Durch den Verstärker

Rock und andere akustische Handarbeit

von Robert Pauli

Rockmusik braucht ihren Platz. Sie wird nicht nachts allein am PC mit Kopfhörern zusammengebastelt. Sie ist laut, sie ist live. Mit echten Bandkollegen und auch echt genervten Nachbarn. Sie braucht ihren Platz – und der ist im Kessel des Saaletals beileibe nicht das reichlichste Gut. Trotzdem gibt es eine Jenaer Rockszene. Und die hat gar keinen Grund, sich so bedeckt zu halten, wie sie es mitunter zu tun scheint.

„Die Situation war einfach irgendwann nicht mehr tragbar“, sagt einer von denen, die es schließlich selbst in die Hand genommen haben. Benjamin Bock ist Vorstandsmitglied des Phonton e.V., der 2005 gegründet wurde, um organisiert gegen den Mangel an Proberäumen anzugehen. Das Problem sei, dass geeignete Objekte eher an die freie Wirtschaft gingen, während die Kulturszene stiefmütterlich behandelt werde. Die Förderung subkultureller Projekte gehe auch anders, wie das Beispiel Leipzig zeige: „Da sind von den Verantwortlichen in der Stadt Schwerpunkte gesetzt worden, die die Bildung neuer Proberäume oder neuer Initiativen vorantreiben.“
Doch auch in Jena habe „die Stadt das Problem jetzt wirklich erkannt und bemüht sich, an einer langfristigen Lösung mitzuarbeiten“, meint Benjamin. Die Ideen und Projekte in Zusammenarbeit mit der Stadt seien jedoch allesamt zur Zeit noch nicht spruchreif. Nach dem Wegfall des alten Proberaum-Domizils am Betonwerk Göschwitz im letzten Jahr war kräftig demonstriert worden, Gespräche mit Stadtrat, Oberbürgermeister und JenaKultur folgten. Der Ruf nach mehr Raum für Musik wurde aber inzwischen von privater Seite erhört und so haben 25 Bands durch Phonton e.V. im Gewerbegebiet Göschwitz einen neuen Ort zum Proben gefunden. Nicht das Ende der Suche, aber ein guter Zwischenstand.
„Jena ist eine sehr kulturfreundliche Stadt“, betont Katrin Richter von JenaKultur. Nur sei die Förderung der freien Musik schwierig, weil der Geförderte nachweisen müsse, dass viele Menschen erreicht werden und kein kommerzieller Anspruch bestehe. „Jeder, der jedoch ein gutes Projekt hat, kann einen Antrag stellen – es ist noch Geld vorhanden.“

„Jena braucht sich nicht  zu verstecken“

„In Jena schlummert ein unglaubliches kreatives Potential, es gibt wahnsinnig viele sehr gute Bands, da braucht man sich vor anderen Städten nicht verstecken“, fasst Benjamin seine Sicht auf die Szene zusammen. Die Stilrichtungen weisen dabei ein Spektrum auf, das für eine einzelne Stadt durchaus erstaunlich ist. Vom lärmenden Punk, wie er sich rund um die JG Stadtmitte ansiedelt, reicht die Palette über Hardcore, Metal und Ska bis hin zu Genres wie Jazz und Singer-Songwriter.
Zwei Beispiele gefällig? Mitte Mai gewannen die vier Jungs von „Junk Sound“ den Emergenza-Bandcontest im Kassablanca. Sie ließen mit ihrem progressiven Rock, hart an der Grenze zum Metal, keine Zweifel daran, wie kraftvoll handgemachte Musik aus der Saalestadt sein kann. Die Probesituation der jungen Gruppe ist dabei für hiesige Verhältnisse überaus privilegiert: Mitten auf dem Schrottplatz gelegen dringt bis zu den nächsten Anwohnern auch bei voll aufgedrehten Verstärkern nurmehr ein leises Surren.
Mit „Dämse“ hatte im vergangenen Jahr eine weitere vielversprechende Gruppe einen Bandcontest erfolgreich genutzt, um das Publikum für sich zu begeistern. Doch setzten die drei auf eine ganz andere Richtung, indem sie ihre instrumentalen Klänge mit dezenten Sounds aus dem Synthesizer mischen. Das Ergebnis kann als minimalistisch, beinahe dadaistisch beschrieben werden, in allererster Linie ist es aber extrem tanzbar.
An neuartigen Kreationen wie diesen zeigt sich, dass eine der vermeintlichen Schwächen der Stadt, ihre überschaubare Größe, eigentlich ihre Stärke ist. Spätestens beim „Wagners Corner“, dem monatlich stattfindenden open stage im Café Wagner, trifft praktisch alles zusammen, was mit Instrument unterwegs ist. „Da ist jede Menge Experimentierfreude vorhanden, sodass schon mal einer, der sonst typische Gitarrensachen macht, mit jemandem zusammenspielt, der an elektronischen Sounds und Samples arbeitet“, erzählt Gerd Linke vom Café Wagner e.V. Der Verein ist zu einer der zentralen Schnittstellen zwischen den diversen musikalischen Milieus der Stadt geworden (siehe rechtes Interview Seite 14).

