37 Grad Teig

Angekommen im postfaktischen Zeitalter spiegelt sich das Unbehagen mit der Welt auch auf den Theaterbühnen wider. Mein süßes Unbehagen fängt, wenn auch sehr verwirrend, genau dieses Gefühl ein.

Von Paula Swade

 

Es ist dunkel, ein Mann raucht. Er zündet mit seiner Zigarette eine Pflanze an, wärmt seine Hände an ihr: „Heiß!“ Er nimmt seine Hände wieder etwas vom Feuer weg: „Schön!“ Er beginnt aus der Bibel und Dostojewski-Texten zu erzählen, von bösen Geistern, die von den Menschen in eine Herde Säue gefahren seien, von all den Seuchen, dem Unrat, dem Ekelhaften an der Oberfläche, das bald selbst darum bitten wird, in die Schweine fahren zu dürfen.

So beginnt das neue Stück Mein süßes Unbehagen von Hannes Weiler, das am 13. Januar im Theaterhaus Uraufführung hatte. Spannend: Ein Theaterstück, das vom Enstehen eines Filmes erzählt. Ein Kultur-Mashup. Der Regisseur dieses Filmes heißt Peter Bohnenzange (Roland Bonjour), Die Zeitenwende soll er heißen und das Unbehagen gegenüber der Gegenwart thematisieren. Ein Film über Utopie und Wahrheit, höchst philosophisch. Doch seine Vision scheitert in der entscheidenden Szene an der Wirklichkeit und er wirft das Handtuch. Seinen Schauspielern, die ihn sehr bewundern, gibt er den Rat: „Macht weiter! Kämpft für eure Wirklichkeit, kämpft für eure Welt!“

Also machen sich Leander, Anne Greta, Sophie, Jan und Ilja (die alle auch im echten Leben so heißen) daran, Peters Projekt fortzusetzen. Später kommt noch Klara dazu.
Das Stück wechselt immer wieder zwischen Filmszenen und der „Realität“, in der die Darsteller als Schauspieler des Filmes diskutieren, streiten, kämpfen. Florian Dietrich hat Kostüme und Bühnenbild so konzipiert, dass man zwischen Film und Realität im Stück unterscheiden kann, trotzdem verschwimmen die Grenzen dazwischen. Der Film spielt in einer Wüstenlandschaft, alle Personen tragen orientalische Gewänder. In der modernen Wirklichkeit hingegen tragen sie Jeans, Sneaker und T-Shirt, mit bunter Farbe bekleckert. In den einzelnen Szenen des Stückes geht es um intelligente Krähen, die wissen, was ein Zebrastreifen ist, ums „Mitkotzen“ und Pontius Pilatus. Es wird auf Obama geschossen und sogar Yanis Varoufakis, der ehemalige griechische Finanzminister, kommt per Videobotschaft zu Wort.

Zwischen den Szenen besteht wenig Zusammenhang, alles bleibt bruchstückhaft und wirr. Das ist für die Botschaft des Stückes allerdings nebensächlich. Laut Friederike Weidner, Dramaturgin des Stückes, gehe es darum, im Laufe des Abends immer wieder verschiedene Ansätze aufzugreifen. Dabei unterstützen auch die verschiedenen Darstellungsformen Theater, Film und „Film im Theater, der so tut, als sei er Film, aber in Wirklichkeit Theater ist“.

Das Stück thematisiert das Unbehagen mit denen, die ihres geäußert haben. Wenn auch der im Stück produzierte Film laut Schauspielern nicht politisch ist, ist es das Theaterstück schon. Populismus und „diese eine neue Partei, die damals so harmlos war“ bringen die Meinung einer „abgehängten“ Gruppe in die Öffentlichkeit, die oft unerhört und wenig präsent war. Das löst auch beim linksintellektuellen und offenen Mainstream Beklemmungen aus.

Das Theaterstück wurde, wie die Umsetzung des Filmes im Stück, als Gemeinschaftsarbeit verwirklicht. Texte wurden erst während der Proben weiter entwickelt, viele der Gespräche aus der Probe beeinflussten den weiteren Verlauf. Insgesamt wurde fünf Wochen geprobt und in zwei weiteren der vorproduzierte Film gedreht. Dazwischen gab es Pausen, in denen die Verantwortlichen konzeptionell und textlich ohne Schauspieler weiter arbeiteten.

Hannes Weiler ist Regisseur und gleichzeitig Autor des Stückes. Er verwendet auch ein paar Fremdtexte, zum Beispiel von Dostojewski oder Adorno, zu deren Utopieverständnis, oder aus der Bibel, genauer gesagt dem Markus-Evangelium.
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Die Atmosphäre ist, vor allem durch Musik, mal unheimlich, mal einfach abstrus. Das konnte man auch dem Publikum anmerken, das sich deutlich erheitert zeigte, als zum Beispiel Leander in der Küche steht und eine enorme Menge Teig knetet. Ein Handy klingelt, er kann jedoch nicht ran gehen, weil seine Finger voll Teig sind. „Ich weiß, was du willst, du willst meinen Finger spüren, 37 Grad Körpertemperatur. Aber die kann ich dir im Moment nicht geben!“

Am Ende bleibt alles offen, ein Handy klingelt abermals, man ist zurück in der Moderne. Das Theaterstück thematisiert mit Zeitsprüngen und Ortwechseln die Gewissheit der zerstörten (politischen) Stabilität und wie Menschen damit umgehen.

Foto: Joachim Dette
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