Freiwillig isoliert

Alleine reisen in Island

von Niclas Seydack

Er stellt sich neben mich an die Absperrung vor dem stolzen Gullfoss-Wasserfall, Haukadalur Tal, Island. Seine rechte Augenbraue ist gepierct, er trägt eine signalblaue Jacke aus Ballonseide. Ob ich ein Foto von ihm und dem Wasserfall machen könne, fragt er, hält mir sein Smartphone hin. Ich mache zwei, drei Aufnahmen. Er schaut sie durch, bedankt sich. Ich sehe, er startet einen Upload und beschwert sich, der Internetempfang in Island sei beschissen.

Er heißt Kent und kommt aus Brügge. Dort sei es um diese Jahreszeit deutlich schöner, das versichert er mir jetzt und mehrmals im Verlauf des Tages. Die Niagara-Fälle seien sicherlich noch beeindruckender als dieser Wasserfall, sagt er. Da möchte er auch unbedingt mal hin.

Kent lädt mich ein, mit ihm zu einem nahegelegenen Nationalpark zu fahren. Island ist unsäglich teuer, deshalb willige ich ein. Allem, was Kent unterwegs gefällt, wendet er sofort den Rücken zu und macht ein Selfie.

Hinter ihm: Schwarze Berge, eingefärbt vom Basalt. Berge, überwuchert mit Moos. Berge, rot, weil die Eisenpartikel auf der Oberfläche oxidieren. Berge, die rosten, inmitten unendlicher Lavafelder.

Es ist wie in der Kindheit, als man Ferien mit den Eltern gemacht hat. Man bemüht sich nicht wirklich um Kontakt mit Gleichaltrigen, dennoch passiert es. Man verbringt die Zeit mit einem Fremden, doch als Erwachsener funktioniert das Konzept Ferienfreund nicht mehr.

Kent belehrt mich, auf Reisen komme es auf die richtige Gesellschaft an. Egal, wie beeindruckend ein Ort sein mag, ohne Gesellschaft (er sagt Freunde) sei das nichts wert. Das letzte Drecksloch kann dein Arkadien sein, wenn nur die richtigen Leute dabei sind. Kann eine Erfahrung nur eine Erinnerung werden, wenn man sie mit jemandem teilt?

Wollen wir uns morgen wieder treffen, fragt er. Nee, lüge ich, morgen sehe es nicht gut aus, da habe ich – kurze Pause – Pläne. Höfliches Abwimmeln funktioniert nicht. Kent, hör zu, ich reise allein, um allein zu sein. Mir gefällt es, mich nicht um andere kümmern zu müssen und auf deren Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Er sieht traurig aus, findet es aber irgendwie cool, sagt er.

Zurück im Hostel ist mir meine Inszenierung als einsamer Reisender peinlich. Vor dem 7-Euro-Bier in der Hostelbar sitzend, stelle ich eine neue These auf: Glück im Urlaub ist Egozentrik gepaart mit gefüllter Brieftasche.

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