Die Wohlgesinnten

Woran es im FSU-Stura grundsätzlich krankt

Von Dirk Hertrampf




Was taucht der Stura?
Foto: Titelbild: Daniel Hofmann

Der Stura ist in der Krise: Jeder Artikel über den Studentenrat der Friedrich-Schiller-Universität könnte mit diesem Satz beginnen. Das oberste beschlussfähige Gremium innerhalb der studentischen Selbstverwaltung tätigt 2012 Ausgaben in Höhe von fast 560.000 Euro, vertritt über 21.000 Studenten und ist chronisch überfordert. Außerdem stellt sich bei einer Wahlbeteiligung von rund 15 Prozent in den letzten Jahren die Frage nach seiner grundlegenden demokratischen Legitimation.

Einerseits möchte der Stura viel: ein politisches Zeichen für Geschlechtergerechtigkeit setzen, sowohl alternative Kulturorte als auch soziale Initiativen fördern, eine Zivilklausel in der Grundordnung der Jenaer Universität verankern und vorerst ohne Urabstimmungen über eine Verfahrensweise mit dem Semesterticket entscheiden. Andererseits ist er jedoch nur zu höchstens jeder zweiten Sitzung beschlussfähig, meinungspolitisch zutiefst zersplittert und traditionell unterbesetzt. Nachdem Anfang des Jahres bereits die Debatte um den Haushalt 2012 den Stura spaltete (Akrützel berichtete in der Ausgabe 304), diskutieren die Gremiumsmitglieder jetzt unter anderem über eine verbindliche Frauenquote. Der Umgang mit dem Antrag ist ein gutes Beispiel für die grundlegenden Probleme des Gremiums. Es ist vorgesehen, Wahlämter, Delegationen und alle bezahlten Stellen des Stura geschlechtergerecht zu besetzen. Bisher sind nur drei von dreizehn bezahlten Stellen mit Frauen besetzt, zwei davon sind die Chefredaktion und das Lektorat des Akrützel. Und das, obwohl über die Hälfte der Studenten an der FSU Frauen sind. Insgesamt rührt der Antrag an ein riesiges politisches Thema, das womöglich zu groß für den Stura ist.

Macker im Vorstand

„Es ist traurig, dass wir uns in unserer Satzung für Geschlechtergerechtigkeit aussprechen und dann aber doch immer wieder selbst das sexistische und patriarchalische System reproduzieren. Selbst wir schaffen es nicht, über Lippenbekenntnisse hinauszukommen.“, sagt Carola Wlodarski-Simsek, Kulturreferentin und Mitglied des Stura. „Wir müssen mehr als nur guten Willen zeigen. Als ich hier angefangen habe, waren auch schon nur Männer im Vorstand und ich hatte wenig Lust ins Vorstandsbüro zu gehen, einen Raum voller Männer, die teilweise auch sehr mackerhaftes Verhalten an den Tag legten.“ Sören Steffe, ehemaliger Geschäftsführer des studentischen Bündnisses für Politik- und Meinungsfreiheit, pflichtet ihr bei: „Es müsste auch an Hochschulen ein Umfeld möglich sein, in dem alle Geschlechter gerne politisch aktiv sind.“ Seine Meinung zur Quote unterscheidet sich jedoch von Carolas: „Ich stelle infrage, dass mit rein formalistischen Regulierungen eine Emanzipation vorankommen kann. Das Ressentiment, es gäbe nicht genug Frauen, wird im anti-feministischen Sinne auch gern als Totschlagargument benutzt.“ So stellt sich die Situation auch im Jenaer Uni-Stura dar: Der Vorstand ist immer noch rein männlich besetzt und das, obwohl zu Beginn der Legislaturperiode stark um Frauen in diesen Ämtern geworben worden war. Auch weil bisherige Appelle und gegenderte Ausschreibungen wenig am Geschlechterverhältnis geändert haben, hält Carola eine Frauenquote für das am besten geeignete Mittel zur Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit. Stura-Mitglied Clemens Beck ist ebenfalls für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. „Man muss sich aber von der Überzeugung verabschieden, dass man mithilfe eines Sturabeschlusses die Welt ändern kann.“ Er hat einen Änderungsantrag gestellt, der die Frauenmindestquote bei Gremien mit ungerader Besetzung auf die abgerundete Hälfte senkt. Beispielsweise wäre nach seinem Vorschlag die Quote im Stura-Vorstand, der aus drei Personen besteht, schon erfüllt, wenn nur eine Frau gewählt würde. Clemens möchte die Quote nicht verhindern, ist aber dafür, pragmatisch zu handeln und zunächst sicherzustellen, dass Gremienplätze und Stellen überhaupt besetzt werden. Denn ließe sich etwa der Vorstand nicht besetzen, weil sich nicht genügend Frauen aufstellen lassen, müsste sich der Stura auflösen und neu gewählt werden.Dieser Gefahr ist sich auch Carola bewusst. Sie hält eine Sturaauflösung jedoch für ein Opfer, dass erbracht werden kann, um ein Zeichen zu setzen. Falls sich die studentische Interessenvertretung mit der Quoten­einführung selbst schachmatt setzt, wäre das natürlich erst einmal ein verheerendes Signal. Neben dem Damoklesschwert der Selbstdemontage und der tiefen Uneinigkeit über das Wie der Quote (oder gar das Ob) ist der inkonsequente Umgang des Stura mit ihr ein weiteres Problem.

