Kommentar zur FSU-Stura-Wahl
von Benjamin Schmidt
Wahlbeteiligung: 9,3 Prozent. Das Traurige daran ist, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Dieser Wert wird allgemein mit Erleichterung aufgenommen. Für größeren Andrang war die Wahl auch nicht ausgelegt, selbst bei voller Auslastung der Wahlkabinen hätten kaum mehr als 20 Prozent der Studenten wählen können. Dies kann und darf aber nicht das Ziel sein.
Erfahrungsgemäß werden im neuen Stura kaum mehr als die Hälfte aller Mitglieder anwesend sein. Effektiv kann eine Handvoll Personen, die zusammen von vielleicht zwei-, dreihundert Studenten gewählt wurde, für die gesamte Studentenschaft Entscheidungen treffen. Etwa 3.000 Biologie-, Physik- und Astronomiestudenten hatten gar nicht erst die Möglichkeit, auch nur irgendjemanden zu wählen. Jeder von ihnen zahlt dennoch pro Semester sieben Euro, welche der Stura verwaltet. „Taxation without representation“. In Amerika hat ein solcher Umstand schon mal für eine Revolution gesorgt.
Nicht so in Jena, denn hier liegt der Missstand nicht an einem unterdrückenden Regime, sondern an Desinteresse und Unwissenheit der Studentenschaft einerseits und der geringen Organisation der Wahl andererseits. Letzteres kann man nicht einmal dem Wahlvorstand vorwerfen, dessen Mitglieder unentgeltlich mehr als 100 Stunden an Arbeit investiert haben, um das Bestmögliche herauszuholen. Es mangelt an Werbung, um den Studenten anzusprechen. An Wahlhelfern, um Urnen an mehreren Tagen in den Mensen und der Thulb gleichzeitig aufzustellen. Es werden sich auch in Zukunft nicht genügend Personen finden, die bereit sind ehrenamtliche Arbeiten, auf die nun wirklich keiner Lust hat, zu übernehmen.
Wenn sich an den deprimierenden Ergebnissen im nächsten Jahr etwas ändern soll, wird der neue Stura handeln müssen. Es ist nicht so, dass nur 10 Prozent der Wahlberechtigten bereit wären zu wählen. In einer Umfrage gaben 38 Prozent der Befragten an, bei der Stura-Wahl abstimmen zu wollen. Genauso viele waren sich noch nicht sicher. Der Student würde schon wählen, er will nur dafür nichts tun und muss regelrecht zur Urne getragen werden. Oder die Urne zu ihm. Wenn nicht per Onlinewahl, dann über Kabinen an allen studentischen Orten gleichzeitig und an mehreren Tagen. Jedem Studenten muss die Möglichkeit der Wahl gegeben werden. Wenn dieser dann nicht wählt, ist das sein Problem. Aber erst dann.
Für all dies braucht es Geld. Geld für Werbung, Geld zur Entschädigung von Wahlhelfern. Geld, das selbst unter den katastrophalen Haushaltszuständen freigemacht werden muss.
Tja.
Die 3000 Studierenden aus den Naturwissenschaften konnten nicht wählen, weil keiner aus ihren Reihen Lust hatte, zu kandidieren. Selber schuld, würde ich mal sagen.
Außerdem ist die Forderung nach mehr Wahlmöglichkeiten absurd. Sicher, es wäre schön, aber es stimmt auch, dass kaum einer Bock hat etwas ehrenamtlich zu machen. Dann lieber Freizeit und gammeln/chillen. Ich persönlich entwickel mich auch immer mehr zum Chiller, weil ich langsam nicht mehr seh, was Engagement einem bringt außer Frustration, Desinteresse vom den anderen Studis. Es lohnt sich kaum mehr, für andere (anonyme Fremde!) etwas zu tun wenn die anderen doch überwiegend an sich selber denken. Ich bin kein Soziologe aber wir züchten uns da ein gesellschaftliches Problem heran; oder?
Und genau das ist nämlich eines der Hauptursachen für Missstände in der Hochschulpolitik. Keiner hat Bock drauf und dann machen es eben die, die noch Ideale haben. Die kann man kritisieren, aber eines muss man den Gewählten lassen: Sie haben noch Ideale.
Der Rest macht sein Karrierestudium, scheißt auf links und rechts gucken und kümmert sich darum, wann und wo die nächste Sause steigt.
p.s.: Wen’s interessiert hätte, der hätte auch wählen gehen können. Ins Stadtzentrum schafft’s noch jeder (mit dem kostenlosen Nahverkehr (freundlicherweise vom StuRa ausgehandelt)).