Einer geht noch

Eine Stelle muss die Philosophische Fakultät noch loswerden, denn die Uni soll sparen. Studierende und Lehrende protestieren seit einem halben Jahr dagegen. Das Ministerium signalisiert nun ein Entgegenkommen. Aber will die Uni die Professur überhaupt retten?

Text: Lenah John und Robert Gruhne
Mitarbeit: Undine von Lucadou, Hanna Seidel und Annika Nagel

Dekan Stefan Matuschek steht hinter seiner Entscheidung. |
Foto: Robert Gruhne

Studierendenzahlen, Prestige, Sammlungen – woran erkennt man, wie wichtig eine Professur ist? Kaum jemand ist sich darüber einig, doch fest steht: Eine Stelle muss an der Philosophischen Fakultät noch gestrichen werden. So verlangt es der 2014 gefasste Struktur- und Entwicklungsplan (Step) der Universität. 125 Stellen muss sie demnach bis Ende 2019 insgesamt einsparen. Welche Professur es treffen soll, wurde im letzten halben Jahr intensiv an der Fakultät diskutiert.
Die willkürliche Regel unter der damaligen Universitätsleitung von Klaus Dicke war: Die Professur, deren Inhaber als nächstes in den Ruhestand geht, wird gestrichen. Eigentlich wäre damit die von Michael Maurer in der Kulturgeschichte an der Reihe gewesen, die 2020 frei wird. Der Studiengang Volkskunde/Kulturgeschichte (VKKG) wäre dadurch in einer „existenziellen Situation“, machte Friedemann Schmoll, Professor für Volkskunde, deutlich. Würde die Stelle seines Kollegen nicht nachbesetzt, fiele der Studiengang weg. „Das kann sich die Fakultät nicht erlauben“, bekräftigt auch der Dekan der Philosophischen Fakultät Stefan Matuschek. Die Priorität des Dekanats: Studiengänge retten.
So wurde im November beschlossen, die Professur doch nachzubesetzen und an anderer Stelle zu sparen, denn nach den quantitativen Vorgaben des Steps muss mit einer anderen Professur kompensiert werden. „Das ist das Korsett, in dem wir stecken. Das mag für manche ganz bitter und empörend sein, aber es ist so eng, dass uns auch eine einzige Stelle Schwierigkeiten macht“, erklärt Matuschek.
Im Fakultätsrat ließ das Dekanat gleich mit über die Ersatzstreichung abstimmen. Damals fiel die Entscheidung auf eine der zwei Professuren in der Germanistischen Mediävistik. In den folgenden sechs Monaten kreiste die Diskussion hitzig um die Frage: Wieso ausgerechnet diese Professur?

Hier regiert der Zufall

Überrascht von der Kritik, ließ das Dekanat noch einmal alle Optionen von ihrer Strukturkommission und dem externen Wissenschaftlichen Beirat der Fakultät prüfen. Betroffene Lehrstühle wurden aufgerufen, eine Stellungnahme zu der Situation ihres Instituts zu verfassen, um gemeinsam zu überlegen, ob eine  Kompensation auch an anderer Stelle möglich wäre. „Wir haben diese Diskussion als Vergleichsdiskussion geführt: Welche Kürzung hätte am wenigsten Nachteile?”, erläutert der Vorsitzende der Strukturkommission Christoph Demmerling das Verfahren.
Inhaltlich ist der Step durchaus flexibel. Das erste Kriterium, das die Entscheidung eingrenzt, ist ein komplett zufälliges. Zunächst kommen nur die Stellen in Frage, deren Inhaber im Zeitraum von fünf Jahren in den Ruhestand gehen. Innerhalb dieser Möglichkeiten lagen neben der Germanistischen Mediävistik nur Professuren in der Neueren und Neuesten Geschichte, der Interkulturellen Wirtschaftskommunikation (IWK) und den Orientwissenschaften.

Was wiegt schwerer?

