Der Zauber ist verkäuflich

Vom Weltretter-Tourismus und Gutmensch spielen in Ghana

von Christoph Renner

Ich laufe zum ersten Mal durch das kleine ghanaische Dorf mitten im Regenwald, stolziere an den kleinen Wellblechhütten vorbei. Ich strenge mich an, meinem Selbstbild zu entsprechen, das ich mir für Afrika entworfen habe. Pastoral grüße ich jeden, an dem ich vorbeilaufe, mit gehobener Hand und breitem Grinsen wie ein einseitig gelähmter Hampelmann. „Mahaaaaaao“, gröle ich langgezogen, „Guten Tag“ – das einzige Wort, das ich bisher auf Twi kenne. Gut will ich sein, und das sollen auch alle sehen. Offen will ich sein, will zeigen, dass es mir nichts ausmacht, wie sie ohne fließend Wasser zu leben, die Waschstelle ein Bretterverschlag. In vier Monaten will ich daheim sagen können: Diese Zeit hat mich total verändert.

Als ich einen uralten Mann grüße, der unter einem Mangobaum sitzt und mein Schauspiel wohl bereits seit einigen Minuten verfolgt, entgegnet er mir bestimmt: „Ich muss dich doch zuerst grüßen, denn ich bin älter als du.“

Als ich Monate später meine life-changing Experience zu Studienbeginn in Bildern auf Facebook festhalte, arrangiere ich mich gekonnt zwischen süßen Kindern, Dorfältesten, Fetischpriestern und Affen. Die Zeit in Afrika als glänzender Mosaikstein meiner Persönlichkeitsentwicklung, ob in Erzählungen auf Partys oder im Lebenslauf.

Zahlen, um zu arbeiten

Wie viele andere junge Deutsche habe ich über den Reiseveranstalter Travel Works einen Freiwilligendienst gemacht. Vier Jahre später habe ich jetzt bei Travel Works nachgehakt und meine eigenen Erlebnisse reflektiert, um das Wesen dieses Weltretter-Tourismus zu erfassen.

Ich habe in Ghana tolle Begegnungen gehabt und enge Freunde gefunden. Doch wirklich helfen konnte ich nicht, wenngleich ich mich in der Folgezeit gerne mal als Mutter Teresa inszeniert habe. Obwohl ich damals fast 2.000 Euro an den Reiseveranstalter überwiesen hatte – ohne Flug, Impfung, Visa, nur dafür, dass ich arbeiten durfte.

Ich wurde damals in ein entlegenes Dorf in der Mitte Ghanas geschickt. Zur nächstgrößeren Stadt waren es zwei Stunden mit dem Auto, in der Regenzeit drei, weil der Transporter einige Male im Matsch der schmalen Straße stecken blieb. Angrenzend an den Ort gab es ein Affenschutzreservat, das Boabeng-Fiema Monkey Sanctuary. Dort sollte ich, so die offizielle Aufgabe, die Eintrittsgebühr von Touristen einsammeln.

Das war eigentlich die Arbeit meines Gastvaters, der dafür 400 Cedi (circa 200 Euro) im Monat verdiente. Nur kamen unter der Woche keine Besucher, höchstens am Wochenende ein paar. Nach einer Woche untätigen Rumsitzens zu zweit am Stützpunkt des Reservates hatte ich genug und fragte einen Nachbarn, der Lehrer in der Dorfschule war, ob ich nicht dort helfen könnte.
Die Klassenräume waren offene Unterstände. Die Schüler trugen ihre Bänke täglich kilometerweit von daheim in die Schule und zurück. Viele saßen während des Unterrichts auf dem Boden. Es fehlte an Schreibgerät. Der Schulleiter war nie im Gebäude anzutreffen, betrieb nebenbei eine kleine Apotheke. Es gab nicht genug Lehrer für alle Klassen.

