Menschensafaris

Slumbesuche als Touristenattraktion

von Lisa Laibach

Beim Betreten des Reisebüros breitet sich in mir ein mulmiges Gefühl aus. Ob es Slumtouren gibt, um die Ärmsten dieser Welt anzugaffen – diese Frage fühlt sich beschämend an. Erstaunlicherweise ist die Dame im Reisebüro so gar nicht davon überrascht, kann mir aber auch nicht sagen, wo solch ein Angebot zu finden ist.

In einem Katalog werde ich aber fündig: Eine Township-Tour, bei der die Besucher „die andere Seite Kapstadts“ zu sehen bekommen.

Viele Menschen auf kleinster Fläche

Um 1884 wurde in England erstmals das Wort slumming benutzt, als einige Bewohner von London Armenviertel besuchten, um die Lebenssituation der Slumbewohner zu betrachten. Heute, gut 130 Jahre später, boomt die Branche. Jedes Jahr besuchen circa 15.000 Menschen Slums, Townships und Favelas. Die beliebtesten Ziele sind Südafrika, Brasilien, Mumbai oder Dharavi und jährlich kommen ein bis zwei Städte weltweit hinzu, in denen Tages-Slumtouren angeboten werden.

Dass diese Form des Tourismus eine gute Seite haben kann, zeigt der Anbieter Reality Tours & Travel mit seinen Slumtouren durch Dharavi, den größten Slum Asiens. Eine Million Menschen leben dort auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern; in München, der am dichtesten besiedelten Stadt Deutschlands, sind es nur 9.000.

Geleitet werden diese Touren von Menschen, die selber dort aufgewachsen sind. Dadurch haben sie einen Job und ein festes Einkommen. Reality Tours & Travel hat gemeinsam mit den Slumbewohnern Regeln für die Besucher aufgestellt: Sie dürfen keine Fotos schießen und müssen angemessene Kleidung wie lange Röcke, Hosen und schulterbedeckende Oberteile tragen. Außerdem gehen 80 Prozent der Einnahmen in die Slums, sodass soziale Projekte wie Gesundheitsprogramme, Englisch- oder Computerkurse gefördert werden können.

„Townships wird es in dieser Form wohl bald sowieso nicht mehr geben. Für jedes neu errichtete Backsteinhaus wird eine Wellblechhütte abgerissen und in ein paar Jahren sieht das hier alles ganz anders aus“, erklärt ein Guide in Johannisburg einer Touristengruppe.

Die Anbieter solcher Rundgänge versprechen drei Effekte: Touristen lernen neue Kulturen und Lebensweisen kennen, sie tun Gutes, weil ein Teil der Einnahmen gespendet wird, oder sie bekommen die wirkliche Seite des Landes gezeigt.

Schutz der Slumbewohner nicht im Vordergrund

Das ist nicht überall so. Die meisten Townshiptouren bringen kaum Geld für die Bewohner ein. Diese erhalten im besten Fall eine kleine Aufwandsentschädigung dafür, dass wöchentlich hunderte Menschen durch ihre Wohnung trampeln. Problematisch ist auch, dass die Slumtouren als Kulturgut verkauft werden, wodurch die Armut ihre politische Dimension verliert.

Dass die Bewohner der Townships aber wie Tiere im Zoo betrachtet oder sogar fotografiert werden, ist entwürdigend. Deshalb werden solche Touren auch als Menschen-Safari oder Pornografie der Armut bezeichnet. Häufig argumentieren Anbieter, dass sich die Slumbewohner durch den Besuch der Touristen aufgewertet fühlen. Aufwertung durch fremde Menschen, die durch deine Wohnung marschieren und dich anglotzen.

Globale Ungerechtigkeit

Die schlimmsten Touren aber sind wohl die, bei denen Touristen in ihren klimatisierten Bussen durch die Slums fahren und aus ihrer abgeschotteten Bus-Idylle heraus das Elend und die Armut begutachten können. Sie sind geschützt vor der schlechten Hygiene und dem vielen Müll. So schaut man sich heutzutage die wahre Seite eines Landes an.

Im Internet werden Slumtouren zu Hauf angeboten, im Reisebüro und in den Katalogen eher weniger – lediglich eine Townshiptour in einem dicken Katalog. Das Interesse an solchen Angeboten nimmt jedoch zu und Touristen wollen immer häufiger diese Seite der Länder sehen. Jedoch bleibt Armutstourismus eine Mischung aus scheinbarer Hilfe für die Bewohner und Neugier der Besucher.

Foto: Eva Ekamby
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