Anstalt der Umständlichen

Bereits jetzt, bevor es auch nur eine Abstimmung über den Antrag gab, wird die zweite Stelle des Sozialreferenten nur für Frauen ausgeschrieben, da mit Mike Niederstraßer bereits ein Mann dieses Amt innehat. Dieses Verfahren hat nicht nur keine Grundlage in der Satzung der Studentenschaft, sondern widerspricht auch dem Grundsatz, dass die Quote für alle Stellen, die vom Stura vergeben werden, übergeordnet angewendet werden soll. Des Weiteren wird nach dem Rücktritt von Dorothea Forch ein neuer zweiter Referent für Hochschulpolitik gesucht. Auf diese Stelle wiederum können sich sowohl Frauen als auch Männer bewerben, obwohl Dorothea eine Mitreferentin hinterlassen hat. Man sollte allerdings meinen, dass diese Stelle dann nur für Männer ausgeschrieben sein sollte.Insgesamt illustriert die Diskussion auch die Auswirkungen der Tatsache, dass nur ungefähr die Hälfte aller Gremiumsmitglieder regelmäßig zu den Sitzungen erscheint. Daraus entstehen gruppendynamische Prozesse, die die übrig gebliebene relativ kleine (und nur wenig fluktuierende) Gruppe der aktiven Gremiumsmitglieder nach außen hin abschotten. Möglicherweise muss der Stura einige seiner gesellschaftspolitischen Ambitionen aufgeben und sich eher auf konkrete Lösungen hochschulinterner Probleme konzentrieren. Neben der Diskussion über Geschlechtergerechtigkeit sorgt ein Antrag vom vor Kurzem zurückgetretenen Stura-Vorstandsmitglied Christopher Johne für Aufregung. Dieser sieht vor, den Umgang des Gremiums mit den ihm angegliederten Referaten und Arbeitskreisen, in denen sich vorrangig Nicht-Sturamitglieder engagieren, grundlegend zu ändern. Die Referate leisten einen Großteil der Arbeit, von der die Studenten direkt profitieren, also etwa die Organisation von Veranstaltungsreihen oder Vorträgen. Diese sollen zwar weiterhin inhaltlich unabhängig arbeiten, aber in Zukunft vom Stura auch Themen zugewiesen bekommen können. Außerdem sollen die Referate nicht mehr mit einzelnen politischen Hochschulgruppen und Parteien zusammenarbeiten dürfen, müssen den Stura frühzeitig über geplante Veranstaltungen informieren und dürfen keine eigenen Logos mehr führen.Es geht im Antrag also vor allem darum, die Außenwirkung des Stura zu verbessern, dessen Förderung von Veranstaltungen durch die zwischengeschalteten Referate zu oft unwillentlich verschleiert wird. Die Referenten haben auf den Antrag bereits eine Antwort formuliert. Sie glauben, dass seine Umsetzung zu einem enormen Verwaltungsaufwand führen würde, die Hemmschwelle für ehrenamtliche Mitarbeiter weiter erhöhen könnte und dass aus dem Antrag insgesamt ein tiefes Misstrauen ihnen gegenüber spricht. „Dieses Berichtswesen würde den Stura noch mehr blockieren.“, meint auch Clemens. Die Gegner des Antrags sind also breit aufgestellt. Überraschend hat Christopher Johne am 31. Mai beantragt, sein Mandat als Mitglied des Stura für ruhend zu erklären und ist damit aus dem Vorstand zurückgetreten. Leider wollte er sich Akrützel gegenüber nicht dazu äußern, inwieweit sein Rücktritt mit der Kritik an seinem Antrag zusammenhängt oder anderweitig begründet ist.