Neben dem Kriterium, keine Studiengänge zu schließen, waren auch Studierendenzahlen, Prestige und Alleinstellungsmerkmale der Stelle ein Faktor. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir auf die Zeitgeschichte, also die Nachfolge von Professor Frei, nicht verzichten können, weil das ein Profilierungsbereich der Fakultät ist. Die Stelle in der IWK ist ein so gut nachgefragter Studiengang, dass wir da auch nicht drauf verzichten können“, resümiert Matuschek.
Auch die freiwerdenden Stellen im Institut für Orientalistik, Indogermanistik, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, die nun noch einmal begutachtet wurden, seien keine Option. „Von der Überprüfung war ich sehr überrascht. Meine Stelle war ja bereits wieder ausgeschrieben worden“, berichtet Manfred Krebernik, Lehrstuhlinhaber für Altorientalistik. Tatsächlich gab es vor Kurzem sogar schon einen Nachfolger für ihn, der jedoch an einer anderen Uni ein besseres Angebot bekam. Auch wenn die Altorientalistik von den Studierendenzahlen ein sehr kleiner Studiengang ist, „sind wir im Inhalt größer als so manch anderer. Wir umfassen 3000 Jahre mit vier Hauptsprachen. Das kann eine Person nicht alleine abdecken“, verdeutlicht Krebernik die Relevanz seines Fachs. Zudem betreut er die Hilprecht-Sammlung, die zahlreiche keilschriftliche Originale enthält. „Die Sammlung ist einzigartig. Es wäre fatal, wenn man diese Chance für die Lehre vertut“, urteilt er.

Zur Hilprecht-Sammlung gehört auch
der älteste Stadtplan der Welt.
| Foto: Robert Gruhne

Letztendlich fiel die Wahl erneut auf die Germanistische Mediävistik. Dekan Matuschek verteidigt die Entscheidung: „Wir sind alles durchgegangen und in einem langen und kleinschrittigen Prozess dazu gekommen, dass die zweite Professur in der Germanistischen Mediävistik der am einfachsten zu verkraftende Verlust ist.“ Das bestätigt auch Demmerling: „Das ist der einzige Fall in der Fakultät, wo eine Kürzung nicht dazu führen würde, dass ein Studiengang nicht mehr in vollem Umfang aufrechterhalten werden kann.”

Ohne Konsequenzen bleibe diese aber auch nicht, macht Institutsdirektorin Nina Birkner im Fakultätsdialog deutlich: „Da entsteht ein Schaden in der Lehre und der Forschung, der in keinem Verhältnis zu den Einsparungen steht.” Die Germanistische Mediävistik ist sehr forschungsstark und unterhält mehrere Drittmittelprojekte. Das zu erhalten, sei nur durch eine Wiederbesetzung möglich. Andernfalls sei auch in der Lehre mit einem Qualitätsverlust zu rechnen. Die Betreuungsrelation würde sich dort verschlechtern.

Trotz der Befürchtungen wurde in der letzten Fakultätsratssitzung vom 28. Mai wieder beschlossen, die Kulturgeschichte mit der Neuausrichtung für Museumswissenschaften auszuschreiben und auf die Nachbesetzung der einen Professur in der Germanistischen Mediävistik zu verzichten. Mit der Möglichkeit, das nächste Jahr noch über andere Lösungen nachzudenken, da die endgültige Entscheidung erst mit einer Neuausschreibung im Oktober 2020 gefällt werden müsste. Trotzdem gilt laut Matuschek: „Wenn nichts weiter passiert, ist der Beschluss gefasst, dann ist es so.“
Die Germanistische Mediävistik würde demnach mit einer W3-Professur, einer Akademischen Ratsstelle und einer halben Mitarbeiterstelle verbleiben. Quantitativ gesehen solle das Lehrangebot so aufgefangen werden, meint der Dekan. „Statt einer Professur mit neun Semesterwochenstunden haben wir die Ratsstelle mit zwölf Semesterwochenstunden. Dazwischen ist jetzt auch kein so großer Unterschied, dass man sagen kann, das ist eine unzumutbare Belastung“, rechnet er vor.

Warten auf eine Gelegenheit

Ein Jahr ist also noch Zeit, um sich nach Alternativen umzusehen. Matuschek verspricht: „Ich als Dekan und meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger haben als Arbeitsauftrag, dranzubleiben und zu überlegen, ob es irgendwo noch eine Perspektive für einen geringeren Verlust gibt. Wir sind in unseren Handlungsmöglichkeiten leider Okkasionalisten, auf Gelegenheiten angewiesen.” Eine neue Landesregierung oder andere Entwicklungen könnten dafür sorgen, „dass der Stellenplan doch nicht so eng gilt. Im Moment kann er nicht atmen.”

