Lehre am Abgrund

Vom Seminar „Kunst und Psychosomatik“

Von Bastian Gebel

Der Kreisch - ausgestellt im Kreischsaal

„Der Kreisch“ – ausgestellt im Kreischsaal
Zeichnung: Martin Emberger

Es war Sonntag, zehn erschöpfte Studenten rissen die Vorhänge der Künstlerischen Abendschule beiseite. Endlich drang wieder Sonnenlicht in den großen stickstoffgesättigten Raum. Vor dem Fenster liefen junge Menschen vorbei und riskierten einen Blick auf die Arbeit, die da in drei Tagen entstanden war. Eine große Installation präsentierte sich den Außenstehenden. Da platzte es aus einem der Beobachter heraus: „Das sieht ja aus wie der Tod.“

Einhard Hopfe berichtet gern über derartige Begebenheiten aus seinem Seminar „Kunst und Psychosomatik“, welches 1996 von ihm ins Leben gerufen wurde und seit 2002 von Dr. Swetlana Phillipp am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie organisiert wird. Gerade Themen wie das Sterben, die landläufig nicht in lockeren Gesprächsrunden auftauchen, sind dem Künstler in seiner Arbeit mit den Studenten wichtig. Er will die künftigen Mediziner auf ihren Alltag vorbereiten. Wie geht man damit um, jemandem sagen zu müssen: ‚„Ich konnte die Aorta nicht abklemmen, es tut mir Leid“? Der Schmerz, der ausgelöst wird, wenn man erkennt, dass man kein Halbgott ist, wird sicherlich keinem der Teilnehmer erspart bleiben. Selbstreflektion kann in solchen Momenten helfen.

Gestalten und Empfinden

Gerade diese will Hopfe vermitteln, durch eigenes Arbeiten, aber auch durch das Betrachten anderer Kunstwerke. So schauen die Studenten im Rahmen einer Filmvorführung auch mal Picasso beim intensiven Arbeitsprozess über die Schulter und kommen zu dem Punkt, an dem ihr Verständnis nicht mehr ausreicht. Warum streicht der Künstler etwas so Schönes, um danach an gleicher Stelle mit rudimentärer Linienführung Verstörung beim Betrachter hervorzurufen? „Kunst soll provozieren, und wenn sie das nicht leisten kann, muss der Künstler sich und sein Werk hinterfragen“, so Hopfe. Im Zweifel heißt dass eben radikal sein, ganz gleich, was einem das eigene Sozialgewissen eintrichtert. Doch gerade diese Erfahrungen zehren an den Nerven aller Beteiligten. Da verlassen einige für längere Zeit das Seminar, um ihre Fassung wiederzufinden. Wenn das allein nicht zu bewältigen ist, steht den Teilnehmern eine Psycholgogin zur Verfügung. Darüber hinaus versucht diese durch Gruppenübungen, die Auswirkungen der Reflektionen für den Einzelnen in geordnete Bahnen zu lenken, aber auch neue Impulse zu provozieren. Annett Seidel, Medizinstudentin im 6. Semester, hat in diesem Mai das Seminar besucht. Thema war dabei „Stagnation“. Nachdem die Studenten die Neuerwerbungen der Kunstsammlung gemeinsam mit dem Künstler besucht und intensiv diskutiert hatten, ging es im Atelier selbst ans Werk. „Wir sollten mit einem Bleistift auf einem Blatt mit durchgezogener Linie darstellen, was für uns Stagnation darstellt.“ Am nächsten Tag habe „Einhard“ sie zu einer riesigen Rolle Backpapier geführt. Dieses Material sollten die Stundenten mit Kohle bearbeiten. Dabei waren ihnen keine Grenzen gesetzt. „Man hätte auch 100 Stück Backpapier verarbeiten können“, meint Annett. Insgesamt sei die Atmosphäre sehr entspannt gewesen. Während die Studenten ihr Bild entwickelten, wurden dazwischen von Frau Albrecht, der Psychologin, Atemübungen durchgeführt. In diesen wurden den Studenten teilweise die Kontrolle über die eigene Atmung entzogen. Die hierduch ausgelösten Empfindungen wurden von den Studenten sehr unterschiedlich aufgenommen. „Viele empfanden das als positve Erfahrung, für andere war es einfach beklemmend“, berichtet Annett. Die Mischung aus Gestalten und Empfinden wirkte sich dabei zunehmend belastend auf die Physis der Teilnehmer aus. „Es war total anstrengend, doch am nächsten Morgen wich die Anstrengung neuen Ideen.“

Einschneidende Erlebnisse

Seit etwa 20 Jahren betreut Hopfe nun schon Seminargruppen wie diese. Angefangen habe alles mit einem Gespräch mit Professor Ernst Petzold. Dieser fand Hopfes Ansichten interessant und lud ihn ein, einen Workshop für Ärzte zu veranstalten. Daraus entwickelte sich ein Projekt, das schließlich das aktuelle Seminar entstehen ließ. Dabei kann das Blockseminar als Wahlfach für den Zweiten Studienabschnitt belegt werden. „Es ist besonders für Kliniker geeignet, da diese schon Erfahrung in der medizinischen Praxis gesammelt haben“, erklärt der Künstler.

Doppelt fertig

Für Annett war vor allem die Arbeit mit Kohle sehr spannend. Sie sei schon vor dem Seminar kunstbegeistert gewesen, die angepriesene Verbindung mit der praktischen medizinischen Anwendung reizte sie besonders. Gerade der psychosomatische Ansatz sei aber bei dem Seminar für ihren Geschmack deutlich zu kurz gekommen. Dies könne aber auch daran gelegen haben, dass Hopfe und Albrecht zum ersten mal zusammen das Seminar betreuten und die Abstimmung nicht perfekt lief. „Insgesamt würde ich es weiterempfehlen, besonders wegen der tollen Atmosphäre“, ergänzt Annett lächelnd.Hopfe versucht in seinem Seminar, Kunst als Vehikel für seine Schüler nutzbar zu machen. Die Arbeit mit Studenten hilft ihm aber auch persönlich, die nötige Portion Kritik in seine eigenen Werke einfließen zulassen. „Es ist eine schöne Sache“, stellt er zufrieden fest. „Am Ende sind wir fertig, und das im doppelten Sinne.‘‘ 30 Stunden Problembearbeitung gehen eben nicht spurlos an einem vorbei.

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