Eine Lanze für den Schrott

Der Schrott auf dem Ernst-Abbe-Platz genießt auch zwanzig Jahre nach seiner Aufstellung noch wenig Sympathie bei den Studenten. Wer hat den eigentlich ausgesucht?

Von Martin Emberger

„Was hältst du eigentlich von den Plastiken auf dem Campus?“ Meine Mitbewohnerin überlegt kurz. „Sind das immer noch dieselben wie vor ein paar Jahren?“ So und ähnlich scheinen alle Studenten jeden Tag daran vorbeizulaufen und sie doch nur selten wohlwollend anzublicken. Zu kalt, zu hässlich, zu kantig.

Es gibt einige Legenden über den Schrott, die man immer wieder hört. So wurde er erst für den Paradiespark geplant, aus gesammelten Schrottteilen zusammengestellt und hat mehrere hunderttausend Mark gekostet. So viel Geld für so viel Schrott!

Tatsächlich ist es erstaunlich, dass die fünf Plastiken des US-Amerikaners Frank Stella noch stehen und nicht bereits von Altmetallbanden ins Visier genommen wurden. Denn allein der Materialwert seiner Werke, bei denen fast alle Teile extra gegossen und legiert werden, geht meist in den sechsstelligen Bereich. Anfertigung, Transport von New York und Montage kommen hinzu. Und wenn der Künstler nun für seine zeitaufwendige Arbeit noch etwas verdienen hätte wollen, so wäre ein Preis, der einem BAföG-Studenten weltfremd ist, nur selbstverständlich.

Doch dabei haben die Plastiken weder die Uni noch die Stadt etwas gekostet. Sie sind Ankäufe von Carl Zeiss und Schenkungen und Dauerleihgaben des Künstlers. Dazu entschied sich Stella, nachdem ihm auf Initiative des damaligen Lehrstuhlleiters für Kunstgeschichte, Professor Verspohl, 1996 die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Diese nahm er nur unter der Bedingung an, dass bis zum Jahr 2000 kein weiterer Künstler damit ausgezeichnet würde, um mit Rodin der einzige im 20. Jahrhundert zu bleiben.

„Bedrückend nah und ungreifbar fern“

Im gleichen Jahr besuchte Stella seinen Freund Lothar Späth, den damaligen Vorstandsvorsitzenden von Carl Zeiss. Zu dieser Zeit befand sich das Stadtbild im Umbruch. Die Uni zog aus dem Jentower aus, neue Universitätsgebäude wurden gebaut und die ehemalige DDR-Produktionsstätte sollte ein Campus werden. Er entschied, alle Plastiken, die er im Vorjahr angefertigt hatte außer einer könnten Teil des Platzes werden. So übergab er im gleichen Jahr seine Hudson River Valley Series, die durch ihre Materialbeschaffenheit an die industrielle Nutzung des Platzes erinnert.

Späth beschrieb die Plastiken als „zugleich real und irreal, bedrückend nah und ungreifbar fern, obgleich tonnenschwer dennoch wie schwebend“. Für die meisten scheinen sie wohl eher unbegreifbar fern. Kunst im öffentlichen Raum hängt oft mit Ablehnung zusammen, besonders aber offenbar im universitären Raum. Wenn Studenten etwas können, dann dagegen sein. „Bäume statt Schrott“ war die Parole einer Unterschriftenaktion zur Zeit der Aufstellung. Einige Bäume kamen, der Schrott blieb.

Die Forderung nach einer massiven Begrünung des Campus mit Wiese wurde vor vier Jahren wieder laut, als der Campus neu gestaltet werden sollte – eine Wiese, die sich innerhalb kürzester Zeit in eine riesige Matschfläche verwandeln würde. Im gleichen Zug sollten die Plastiken von ihren Sockeln auf den Boden kommen, um so erfahrbarer und weniger distanziert zu sein.
Die Haltung „Ich kenn’s nicht, ich mag’s nicht, also ist es scheiße und gehört abgeschafft“ ließe sich wohl auch nur fraglich dadurch verringern. Studenten, von denen sich die meisten in fetten Lettern Toleranz auf ihre Fahne schreiben, bekleben die Plastiken und behängen sie mit alten Fahrrädern. Als würden sie sie sarkastisch überspitzen wollen und so setzen sie sich doch aktiv mit ihnen auseinander, obwohl sie sich kritisch zu distanzieren versuchen.

Stella schafft es, selbst seine Gegner zur Partizipation zu motivieren. Wenn das keine Kunst ist! Schrott, der derart große Emotionen in jemandem auslöst, ist es eben nicht nur Schrott. Selten rennen Studenten über den Recyclinghof und raunen dabei: „Boar sieht das hässlich aus hier! Mag ich nicht. Mag ich gar nicht! Kann man da nicht was Schöneres machen?“
Selbst Michelangelos Davidskulptur wurde bei Ihrer Aufstellung im Zentrum Florenz’ im 16. Jahrhundert von jungen Leuten mit Steinen beworfen. Die Hudson River Valley Series hat eine Daseinsberechtigung, gerade weil sie polarisiert. Nichts ist langweiliger als ein Kunstwerk, das aufgrund dumpfer Gleichgültigkeit keine Beachtung mehr erhält.

Foto: Marleen Borgert
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