In der Podiumsdiskussion Wer braucht schon gute Lehre?, die das Referat für Hochschulpolitik des Studierendenrates organisiert hatte, überraschte Ministeriumsvertreter Peter Gemmeke die Anwesenden Mitte Mai mit der Aussage, dass die Personalplanungen aus dem Step von 2014 noch einmal besprochen werden könnten. „Unser Angebot an die Hochschulen ist: Entwickelt euch weiter, baut keine weiteren Stellen ab”, lautete sein Appell in der Veranstaltung.

Peter Gemmeke ist Leiter der Abteilung
Hochschulen im Wissenschaftsministerium.
| Foto: Robert Gruhne

Im Gespräch mit dem Akrützel macht Gemmeke deutlich, dass der Step 2014 auf einer ganz anderen finanziellen Ausgangslage basierte. „Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, ob es nach 2020 noch einen Hochschulpakt geben würde.” Das Land trägt einen Großteil der Kosten im Wissenschaftsbereich. Seit 2007 gab es zudem den Hochschulpakt aus Bundesmitteln, der jedoch 2020 ausläuft. Deshalb schrieb Thüringen den Hochschulen damals vor, dass sie in der Lage sein müssen, ihr Personal nur mit Landesmitteln zu zahlen.
Am 6. Juni unterzeichneten Bund und Länder schließlich den Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken, der den Hochschulen von 2021 bis 2030 jährlich etwa zwei Milliarden Euro extra bringt. Die Mittel sollen vor allem Studium und Lehre verbessern und befristete Stellen in Dauerstellen umwandeln. In Thüringen landen davon etwa 40 Millionen.
Um die 125 Stellen aus dem Step zu erfüllen, müsste die Uni bis Ende 2019 eigentlich noch mindestens zehn Stellen abbauen – darunter eben eine an der Philosophischen Fakultät. Da die Mittel aus dem neuen Zukunftsvertrag erst ab 2021 kommen, will das Ministerium den Hochschulen nun mehr Flexibilität geben. „Nicht alles, was 2014 geplant war, muss auch so umgesetzt werden, um es dann möglicherweise drei Jahre später wieder aufzubauen”, sagt Gemmeke.
Universität uneins

Im Sommer soll gemeinsam mit den Hochschulen besprochen werden, wie die 40 Millionen verteilt werden. „Denkbar ist, damit auch bestimmte Sonderbedarfe zu decken, zum Beispiel in der Lehrerbildung oder der neuen Psychotherapeutenausbildung”, gibt Gemmeke einen Vorgeschmack, was mit dem Geld passieren könnte. Aber auch „wenn die Hochschule für sich entscheidet, wir wollen unsere Personalplanungen zum Beispiel in der Philosophischen Fakultät anpassen und beide Professuren in der Mediävistik weiterführen, dann kann die Hochschule mit uns darüber sprechen”. Die Entscheidung liegt in der Autonomie der Universität.
Nur will sie das? Präsident Walter Rosenthal dämpft erst einmal die Erwartungen. „Es kommen jetzt alle Fakultäten mit sehr berechtigten Partikularinteressen. Diese müssen wir nebeneinander auf den Tisch legen und dann besprechen, wo es am meisten brennt.” Der Bedarf an neuen Stellen ließe sich an der gesamten Uni leicht auf 25 Stellen summieren – so zum Beispiel für das neue Stufenkonzept im Lehramtsstudium, die Verwaltung oder eben die Psychotherapie.
Rosenthal weist zudem auf die ungewissen Verwendungsmöglichkeiten der neuen Bundesmittel hin: „Bisher ist vollkommen unklar, ob die Mittel aus dem Zukunftsvertrag überhaupt erlauben, über den Erhalt des Status Quo hinauszugehen. Fest steht, dass wir aber auch mit der Philosophischen Fakultät Gespräche führen werden.“
Für Dekan Matuschek ist es nun an der Zeit, Hier! zu schreien. Auch er begrüßt den neuen Hochschulpakt und würde sich wünschen, „dass diese Mittel dazu führen, dass die strenge Grenze des Step nicht mehr gilt. Dann können wir auf wundersame Weise sagen, wir brauchen die Kompensation nicht.”

Und die Studierenden?

