, sowie die Finanz- und die Werbeabteilung. Da die vier Hubschrauberpiloten günstig von der Bundeswehr abgekauft worden und wegen ihrer militärischen Vergangenheit außerhalb des Fliegens hochrangige Personenschützer für die Chefredaktion sind, erscheinen sie nicht extra in der Personalliste. Insgesamt wohnen im Akrützelturm 1563 Angestellte. Für das Management also ein ungeheurer Aufwand. Und jetzt sieht man den Chefredakteur mit einer Leichtigkeit winken, als hätte er vergangene Nacht geschlafen.
Die Zeremonie wird für alle, die keinen Platz mehr gegenüber vom Turm bekommen haben, live übertragen. Dazu hat man alle Fenster des Akrützelturms so umgebaut, dass sie zusammengeschaltet für riesige Projektionen genutzt werden können.
So ist gewährleistet, dass das Projekt Akrützel, wie von den Gründern beabsichtigt, ganz Jena zugutekommt. Die Informationsfreiheit wird in dieser Stadt so konsequent gedacht, dass selbst Leute, die überhaupt gar nichts neues wissen wollen, über mehrere Lautsprecheranlagen auf dem Dach des Turms stets über wichtige Neuigkeiten informiert werden.
Nun schreitet der Chefredakteur zu einem der LKW, klettert hinauf, schließt seine Augen und atmet den himmlischen Duft tausender aufgeregter Fans ein. So riecht Pressefreiheit, denkt sich der Chefredakteur. Gleich wirft er den Lesern eine neue Ausgabe Akrützel zu.