Live bringt keine Kohle

Bei aller Vielfalt innerhalb der Bandszene fällt ein Wort doch überdurchschnittlich oft: Stoner. Den noch Uneingeweihten sei gesagt, dass mit Stoner-Rockern jene gemeint sind, die beinahe meditativ ihre langhaarigen Köpfe schwingen, mal zu bluesigeren, mal zu härteren Klängen. Dabei ist nie ganz sicher, ob die Trance allein auf akustischen Ursachen beruht – worauf nicht zuletzt auch der Name jener Richtung fußt.
Nicht umsonst spielte mit „Colour Haze“ eine der namhaftesten deutschen Stoner-Bands letztes Jahr gleich zweimal in Jena, zunächst beim Rose Open-Air und später nochmals im F-Haus. Von den lokalen Vertretern der Richtung wie „Phönix Crossing“, „Grandfather“ oder „Jimmy Glitschy“ haben bisher hingegen die wenigsten gehört, was definitiv nicht deren musikalischer Qualität zuzuschreiben ist. Das Phänomen begrenzt sich auch nicht auf eine Stilrichtung. Stattdessen scheint hier ein weiteres Problem der hiesigen Rocklandschaft zu liegen: In den populären Clubs der Stadt steigt kaum mehr ein Jenenser auf die Bühne. Zumindest nicht, um ein Live-Konzert zu spielen.
„Die Leute bezahlen lieber für eine Party, um die ganze Nacht abzurocken, anstatt das gleiche Geld für zwei Bands auszugeben, wo sie mehrere Stunden schöne Musik haben“, sagt Katharina Vingert, ebenfalls vom Café Wagner e.V.. Auch Benjamin von Phonton stellt fest, „dass Live-Musik im Moment nicht mehr so geht wie noch vor ein paar Jahren.“ Mit Konzerten lässt sich das Geld schwieriger verdienen als mit Elektro-Partys.
Aber auch hier gilt: Suchet und ihr werdet finden. Ausschließlich Live-Musik, jeweils mit regionaler Vorband, bietet das „Black Night“ hinter dem Westbahnhof. Daneben gelten Jugendzentren wie das Hugo in Winzerla oder das Eastside in Jena-Ost als Schmieden für junge Bands, denen sie auch regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten bieten. Nicht zuletzt sei auf die Schallspieltage und -nächte verwiesen, bei denen der Verein Phonton mehrmals im Jahr lokale Musiker auf die Bretter steigen lässt. Mitbegründer Benjamin bringt es auf den Punkt: „Man muss eben auch an die Orte gehen, die die Karten nicht in der Touristeninformation verkaufen – dann findet man auch die Jenaer Musik.“

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