Bastard der Harmonie

Wasser in den Topf, Schalter an. Wenn es sprudelt kommt der Beutel in die Tasse, das Wasser darüber. Und damit der Beutel auch nicht leer ist, startet in Andisleben bald die Ernte.

Von Jessica Bürger, Charlotte Wolf

Der Geruch ist überall. Er klebt an den Möbeln, liegt in der Luft und haftet an den Besuchern. Die Pfefferminze riecht unglaublich intensiv und das, obwohl die Felder mehrere Kilometer von dem Hauptgebäude entfernt liegen. Ein flacher, sandfarbener Bau mit dunklen Fluren, direkt am Ortseingang von Andisleben, nahe Erfurt. Hier hat auch Abteilungsleister Norbert Materne sein Büro, klein aber deutlich heller als die Flure und wie alles andere von dem aromatischen Geruch der Pfefferminze erfüllt.
„Wir blicken auf eine zweihundertjährige Geschichte des Pfefferminzanbaus zurück“, sagt der Pfefferminz-Mann und schaukelt auf seinem Bürostuhl. Bereits Karl der Große schrieb vier Minzsorten für den Gartenanbau vor. Die heute heimische Pfefferminze Mentha x piperita kam allerdings erst Ende des 17. Jahrhunderts über Nordafrika, Südeuropa und England nach Deutschland. Seit 1815 ist nun die Gegend um Andisleben herum Anbaugebiet für die Heilpflanze. Das Anbaugebiet der Pfefferminze beträgt bei der Gerataler GmbH rund 80 Hektar.
Wer also die Pfefferminze bisher nur aus dem heimischen Kräutergarten kennt und neugierig ist, das Ganze in großem Maßstab zu erleben, der kann sein nächstes Radtour-Ziel nach Andisleben auslegen. Die duftenden Felder sind für einen Ausflug sehr geeignet und die erfrischende Luft motiviert auch diejenigen zum Radeln, die eigentlich lieber die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Interessant ist es definitiv, denn Thüringen ist neben Bayern Hauptanbaugebiet für Pfefferminze in Deutschland.

Multitalent aus Thüringen

In Andisleben wird sie vollständig zu Tee verarbeitet. Sie kann zudem als Öl oder in der Medizin genutzt werden, da sie unter anderem beruhigend auf das Nervensystem, bei Kopfschmerzen oder Krampfanfällen wirkt. „Unsere Sorte Pfefferminze, die Multimentha, wird gerne für Teemischungen genommen, weil sie gut mit anderen Sorten harmoniert. Normalerweise ist Pfefferminze eher scharf und reizend.“ Materne spricht von seinen Pflanzen in einer Sanftheit, wie Eltern von ihren Kindern. Braun gebrannt, ausladend gestikulierend, beschreibt er den Werdegang der Pfefferminze von der Saat bis hin zum Teebeutelchen. Immer wieder huschen seine Hände zu drei Linealen auf dem Schreibtisch, schieben sie hin und her, ordnen sie der Größe nach an.
Ausgesät werden keine Samen, sondern sogenannte Stolonen, aus Kopfstecklingen gewonnene Wurzeln. Anders als mit dieser aufwendigen Methode ist eine Bastardvermehrung nicht möglich. Pflanzenschutzmittel werden zwar traditionell verwendet, doch möglichst vor dem Keimen der Pflanzen. Eine Pflanze erlebt meist einen zweijährigen, selten auch dreijährigen, Erntezyklus mit zwei Ernten pro Jahr. Das hält den Anbau frisch und gesund.
Neben den Kontrollen des Pflanzenschutzmittels muss eine ganze Liste an Dingen abgehakt werden, die eine gute Pefferminzpflanze erfüllen muss. Sie muss schön grün sein, außerdem werden der Ölgehalt, die Keimbelastung, die Anzahl fremder Bestandteile – zum Beispiel Unkraut – und der Aschegehalt gemessen. Nach der Ernte werden die Pflanzen getrocknet – der teuerste Teil der Produktion –, zwischengelagert und aufbereitet.

Betriebsgeheimnis: Zusammenhalt

Materne veranschaulicht die Erntephase, indem er Interessenten über die Felder führt, ihnen die Pfefferminzpflanzen zeigt und Einblick in die Trocknungsanlage gibt. Im Anschluss kann man noch die hauseigenen Kochkünste in der Kantine probieren und im Hofladen etwas von dem geernteten Tee kaufen.
„Die Konkurrenz zu anderen Pfefferminz-Anbauern in Thüringen ist nicht stark. Wir Abnehmer sind an der Situation historisch gewachsen.“ Während der DDR wussten die Anbauer nicht, wohin ihre Ware ging, die Vermarktung lief über staatliche Abnahmestellen und große pharmazeutische Betriebe. Nach der Wende gäbe es zunehmend Nachfragen aus den alten Bundesländern, wodurch sich eine relativ stabile Absatzsituation gebildet hätte. Das halte bis heute.
So geht es immer weiter im Anbau, Setzen, Wachsen, Ernten, Trocknen und wieder von vorn.
Der Pefferminz-Mann muss schließlich dazu beitragen die Welt zu harmonisieren.

Foto: Charlotte Wolff
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