Acht Fragen an Jenaer Künstler – zwei Interviews

„Loslassen können“

Das Gespräch führte Kerstin Pasemann

die drei Affen in Personalunion

Was sonst drei machen, kann bei Anne Schwing auch einer leisten: Eine ihrer Affen­skulpturen, allerdings nicht zwei Meter groß.
Foto: Tina Peißke

Anne Schwing, 33, ist nach ungefähr 10 Jahren wieder nach Jena zurückgekehrt. Mit Skulpturen, Installationen und Fotografien nimmt sie gern Bezug auf die Tierwelt. Sie möchte mit zwei Meter großen Affen, ängstlichen Wölfen und anderen Lebewesen dem Wesentlichen des Lebens näher kommen.

Wie bist du zur Kunst gekommen?

Rückschauend war ich zuletzt Meisterschülerin in Dresden und habe davor in Weimar Freie Kunst auf Diplom studiert. Damals habe ich mich entschlossen, Freie Kunst zu studieren, weil man machen kann, was man will – und dann werden einem sogar Noten dafür gegeben.

Wo entspringen hier deine Inspirationsquellen?

Nicht in Jena. Aber allgemein sind das seit meiner Kindheit Zeitschriften wie die Geo, doch auch die Flora und Fauna, die mich umgibt, ist inspirierend für mich.

Was ist dein aktueller künstlerischer Konflikt?

Künstlerisch gesehen habe ich die Sehnsucht noch fähiger zu sein, überflüssige Gedanke loslassen zu können. Man kann es vielleicht damit vergleichen: Wenn jemand unbedingt meditieren will, geht es nicht, weil er es unbedingt will.Zum anderen setze ich mich mit dem Kunstmarkt auseinander. Behalte ich Kunst als Hobby und suche mir einen Brotjob, dann bin ich in meinem Schaffen auch total frei. Oder will ich später Kunst verkaufen? Das heißt, dass man sich an gewisse Spielregeln und Verhaltenskodizes halten muss. So braucht man zum Beispiel eine repräsentative Webseite, viel Werbung und muss immer wieder von seinem Schaffen erzählen. Man sollte sich ständig um Ausstellungen bemühen und bei richtigen Institutionen vorstellig werden. Damit stehe ich im Konflikt.

In vielen Lebensläufen von Künstlern sind Ökonomie und Kunst nicht verbrüdert. Trifft dich das Klischee des brotlosen Künstlers?

Ja, aber ich kann als Kunstgießerin für meinen Lebensunterhalt sorgen. Mittlerweile habe ich da auch Aufträge, die mir mehr Freiheiten lassen.

Hast du das Gefühl, unter Druck kreativ sein zu müssen? Wie gehst du damit um?

Ich empfinde da keinen Druck, aber manchmal braucht man Druck im positiven Sinne, um kreativ zu sein.

Wo gehört Kunst in Jena hin? Welcher Platz sollte vielleicht statt begrünt „bekunstet“ werden?

Alle Plätze! Kunst im öffentlichen Raum interessiert mich am meisten und jede freie Hauswand fordert mich auf, dort etwas zu gestalten.Aktuell fällt mir der Eichplatz ein, man könnte dort Kunst mit einbeziehen und eine Ausschreibung für Thüringer Künstler machen.

Kann Kunst die Gesellschaft verändern? Und wenn ja, wohin soll sie leiten?

Ich denke, Kunst kann den einzelnen Menschen verändern. Daraufhin halte ich es für möglich, dass sich die Gesellschaft durch Menschen mit anderer Ausstrahlung oder anderem Sendungsbewusstsein wandeln kann.

Was ist ein Künstler?

„Jeder Mensch ist ein Künstler“, da schließe ich mich dem Zitat von Joseph Beuys an. Jede kreative Lösung, die durch das Nachdenken eines Individuums entsteht, jedes Hinauswagen, um etwas Neues auszuprobieren, ist für mich kreativ und somit künstlerisch. Darum haben auch wissenschaftliche Theorien etwas Künstlerisches. Und jeder, der das Besondere in dieser Welt wahrnimmt, hat für mich ein künstlerisches Auge.

„Keine Vollendung“

Das Gespräch führte Robert Pauli

ein lebendiger Wirrwarr

Lebendiges innen und außen: Das Phyletische Museum als Projektionsfläche anno 2008.
Foto: Christian Seeling

In Berlin und Jena schaffend, setzt Robert Seidel, Jahrgang 1977, „lebendige Gemälde“ mit moderner Technik um. Er projiziert seine abstrakten Filme nicht nur auf zweidimensionale Leinwände, sondern lieber auf Oberflächen mit eigener Geschichte – seien es Skulpturen oder ganze Gebäude.

