Wunsch oder Pflicht

INTERVIEW: Lenah John

Am Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten die führenden intellektuellen Köpfe der deutschen Gesellschaft eine Utopie der Universität. Professor Gerhard Vinnai untersuchte sie und erklärt, was heute noch davon übrig ist und wie es damit weitergehen soll.

Sie beschrieben die Universität 2010 als Dienstleistungsbetrieb, der das Bildungsideal, wie es ursprünglich gedacht war, nicht mehr erfüllt. Entspricht das noch der Realität, oder hat sich etwas verbessert?
Ich bin ja schon ein paar Jahre von der Uni weg, aber von dem, was ich so mitkriege, hat es sich eher verschlechtert. Es gibt Tendenzen die extreme Reglementierung etwas zu reduzieren, aber ich kann nicht erkennen, dass sich der Geist dahinter sehr verändert hat. Es wird den Studierenden immer noch vorgeschrieben, was sie zu tun haben. Die Spielräume sind gering, was meinem Ideal von Universität nicht entspricht.

Können Sie sagen, warum diese starke Reglementierung notwendig zu sein scheint?
Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Universität ein Dienstleistungsbetrieb ist und zunehmend auch eine Berufsfachschule wird, sie soll ja für bestimmte Berufe ausbilden. Diese Ausrichtung hat zur Konsequenz, dass sich die Strukturen eines Wirtschaftunternehmens an der Universität immer weiter durchsetzen zum Beispiel. die Vergabe von „Credit- Points“, der Begriff stammt ursprünglich aus der Banksprache. Mit der bürokratischen Struktur ist an der Universität inhaltlich genau festgelegt, was zu tun ist. Die Universität sieht aus wie eine Wissensfabrik, wo Wissen nach wirtschaftlichen Standards produziert werden soll. Die Professoren, die in dieser Struktur arbeiten, bekommen vorgeschrieben, was sie zu lehren haben und müssen viel Zeit damit verbringen Gelder anzuschaffen, denn davon sind die Forschungsaufträge abhängig. Kurz, der Zwang sich als attraktiv vor potenzielle Kunden zu verkaufen, hat dann problematische Auswirkungen auf die Universität.

Besteht die Möglichkeit diese Einflüsse wieder rückgängig zu machen?
Wenn die Universität eine Universität bleiben soll und nicht einfach eine Fachschule, dann besteht die Notwendigkeit den Studierenden Spielräume zu lassen. Die Universität soll ein Ort von Bildung sein, wo man selber auswählen kann, was einen interessiert und wo man sein Studium selbst organisieren kann und die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln kann. Ein großes Problem ist auch, dass es immer Druck von den Professoren gibt, die den Studierenden ihr Wissen aufzwingen wollen, sodass diese reproduzieren, was die Professoren selber können. Die Studierenden sollten sich das nicht gefallen lassen und um ihre Spielräume kämpfen.

Inwieweit unterscheidet sich das heutige Bildungsideal von dem von früher?
Das klassische Ideal von früher sah vor, dass man sich nicht auf Berufe spezialisiert. Heute ist es notwendig, dass man gewisse berufliche Qualifikationen an der Universität erwirbt. Aber es kommt darauf an, Berufe und ihre Anforderungen zu kritisieren und zu versuchen ein Spannungsverhältnis zwischen beruflichen Anforderungen und Bildung im Sinne eines weiten intellektuellen Horizonts aufrecht zu erhalten. Früher hätte man gesagt, dass man sich gemeinsam für die großen gemeinsamen Geschäfte der Menschheit interessiert, das heißt
Gerechtigkeit, Demokratie, internationaler Austausch und, dass auch die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit noch ihren Raum an der Universität hat. Anstatt das Ideal von früher zu übernehmen, kommt es jetzt darauf an, zu prüfen, was von diesen Ideen noch zu retten ist und vielleicht Kompromisse zu finden. Sich zu fragen, wie man die Ideen der Weltbürgerlichkeit und der Universität als ein Ort permanenter intellektueller Auseinandersetzung in Bezug auf die Gegenwart kritisch reflektieren und mehr zur Geltung bringen kann.

Was werden noch wichtige Fragen sein, denen wir uns in Zukunft stellen müssen?
Man kann sich natürlich fragen, welche typischen Vorrausetzungen die Studierenden und auch die Hochschullehre mitbringen müssen um in einer offenen Struktur zurechtzukommen und wie man erreichen kann, dass die Studierenden lernen sich selbst und die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu sehen.
Deshalb ist es auch ganz wichtig das eigene Studium selbst zu organisieren, denn sonst wird auch das Denken nicht selbstständig. Auch ist es wichtig zu überlegen, wo Freiheiten notwendig sind und wo man ihr Grenzen aufzeigen muss. Manchmal müssen die Hochschullehrer auch einen gewissen Zwang ausüben, damit sich die Studierenden nicht vor jeder Arbeit drücken, aber man muss sich fragen, wo der Zwang vernünftig ist und wo er nur der Machterhaltung der Institution oder der Hochschullehrer dient.

Wie glauben Sie, wird sich die Universität in Zukunft entwickeln?
Das hängt zum Einen sehr davon ab, wie viel Wissen und Autonomie die Gesellschaft will: Viele Studierende haben, wenn sie an die Uni kommen, eine durchaus vernünftige Vorstellung davon, was es heißt zu studieren, sich Freiheiten zu nehmen und mal etwas auszuprobieren.
All diese Wünsche werden jedoch teilweise systematisch zerstört, was zur Konsequenz hat, dass an den psychologischen Beratungsstellen der Universität immer mehr psychisch beschädigte Studenten auftauchen, die mit dieser Struktur nicht zu recht kommen. Viele fühlen sich überfordert und brechen ihr Studium ab, weil sie trotz vorhandener Wünsche und Interessen gezwungen sind, hauptsächlich für die Prüfungsanforderungen zu studieren.
Die zukünftige Entwicklung hängt also nicht nur von der Universität allein ab, sondern davon, welche sozialen Bewegungen es gibt und welche Möglichkeiten gefördert werden, damit sich die Universität verändern kann.

Haben Sie Vorschläge, was man aus studentischer Sicht explizit dagegen machen könnte?
Die Studierenden müssen erstmal überlegen, was sie von der Universität erwarten und was die Aufgabe einer Universität ist. Das ist manchmal gar nicht dumm, was die sich da ausdenken (lacht). Und sie sollten auch darüber nachdenken, an welchen Stellen Strukturen sinnvoll sind und wo ihnen welche aufgezwungen werden, die sie daran hindern wirklich produktiv zu studieren.
Inwieweit die Studierenden sich ihre Freiräume erkämpfen können, ist dann sicher auch eine Frage der Universität.

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