Jung, radikal, deutsch

Vom Jenaer Sportstudenten zum Islamisten

Von Jan-Henrik Wiebe

„Man darf nicht alle Salafisten in einen Topf werfen“, meint Omar Nassimi vom Islamischen Kulturverein im Jenaer Damenviertel. Nicht alle seien gewaltbereit. Samuel W. jedoch hat sich für die Gewalt entschieden. Der 21-jährige Sportstudent aus Jena ist zur Zeit auf dem Weg in den Nahen Osten. Dort will er für den Islamischen Staat (IS) kämpfen.

Nassimi wollte Samuel treffen, ihn von seinem Vorhaben abhalten. Er hatte erfahren, dass der junge Konvertit islamistische Ansichten hat und in Richtung Syrien reisen will. Doch zu einem Treffen ist es nie gekommen. Samuel ist mit seinem Freund Max P. (19) schon auf dem Weg zum angeblichen Gottesstaat. Beide stammen aus Dippoldiswalde im Erzgebirge und gingen gemeinsam zur Schule.

Als ich ihn treffe, sitzt Nassimi im Gebetsraum des Kulturvereins und kann nicht verstehen, wieso ein junger Deutscher, der erst vor knapp einem halben Jahr zum Islam konvertiert ist, so plötzlich gewaltbereit wird. Er vermutet, dass Samuel sich in den Glauben hineingesteigert habe und für diesen mehr tun wolle als alle anderen. „Dabei lehnen die meisten Muslime den IS ab. Die Mehrheit hält, was diese Menschen machen, für barbarisch. Eigentlich müsste es ‚Unislamischer Staat‘ heißen“, sagt Nassimi. Er ist Anhänger der traditionellen sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, die nicht nur den Koran liest, sondern auch den Kontext betrachtet. Dies tun die Salafisten nicht. Sie interpretieren den Koran wortwörtlich. Samuel hatte keine Zeit für verschiedene Interpretationen. Arabisch kann er nur bruchstückhaft gelernt haben.

Selbst die Moschee hat er in seinem Studienort in der Saalestadt nicht regelmäßig besucht. Nur manchen Freitagen sei er in die Gebetsräume des Islamischen Zentrums Jena e.V. in der Wagnergasse gekommen, berichten Vereinsmitglieder. Auch in dieser Gemeinschaft sind die meisten Gläubigen ebenso Anhänger der sunnitischen Glaubensrichtung. Ein paar Gemeindemitglieder erkennen Samuel auf einem Foto wieder, doch viel wissen sie nicht über ihn zu berichten.

„Der war nicht der Typ, dass er so etwas Radikales macht“, sagt Mohammed Khan*. Er ist ein hohes Mitglied der Moschee in der Wagnergasse. Wie an jedem Freitag sind auch an diesem wieder viele Männer in den winzigen Gebetsraum gekommen. Dicht an dicht sitzen sie auf dem Boden, bis kurz vor die Eingangstür. Die kleine muslimische Gemeinde ist erschüttert. „Solche Leute schaden dem Islam mehr als sie ihm helfen“, meint Khan. Die Gemeinde lehne eine Vermischung von Religion und Politik ab. So steht es auch auf der Hausordnung am Eingang. Khan positioniert sich gegen Hassprediger und Salafisten: „Pierre Vogel und solche Sachen sind hier tabu!“

Videos über den Islam

Ein Studienkollege berichtet, dass Samuel nie auffiel in der Uni. Sie saßen zusammen im Seminar. Daniel* berichtet: „Mit seinem Verhalten und den Gesprächen hat er einen sehr netten und zuvorkommenden Eindruck auf mich gemacht. Er hat nicht mal ansatzweise über radikale Themen gesprochen.“

Ein ganz anderes Bild bekam er jedoch, nachdem er Samuels Freundschaftsanfrage bei Facebook bestä- tigte. Dort veröffentlichte der Konvertit fast ausschließlich Videos über den Islam. „Man hat nichts anderes mehr gesehen“, so Daniel. Am Ende fehlte er dreimal im Kurs und musste die Dozentin überzeugen, um noch bleiben zu dürfen. Er erschien allerdings trotzdem nicht zu den Prüfungsterminen. Daniel erzählt, er hätte nicht gedacht, dass Samuel „in irgendeiner Art und Weise in die Richtung des radikalen Islamismus tendiert oder zu radikalen Handlungen fähig ist.“

Auch Nassimi weiß, dass bei Islamisten heutzutage vieles über das Internet geht. „Die gucken sich einige Videos von radikalen Predigern an und dann glauben sie denen alles.“ Er hofft, dass Thüringen bald einen traditionellen Gelehrten bekommt, der die deutsche Sprache spricht. Nur so könne den Menschen der Islam erklärt und verhindert werden, dass sie zu radikalen Islamisten werden.

*Namen von der Redaktion geändert

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