Mir wurde von einem noch sehr jungen Lehrer an meinem ersten Tag in der Schule ein Stapel Bücher in die Hand gedrückt mit der Bitte: „Please take care of Primary Four“. Und so gestaltete sich meine Arbeitszeit dann: Unter der Woche unterrichtete ich die vierte Klasse, am Wochenende führte ich Touristen durch das Reservat. Die Schulbücher waren durchgehend auf Englisch, obwohl die Muttersprache der Kinder Twi war. Mit Händen und Füßen versuchte ich, ihnen trotzdem etwas beizubringen. Am Ende konnte ich sagen, dass ich die Schüler immerhin beschäftigt hatte, aber zu behaupten, ich hätte zur Verbesserung ihrer schulischen Situation beigetragen, wäre eine glatte Lüge.

Damit ein Volontär sich einbringen kann, sollten zuvor angemessene Strukturen geschaffen werden, um eine nachhaltige Verbesserung der Zustände vor Ort zu erreichen. Diese Möglichkeit bot mir Travel Works nicht.

Nach mir kam nur noch eine Freiwillige nach Fiema, es herrscht dort jetzt noch genau der gleiche Ressourcenmangel und die Schulbücher sind immer noch nicht für den Unterrichtsalltag zu gebrauchen.

Andere Volontäre, die mit mir nach Ghana geflogen sind, hatten es sogar noch schlimmer: Sie hatten gar nichts zu tun. Sie standen neben Arbeitern auf der Baustelle rum oder waren zu sechst einer zehnköpfigen Gruppe von Heimkindern zugeteilt.

„Spare 150 Euro in Ghana!“

Auf der Website des Reiseveranstalters gehe ich auf die Infoseite „Freiwilligenarbeit in Ghana“. Unter einer mit einem Sparschwein verzierten Reklame mit dem Titel „Spare 150 Euro in Ghana“ findet sich eine kurze Tätigkeitsbeschreibung, daraus ein Ausschnitt: „Am Ende des Tages kann jedes Kind auf Englisch zählen. Du bist einfach überglücklich trotz der schwierigen Umstände wieder einen Schritt weiter gekommen zu sein!“

Ich rufe „meine Ansprechpartnerin“ für Freiwilligenarbeit in Ghana an, Janina Rahenbrock, konfrontiere sie mit meinen Erfahrungen und denen meiner Mitvolontäre. Ihr Konterfei zeigt sie jung, dynamisch, kosmopolitisch, sympathisch, offen. Damit verkörpert sie all das, was die Klientel des Reiseveranstalters gerne sein und am besten durch ein paar gute Taten im Ausland werden möchte. Travel Works macht dich besser und interessanter.

Ein gutes Gefühl geben – darauf hat man Janina Rahenbrock geschult, das merkt man am Telefon. Sie duzt mich sofort und spricht mit mir in demselben vertraulich-aufmunternden Tonfall, in dem sie auch mit Teenies reden würde, die aus Angst, nicht lebendig zur ersten großen Liebe nach Deutschland zurückkehren zu können, aufgelöst anrufen und fragen, was für giftige Tiere es in Ghana gibt.

Ich erkundige mich nach der Zusammenarbeit mit der afrikanischen Partnerorganisation, nach negativen Erfahrungen von und mit Volontären. Ich frage sie, ob man 1.880 Euro für vier Monate Hilfsdienst nicht effektiver anlegen könne. Wie diese Summe zusammenkommt, darüber könne sie keine genauere Auskunft geben.

Die Antworten, die ich von Frau Rahenbrock bekommen habe, durfte ich dann leider nicht verwenden. Meine Mail mit den Zitaten kommt über sie zur Geschäftsführerin Tanja Kuntz, und die legt erst mal ihr Veto ein.

Ich schreibe an die ghanaische Partnerorganisation von Travel Works, Syto Ghana (Student Youth and Travel Organisation), und frage an, ob sie mir einen Preisvorschlag für einen viermonatigen Freiwilligendienst in Ghana machen können. Der kommt auch prompt: 1.440 Euro. Das sind immerhin 400 Euro Differenz zum Angebot von Travel Works.