Sie meinen es nicht böse, sie meinen es ernst

Die Geschehnisse rund um Christophers Rücktritt sind symptomatisch für das Gremium. Im Kern gut gemeinte Vorschläge scheitern an mangelnder Kommunikation (die Referenten bemängeln, dass vor Antragstellung niemand mit ihnen gesprochen hat) und gremiumsinternen Streitigkeiten. Egal ob zur Haushaltsdebatte, zur Frauenquotendiskussion oder zum Referatsantrag: Um die Studenten und deren konkrete Probleme geht es wenig. Das Gremium verliert sich kreisend in sich selbst. Diesen Eindruck scheint jede Stura-Sitzung aufs Neue zu bestätigen. Grundsätzlich öffentlich, sind sie durch Fachabkürzungen (GO-Anträge, TOPs, etc.) und Satzungsparagraphenbezüge für Uneingeweihte doch größtenteils schleierhaft. Doppelte quotierte Rednerlisten, Antragsänderungsbeschlüsse und die Unterbrechung von Dialogen machen eine Diskussion nahezu unmöglich. An dieser Stelle setzen bürokratische Bestimmungen falsch an und müssen entschlackt werden, was auch die Sitzungsabläufe vereinfachen würde. Ein konkreter Vorschlag könnte sein, sich im Sommer zu einer Sitzung auf den Campus zu setzen und dazu alle Studenten explizit einzuladen.

Verschwendet euch!

Die Resignation über die geschilderten Umstände sitzt tief. Fast fatalistisch bringt es Carola auf den Punkt: „Es ist egal, was der Stura macht, er steht sowieso schlecht da. Wir müssen realistisch sein: Der Stura ist nicht supermächtig, eher ein Gremium mit wenig Macht, das von den Studierenden nicht richtig ernst genommen wird.“ Laut Satzung ist der Stura sowohl für die Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins der Studenten als auch für die Wahrnehmung der fachlichen, sozialen und kulturellen Belange der Studenten verantwortlich. Hier herrscht ein Ungleichgewicht, denn derzeit übernehmen letzteren Punkt allein die Referate und Arbeitskreise; das Gremium bewilligt lediglich Gelder. Es diskutiert nicht vorrangig über direkte Belange der Studenten, wie etwa Platzmangel an der Uni oder Probleme mit Akkreditierungsverfahren. Außerdem kommen nur sehr wenige Gremiumsmitglieder ihrer Pflicht nach, in einem Referat mitzuarbeiten, was den Kommunikationsfluss zusätzlich behindert. Hinter all den bürokratischen Anträgen, nur quasipolitischen Gremienlisten und verwaltungstechnischen Monstren steht letztendlich jedoch eine zutiefst demokratische Institution, die nur dank des freiwilligen Engagements ihrer Beteiligten lebt. Auf dass irgendwann ein Artikel nicht mit „Der Stura ist in der Krise“ beginnen kann!





Foto: Zeichnung: Martin Emberger
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