„ARSCHLÖCHER WIE DU UND ICH“

Lothar König im Kurzporträt

Von Christoph Renner

„Hab heute nen schwarzen Fleck gesehen, ist mir noch nie passiert.“ Lothar König, Jahrgang 54, war gerade beim Augenarzt. Der Jugendpfarrer der Jungen Gemeinde Jena kommt eine Viertelstunde zu spät, gibt kurz die Hand und geht dann den langen Gang Richtung Eisentor voran. Die Wände des Ganges sind aufwändig gestaltet, mit zahlreichen politischen Botschaften. Aber König ist schon am Tor und interessanter als Graffiti. Und das nicht wegen seines Vollbarts und der Sandalen, die er auch im Oktober ohne Strümpfe trägt.
Lothar König ist ein anstrengender Gesprächspartner. Wenn er von seiner Arbeit, von Begegnungen, Begleiten und Zuhören spricht, kann man sich Letzteres schwer vorstellen. Lothar König als Zuhörer? Eigentlich redet immer er. „Ich bin Geschichtenerzähler“, sagt er von sich. Geschichten, Eckphrasen, Gesellschaftsprobleme, Versatzstücke von Wissenschafts- und Kirchengeschichte. Ein rhetorischer Floh, der im Gespräch hin- und herspringt, wie es ihm passt, der gegenüber hechelt hinterher. Er springt dabei gerne mal daneben, trifft aber gelegentlich auch ins Schwarze.
Was der Zuhörer vielleicht gar nicht mitbekommt, weil er vorher schon abgeschaltet hat. „Schau, dass du da einen roten Faden reinbekommst“, sagt er am Ende des Gesprächs.

„Ich bin jetzt da.“

Es beginnt so: König setzt sich und sagt: „Ich würde am liebsten anfangen, ich bin jetzt da.“
Auf die Frage, wie ihn die DDR-Zeit geprägt habe, die für ihn eine Zeit des Widerstands war, beginnt er zu erzählen, warum er Istanbul noch immer Konstantinopel nennt. Ein Gemeindemitglied kommt in diesem Moment in den Raum: „Ihr könnt doch nicht nach fünf Minuten schon so abschweifen.“
König erzählt von seiner ländlich geprägten Kindheit in Leimbach bei Nordhausen, von zwei früh verstorbenen Geschwistern. Er erzählt von einer Schneeballschlacht in der zweiten Klasse. „Wir hatten drei Jungs im Ort, die mochte keiner. Das waren Vertriebene aus Schlesien. Und bei Schneeballschlachten gingen dann alle auf die drauf. Da hab ich dann spontan die Seiten gewechselt.“ Lothar König erzählt diese Geschichte sicher nicht zum ersten Mal.
„Dass die mich in den 80ern nicht eingesperrt haben, ist ein Wunder.“ König zählte Ende der 80er zum engsten Kreis des Neuen Forums, der wichtigsten Bürgerbewegung in der DDR. Viele aus dem Neuen Forum sind damals in politische Ämter gegangen, das sei aber nichts für ihn gewesen. Er trete doch in keine Partei ein.
Nach der Wende ging er nach Jena, baute die Junge Gemeinde in der Johannisstraße wieder mit auf. Rechtsradikale hätten das Haus erst unter Wasser gesetzt, und dann versucht anzuzünden, was aber wegen der Nässe nicht funktioniert habe. Stattdessen hätten sie sämtliches Mobiliar kurz und klein geschlagen.

Lothar König predigt eine Welt voller Freiheit, in der man das Fehlerhafte des Menschen akzeptiert. Doktrinen verbiegen den Menschen oder seien von Leuten formuliert, die sich für unfehlbar hielten. In diese Welt scheint er oft abzudriften, blickt den Gesprächspartner selten an. Man schrickt fast auf, wenn er es doch tut.
König kämpft gegen Rechtsextremismus, führt Demos an, und Anklagen der sächsischen Justiz wegen aufwieglerischen Landbruchs (2013 fallengelassen) können ihn genauso wenig daran hindern wie tätliche Angriffe, weswegen er eine Narbe neben dem rechten Auge trägt. Vor kurzem sprach er im Jenaer Stadtrat, Thema Flüchtlinge. Er sagt dazu: „Ich kann diesen Hype um die Willkommenskultur nicht leiden. Man tut so, als kämen da Halbgötter zu uns. Dabei sind das Menschen, Arschlöcher wie du und ich. Das wird eine schwierige Aufgabe.“
Deshalb gebe es eine Initiative von der JG, in welcher Einheimische und Zugereiste, die sich bereits integriert haben, in Dialog mit gerade angekommenen Asylsuchenden treten. Auf die Frage, wie das Projekt heiße, antwortet er: „Ich hasse Projekte. Das machen wir, die JG.“

„Stell dich mitten in das Feuer.“

Während des Gesprächs ist König ständig am Telefonieren, mitunter auch länger, zwanzig Minuten insgesamt, und führt dann jedes Mal die Unterhaltung fort, als wäre nichts gewesen. Er raucht selbstgedrehte Zigaretten, die er zwischendurch mehrmals wieder anzünden muss, weil sie ihm beim Reden ausgehen.
„Stell dich mitten in das Feuer und versuche, gut zu sein.“ Ob dieses Zitat von Bert Brecht nicht zu ihm passe.

Gut wolle er nicht sein. „Gut allein ist Gott.“ Aber nähme man das Gut weg, versuche man, Mensch zu sein, dann gehöre Widerstand dazu. Man solle widersprechen, wenn man davon überzeugt ist. „Ich habe es oft ausprobiert, bin öfters auf die Fresse gefallen. Aber warum nicht unangenehme Wahrheiten aussprechen?“

Ob man ihn einen „Revoluzzerpfarrer“ nennen könnte? Er glaube an keine Revolution und zitiert Christa Wolf: „Wenn ihr aufhörn könnt zu siegen, wird diese eure Stadt bestehn.“ Dann lacht er und meint: „Aber ein bisschen revoluzzen, provozieren, das ist schon was für mich. Das mach ich jederzeit, jeden Scheiß, solange ich andere nicht verletze.“ Das ist Königs Evangelium – in der JG und auf der Straße.

Foto: Daniel Hofmann

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