Vom grün-gelben Logo sieht der Volontär in Ghana nichts mehr

Die Projekteinteilung, die Auswahl der Projektstandorte, das alles macht Syto vor Ort, nicht Travel Works. Vom bekannten grün-gelben Logo sieht der Volontär in Ghana nichts mehr.
„Mit einer breit gefächerten Produktplakette möchten wir möglichst viele Menschen mit anderen Kulturen in Kontakt bringen“, liest man auf der Webseite. Doch wenn es zum Kontakt kommt, ist Travel Works ganz weit weg.

Das Vorgehen wird deutlich: Sie akquirieren junge Teilnehmer aus Deutschland, an denen Syto dann für wenig Leistung viel Geld verdient. Die Differenz zwischen den Beträgen kann dann als Provision für Travel Works gesehen werden.

„Der Freiwillige ist der Verbraucher.“

Nana Kwame Abrokwa hat Syto mit aufgebaut und bis vor einem Jahr dort gearbeitet. Er beschreibt dieses System sehr plastisch: „Toyota oder Mercedes Benz? Was würdest du kaufen? Ohne Travel Works würden wir nie Teilnehmer aus Deutschland bekommen.“ Er räumt aber auch ein, dass bei Syto der Profit im Vordergrund stünde, es gäbe effektivere Möglichkeiten, Hilfsarbeit zu leisten.

„Wenn die Freiwilligen nur zwei Wochen nach Ghana kommen wollen, dann organisieren wir das“, erklärt Abrokwa. „Der Freiwillige ist der Verbraucher, nach dem wir uns richten, das erschwert eine effektive Projektplatzierung. Die Volontäre bleiben im Schnitt nicht lange genug, haben oft auch keine Ahnung von dem Tätigkeitsfeld, das sie erwartet.“ Zu Travel Works sagt er: „Travel Works ist auch kein wohltätiger Verein. Sie verkaufen ein Produkt.“

Das Produkt ist die Möglichkeit für junge Leute, sich ein persönliches Upgrade zu verschaffen, so wie ich es in der Rückblende auch gemacht habe: Hey, ich war in Afrika! Das viele Geld, das Travel Works und Syto einnehmen, um Freiwillige nach Ghana zu schicken, wäre in dem Land anderweitig viel besser angelegt.

Ein Band von Kurzgeschichten über das heutige Simbabwe der britischen Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing trägt den Titel Der Zauber ist nicht verkäuflich. Das Werk könnte von Travel Works handeln.

2 Antworten auf Der Zauber ist verkäuflich

  • Hallo!
    Eine Freundin hat mir gerade deinen Artikel zugeschickt und mich gefragt, ob ich auch so denken würde. Auch ich war in Ghana, mit TravelWorks für 3 Monate. Von daher kann ich einen Großteil deiner Kritik nachvollziehen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass TravelWorks und auch SYTO im Voraus informiert haben, dass man seine Erwartungen nicht zu hoch ansiedeln sollte. Wenn du mit dem Gedanken an das Projekt heran gegangen bist, die Welt zu retten, ist das logisch, dass du enttäuscht bist. Keiner in Ghana hat auf dich gewartet! Diese Erfahrungen musste ich auch machen. Auch ich saß öfter mal herum und habe mich nutzlos gefühlt. Aber dann kommt es immer darauf an, wie du an die Sache ran gehst und wie viel Eigeninitiative du zeigst! Hauptsächlich geht es nicht um die Möglichkeit das Land aufzubauen, sondern die Leute kennenzulernen, mit ihnen zu arbeiten, den Alltag zu erleben. Und das wurde meiner Meinung nach erfüllt.
    Beste Grüße!
    Lea

  • Ist es nicht eine strukturell rassistische Einstellung, nach Afrika gehen zu wollen, um denen dort zu helfen? Steckt da nicht die Grundauffassung drin -wir sind die guten, die anderen aber die armen und kranken, hilfsbedürftigen?
    Ich würde sagen, es ist von vorneherein schon besser, das als Arbeit zu sehen, und nicht als Rettung der Welt.

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