Unterschätztes Juwel

Zum Titelthema: Begeisterung

In Büchern steckt viel mehr, als sie beim ersten Lesen preisgeben. Deshalb sollte man sie auch ein zweites Mal lesen. Erst dann kommt das Verborgene zum Vorschein.

Von Sandra Trienekens

 

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr endlich ein Buch gefunden habt, das euch von Anfang an fesselt? Das ihr tagelang nicht zur Seite legen könnt? Bei dem ihr einfach wissen möchtet, wie es auf der nächsten Seite weitergeht und deswegen die ganze Nacht aufbleibt? Jeder hat schon ein solches Buch gelesen und jeder weiß, dass diese Bücher eine Seltenheit sind. Denn wenn es nach dem letzten Satz zugeklappt wird, dann bleibt doch eine gewisse Nostalgie zurück. Die Geschichte ist zu Ende und was gelesen ist, ist gelesen. Man sieht ein, dass ein solches Juwel nicht so schnell wiederzufinden ist. Es wird eine Weile dauern, bis man von einem Buch wieder so hingerissen werden kann. Doch darf man ein abgeschlossenes Buch nicht so schnell vergessen. Auch wenn man dieses Buch zu Ende gelesen hat, heißt das nicht, dass es dann weniger genial ist. Eigentlich kommt diese Genialität erst zum Vorschein, wenn man das Buch bewusst noch einmal liest.

So ist es zum Beispiel bei F. Scott Fitzgeralds Werk The Great Gatsby. Beim ersten Lesen will ich wissen, wer denn dieser Gatsby ist und was er vorhat. Dabei konzentriere ich mich eher auf die Handlung. Doch nachdem ich das Buch dann noch ein zweites Mal durchstöbert habe, erkenne ich erst die bildhafte und malerische Sprache von Fitzgerald. Erst beim dritten Lesen weiß ich die Arbeit und die Mühe des Autors wertzuschätzen, die er in dieses Werk gesteckt hat. Dieser langsame, scheinbar unmerkliche Untergang von Gatsby und der dekadenten Stadt New York in den goldenen Zwanziger Jahren ist beim wiederholten Lesen doch präsenter. So sind die Auftritte zwielichtiger Gestalten besondere Anspielungen für den Untergang, die ich beim ersten Lesen einfach übergangen habe.

Und dennoch lasse ich mich wiederum von der Geschichte mitreißen, obwohl ich das tragische Ende schon kenne. All diese Dinge hätte ich nicht erfahren, hätte ich das Buch nach dem ersten Lesen direkt ins Regal gestellt, um es dort verstauben zu lassen. Ich nehme die Entwicklung der Handlung und der Charaktere viel bewusster wahr und sehe ein weiteres Mal zu, wie sie auf das unvermeidliche Ende zusteuern. Natürlich bleibt die Spannung vor dem Ende aus, aber ich kann mich doch auf so viele andere Aspekte freuen, die beim ersten Lesen ausbleiben. Ein Juwel bleibt schließlich ein Juwel.

Cover The Great Gatsby: Charles Scribner‘s Sons

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