Wie bist du zur Kunst gekommen?

Anfangs hatte ich mich für ein Biologiestudium an der FSU entschieden, denn gestalterisches Arbeiten schien keine Perspektive zu haben. Da ich bei den Studentenjobs im Bereich 3D-Animation mehr Spaß als mit dem Rest des Fachs hatte, bewarb ich mich doch an anderen Universitäten – was mich nach Weimar an die Bauhaus-Uni verschlagen hat. Dort hat sich dann nach und nach herauskristallisiert, dass ich das Meiste erreichen und für mich einen Zustand einer gewissen Zufriedenheit finden kann, wenn ich meine eigenen künstlerischen Arbeiten weiterentwickle – ohne Vorgaben und Einschränkungen.

Wo entspringen deine Inspirationsquellen in Jena?

Eckpfeiler meiner Kindheit: Das Phyletische Museum, für das ich ja auch eine Projektionsarbeit angefertigt habe, der Botanische Garten – all diese naturnahen, aber dennoch wissenschaftlich kategorisierenden Institutionen, haben mich schon früh fasziniert. Auch die Umgebung Jenas bot einiges, seien es Pilze im Forst oder Versteinerungen aus dem Pennickental. Nicht unwichtig ist auch die international operierende Kunstsammlung der Stadt, die immer Impulse brachte.

Was ist dein aktueller künstlerischer Konflikt?

In meinen Arbeiten finden Malerei, Skulptur und bewegtes Bild zusammen und bilden mannigfaltige Hybride aus, die nie einen Zustand der Vollendung erreichen, sondern immer im Wachsen und Vergehen, im Wuchern und Auseinanderreißen sind. Wenn man mit so vielen Grundideen operiert, ist es natürlich schwierig, die wachsende Zahl an Kombinationsmöglichkeiten im Zaum zu halten. Das ist es, was mich schon seit Jahren beschäftigt.

In vielen Lebensläufen von Künstlern sind Ökonomie und Kunst nicht verbrüdert. Trifft auch dich das Klischee des brotlosen Künstlers?

In gewissen Maße natürlich schon. Ich hätte aber auch einen anderen Weg wählen und mich auf die Bespielung von Kaufhäusern oder das Inszenieren von Großevents spezialisieren können. Aber das reizt mich nicht, da ich sehe, was dort für Potentiale verschwendet werden.

Hast du das Gefühl, unter Druck kreativ sein zu müssen? Wie gehst du damit um?

Das passiert oft. Natürlich fänd’ ich es schon schöner, wenn man jedem Projekt so viel Zeit geben kann, bis es einem selbst gereift scheint. Was aber nicht heißt, dass es immer schlecht sein muss, wenn man einem gewissen Druck ausgesetzt ist. Weil der Mensch mit allen Ablenkungen, die das Menschsein mit sich bringt, so die Aufforderung, eine gewisse Endgültigkeit zu schaffen, ganz dankbar annehmen kann.

Wo gehört Kunst in Jena hin? Welcher Platz sollte in Jena vielleicht statt begrünt „bekunstet“ werden?

Ich fände es schön, wenn Kunst nicht immer nur in geschlossenen Räumen stattfände, sondern wie meine Bilder auch über die Grenzen hinauswuchern und dem Vorbeilaufenden bewusst würde. Eine dauerhafte Projektionsarbeit wäre leider sehr teuer, hier scheitern Visionen an der monetären Realität von Kulturförderung.

Kann Kunst die Gesellschaft verändern? Und wenn ja, wohin soll sie leiten?

Für mich ist es höchst interessant gewesen, zu sehen, wie – Beispiel Phyletisches Museum – Leute, die tagtäglich daran vorbeilaufen, in der Nacht in Eiseskälte 20 Minuten vor abstrakten Projektionen verweilen. Kunst hat die Möglichkeit, wenn sie größer oder einnehmender ist, als man es im Moment erwartet, die Menschen aus ihrem Alltag ausbrechen zu lassen. Diese Qualität von Kunst ist universell, nur findet man sie heute eher selten.

Was ist ein Künstler?

Jeder, der das, was er verfolgt, mit einer tiefen Passion auch über das Zweifeln hinaus betreibt. Für mich ist auch jemand, der kocht, Mode macht oder in der Wissenschaft arbeitet, ein Künstler, wenn er über das, was im Moment in dem Feld passiert, offen hinausdenkt. Der es als seine Aufgabe begreift, Grenzen niederzureißen.

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