Frei zu sein bedarf es wenig

Zu Gast bei dem Jenaer Künstler Maria Grafft

Von Maria Hoffmann

Dem Ingenieur ist nichts zu schw”r - dem Knstler auch nicht.

Alles hat seine Bestimmung, auch Kissen im Arbeitszimmer des Freidenkers.
Foto: Maria Hoffmann

Mit einem beherzten Stoß öffnet Maria Grafft die alte Holztür zu seinem Hof. Sie klemmt ein bisschen, ist schon alt – wie das Haus, in dem der Künstler lebt. Seit 15 Jahren wohnt der gebürtige Jenaer in Bucha, einem Dorf unweit der Stadt. Zunächst zusammen mit der Truppe vom Theatercafé Jena, das er lange mit geführt hat, in einer gut sanierten Behausung. Nun hier: in einem Gehöft ohne Strom. „Im Sommer ein Traum, im Winter ein Abenteuer“, beschreibt er sein Zuhause, als wir uns im Halbdunkel der Küche niedergelassen haben. Eine Tierärztin habe ihm von dem Haus erzählt, als er aus seinem alten Leben nur noch raus wollte. „Das Haus wollte eigentlich sterben“, sagt er dazu. Er ließ es nicht dazu kommen und hat ihm als Domizil und Künstlerwerkstatt neues Leben eingehaucht.

Maria Grafft, Jahrgang 1969, hat sich in der DDR beruflich für das Malerhandwerk entschieden. Heute arbeitet er mit allem, was er finden kann, schnitzt Figuren aus Holz, das keiner mehr braucht, oder bemalt mit alten Kugelschreibern Papierbögen. Mit seinem Künstlernamen möchte er geschlechtliche Zuschreibungen aufbrechen: Hat dieses Bild eine Frau gemalt? Ist das für die Kunst überhaupt von Belang? Nein. Kreativität war immer Teil seines Lebens, aber wer in der DDR Grafik studieren wollte, musste mindestens drei Jahre zur Armee. „Das sind so Sachen, die sind für mich unmöglich“, sagt er bestimmt. Als die Wende kam, entschied er sich ins Gastrogewerbe zu gehen, wie schon Teile der Familie zuvor. „Ich habe meine Kreativität dann darin ausgelebt, Kneipen umzubauen.“ Nach Spielothek, Diskothek und Geleitshaus kam schließlich das Theatercafé. Maria dreht sich eine weitere Zigarette und erzählt von einem Lebensabschnitt, der schließlich erfolgreich verlief, ihn aber nicht zufriedenstellen konnte: „Operation gelungen, Patient tot“. Es galt nun herauszufinden, wo er wirklich hingehört. Die kreative Umgebung des Theaters habe ihn wieder an die Kunst erinnert. „Dass ich sage, ich mache Kunst, ist erst seit zwei Jahren so. Vorher war das eine Suche und ein Zweifeln“, fasst er zusammen. Das hektische Leben als Kneipier hat Maria geprägt. In ihm scheint ein kleines Dauerfeuer zu brennen, das er selbst erst lernen musste, auf Sparflamme zu stellen. In den Wäldern um Bucha fand er schließlich wieder den Anschluss an die Welt, wie er sagt – den Blick in eine andere Richtung wendend, fernab von konstruierten Beziehungen. Er gestikuliert aufgeregt und spricht von dem gesellschaftlichen Hamsterrad als einem alten Feind, den es zu bekämpfen galt. Die künstlerische Arbeit habe wie ein Ventil gewirkt: „Wenn ich das nicht gehabt hätte, wäre ich in der Klapper gelandet.“ Plötzlich steht er auf und verschwindet kurz aus der Küche. Mit einer Aufbewahrungsrolle kehrt er zurück, aus der er eine Arbeit aus seiner Serie *… grundlage in schwarz rot gold…* auspackt. Diese Bilder setzen sich mit Deutschland auseinander und mit der Frage, wo man steht in dieser Gesellschaft, welcher Gruppe man eventuell angehört. Kaffee- und Aschenbecher müssen Platz machen. Auf dem alten Holztisch wird der etwa 50 mal 50 Zentimeter große Papierbogen ausgebreitet – Unzählige Dreiecke und Quadrate, in der Mitte hebt sich deutlich ein Kreis ab. Die geometrische Form der „absoluten Wahrheit“ ist mithilfe von 36 Punkten unterteilt, von dem jeder mit jedem verbunden ist. Winzige Felder entstanden, die Maria einzeln mit Kuli in den Landesfarben ausgemalt hat: Eine Geduldsarbeit. „Irgendwann kommt man da in so einen Autopiloten rein. Diese Dinger haben mir ganz viel beigebracht.“ In seinem Arbeitszimmer mit dem Charme eines Antiquitätenladens schleicht uns der Hausgeist um die Beine, ein weißer Kater, der uns schon am Eingang begrüßt hatte. An der Wand lehnen Kunstwerke, hier und da ein Stück Baumstamm, der Schreibtisch sieht nach Arbeit aus. Maria zeigt weitere Kunstwerke. Auch eine Portraitreihe ist darunter. Eigentlich sollten es viel mehr Bilder werden, sagt er, doch um weiterzugehen, müsse er noch mehr zeichnen üben.Um Minze für einen Abschluss-Tee zu holen, gehen wir nach draußen, stapfen durch hohes Gras in den hauseigenen Garten. Anschließend setzen wir uns noch einmal an den Küchentisch, bevor wir gemeinsam in die hektische Stadt aufbrechen. Maria Grafft hat sich die Freiheit genommen, die anderen Menschen verwehrt bleibt – „aus Angst“, ist er sich sicher.

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