Die Studierenden der Germanistik wollen sich weiter engagieren, können jedoch nach den Auseinandersetzungen der letzten Zeit einen gewissen Verdruss nicht verbergen. „Wir haben uns sechs, sieben Monate nur im Kreis gedreht. Da sind viel Zeit und viele Nerven hineingeflossen”, meint Sophie Trautmann, Vertreterin vom Fachschaftsrat Germanistik. Friederike Andrees, die neben dem FSR auch im Fakultätsrat sitzt, sieht die Studierenden weiter in der Pflicht: „Es hängt davon ab, ob wir bereit sind, weiterzukämpfen. Wir haben jetzt immerhin ein Jahr Zeit.” Für ihr Vorgehen im letzten halben Jahr erhielten sie von allen befragten Professoren nur Lob und auch der Präsident hält ihre Einwände für „plausibel”.
Die Studierenden müssten sich nun stärker auf politischer Ebene für ihre Anliegen einsetzen, sind sich alle einig. Beim Fakultätsdialog wurden laut Friederike „viele andere kreative Ideen” eingebracht, wie die Germanistische Mediävistik doch noch in größerem Umfang erhalten werden könnte, wie zum Beispiel eine Stiftungsprofessur oder den Einsatz einer Forschungsgruppe. Auf der Podiumsdiskussion des Sturas brachte der Landtagsabgeordnete Christian Schaft (Die Linke), der die Studierenden unterstützt, auch einen Bildungsstreik als „nächste Eskalationsstufe” ins Gespräch, wie es ihn vor einigen Jahren schon einmal gab. Außerdem forderte er die Studierenden auf, die „Intransparenz transparent zu machen”.

Die Entscheidung, welche Professuren neu ausgeschrieben werden, trifft letztlich der Haushaltsausschuss des Senats, dem der Präsident vorsitzt. Dekan Matuschek teilt diesem nun die Beschlüsse des Fakultätsrats mit, ein Gespräch mit dem Präsidenten ist bereits anberaumt. In einem Jahr, wenn die selbst gesetzte Frist der Fakultät ausläuft, ist Matuschek schon nicht mehr im Amt. Sein Dekanat endet mit dem aktuellen Sommersemester. Mit dem Präsidenten kann er dann auch gleich über seinen Antrag auf ein Forschungssemester sprechen.

Globalhaushalt: Setzt sich zusammen aus den finanziellen Mitteln, die die Hochschulen von Land, Bund und Drittmitteln bekommen. Mit diesen können sie autonom umgehen.

HanFRIED: Das ist das digitale Handbuch der FSU. Dort findet man Formulare, rechtliche Ordnungen wie das Allgemeine Hochschulrecht, die Studien- und Prüfungsordnungen und sonstige Dokumente.

Hochschulpakt: Bildung ist Ländersache. Seit 2007 fördert der Bund die Hochschulen mit einem Hochschulpakt, der 2020 ausläuft. Die Fortsetzung unter dem Namen Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken wurde am 6. Juni von Bund und Ländern unterzeichnet und gilt von 2021 bis 2030.

Rahmenvereinbarung: Wird auf Grundlage des Thüringer Hochschulgesetzes zwischen Ministerium und den Hochschulen geschlossen. Sie hat in der Regel eine Laufzeit von vier oder fünf Jahren und legt auf der einen Seite inhaltliche Zielstellungen und auf der anderen Seite den finanziellen Rahmen fest. Momentan gilt bis Ende 2020 die Rahmenvereinbarung IV.

Strukturkommission: Die Aufgabe der Strukturkommission ist, Entscheidungen der Fakultät vorzubereiten. Die Befugnis Entscheidungen zu treffen, hat sie nicht.

Struktur- und Entwicklungsplan: Darin legt die Hochschule nach Vorgaben der Rahmenvereinbarung fest, in welche Richtung sie sich in den nächsten Jahren entwickeln möchte und wofür sie schwerpunktmäßig ihr Geld einsetzen will. Der Step von 2014 wurde bisher zweimal fortgeschrieben (2016 und 2018). In ihm ist vorgesehen, dass die Universität bis Ende 2019 125 Stellen einsparen muss.

W3-Professur: Hochschulprofessuren werden nach der Besoldungsordnung W (Wissenschaft) eingestuft. Dabei werden sie in die Gruppen W2 und W3 eingeteilt, die Gruppe W1 entspricht einer Juniorprofessur.

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