„Überschaubare Zeiträume“

Ein Gespräch darüber, wie Unis Städte beeinflussen




Professor Max Welch Guerra.
Foto: Privat.

Max Welch Guerra ist Professor für Raumplanung und Raumforschung an der Bauhaus-Universität in Weimar. Er leitet dort seit 2008 den Studiengang Urbanistik. 2010 wurde er für die Trilogie „Stadtentwicklung und Kulturlandschaft Thüringen“ ausgezeichnet. Mit Akrützel sprach er über Stadtentwicklung, die Rolle der Politik und Jena.

Wie ist die Beziehung zwischen der Stadt und ihrer Universität?
Es ist in der Regel so, dass die Städte froh sind, eine Hochschule zu haben. Aber sie nutzen das nicht immer richtig aus. Berlin ist ein Beispiel dafür: Die HU und die TU werden von der Stadt nicht besonders beachtet und genutzt, dabei spielen sie eine ganz wichtige Rolle. Die Uni genießt ihre Lage und die Städte freuen sich über die Uni, aber sie sind oft gedankenlos und gehen Verbesserungen nicht systematisch an. Es wären häufig keine teuren Anstrengungen nötig, die das Leben der Studierenden besonders fördern würden. Die Stadt kann sich selbst zum Beispiel radfahrerfreundlich machen.

Die Universitäten liegen in Jena und Weimar zentral in der Stadt. Welche Konsequenzen hat das?
Das ist eine wunderbare Konstellation. In Weimar versuchen wir das auch noch stärker hinzubekommen. Es entsteht ein Campus und die Bibliothek ist vor wenigen Jahren fertig gestellt worden, mitten in der Stadt. In Erfurt steht in der Innenstadt noch einiges leer. Auch in Jena hat sie noch nicht den Grad an Stabilität erreicht, den wir uns wünschen. Man kann sich nur freuen, wenn die Uni sich zentral niederlässt oder erweitert. Sie ist oft ein sehr kooperativer Partner der restlichen Funktionen der Stadt.

In der Uni ist natürlich nur etwas los, wenn studiert wird.
Es geht nicht nur um das belebte Straßenbild und die jungen Leute, auch Kneipen und bestimmte Fachgeschäfte folgen. Das macht die Umgebung ebenso für Nicht-Studierende und Leute über 25 interessant. Außerdem läuft abends in den Hochschulen einiges. Es kommt darauf an, was für Neubauten dorthin kommen. Ist es eine Bibliothek, in der auch am Wochenende gearbeitet wird oder ist es die Personalabteilung, die Freitag schon um 13 Uhr Wochenende macht? Wäre ich verantwortlich, würde ich mit der Uni vereinbaren: Okay, ihr bekommt den Raum, aber bitte nur für die und die Funktionen. Als Univerwaltung kann man ein Quartier auch langweilig machen.

Wie sieht es aus, wenn stattdessen in der Innenstadt zu viel Raum durch Geschäfte gefüllt wird?
Es kann passieren, dass es dann Leerstand gibt. Ich war gerade in Spanien und da kann man sehen, wie Großinvestitionen dazu geführt haben, dass da heute ganze Areale leerstehen. Ein schönes Gegengewicht bildet dort eine Stärkung der Uni in der Innenstadt.

Hat die Politik die Hauptverantwortung bei der Planung?
Wichtig ist, dass man über so etwas öffentlich diskutiert, da es Angelegenheit der ganzen Bevölkerung ist. Das kann nicht zwischen Uni-Rektor und Stadtplanungsamt oder Oberbürgermeister abgemacht werden. Möglicherweise ist es dann eine Kompromissentscheidung, aber in der Stadtplanung sind Kompromisse wichtig und positiv.

Was, wenn die Stadt zu klein für ihre Uni wird? Dieser Eindruck besteht in Jena.
Ich habe schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, wahrscheinlich zur Verwunderung der Studierenden, die Verkehrsverbindungen, zum Beispiel nach Apolda, zu verbessern. Apolda könnte sehr gut erreichbar sein und wäre eine Ausweichmöglichkeit für Studierende. Es müsste ein Programm sein, nicht nur die Frage des Verkehrs. Die Studierenden sollten sich dort wohlfühlen und es nicht als Deklassierung begreifen.

Da hat die Uni aber eine Mitverantwortung.
Man muss sich da was einfallen lassen und das erfordert, dass man in längeren Fristen denkt. Es ist nicht nur wichtig, was in diesem Jahr passiert, sondern auch wo man in fünf Jahren steht. Bleiben die Studierendenzahlen gleich oder werden es noch mehr? Auch eine Uni sollte sich schonmal darüber Gedanken machen und etwas tun. Gerade so eine starke und wichtige Uni wie die FSU Jena.

Kann sich stadtplanerisch auch kurzfristig etwas ändern?
Wir haben das in Berlin erlebt. Die Mauer ist 1989 gefallen und 1999 waren schon alle Regierungsfunktionen in Berlin. Der Potsdamer Platz ist in seiner heutigen Form auch sehr schnell entstanden. Selbst innerhalb von fünf Jahren kann eine Menge geschehen, es sind durchaus überschaubare Zeiträume.

Wie kann man Stadtentwicklung prognostizieren?
Es gibt einige klassische Merkmale. Die Wirtschaft ist eine der Grundlagen des städtischen Lebens. Welche Branchen in einer Stadt stärker vorhanden sind und welche Zukunft sie haben, ist schon eine ganz wichtige Grundlage. Es ist aber nicht immer nur die Wirtschaft, sondern es sind auch politische Entscheidungen, die die Städte selber treffen.

Stehen kurze Studienzeiten eventuell der langfristigen Entwicklung im Weg?
Wenn Leute wegziehen, ist das nicht so schlimm, es kommen ja immer Neue. Wichtiger als die Fluktuation ist die politische Entscheidung, wie viele Studienplätze es geben soll.

Welchen Einfluss haben zuziehende Studenten auf Stadtviertel?
Es ist sehr gut möglich, dass es in der Innenstadt zu Aufwertungen und Verdrängungen kommt. Normalerweise, wenn ich an Bezirke denke, beispielsweise Kreuzberg oder Neukölln, sind es nicht die Studierenden, die verdrängen, aber sie sind diejenigen, die anfangen ein Viertel wesentlich zu verändern. Das liegt daran, dass Studierende einen anderen Lebensstil haben. In Weimar kann ich das nicht beobachten, in Jena ist es möglich, weil es verhältnismäßig viel mehr Studierende gibt.

Die positiven Effekte überwiegen also?
Die Städte werden bunter. Das können wir sehr gut gebrauchen in Thüringen. Für Menschen, die anders aussehen, ist es hier in einigen Städten immer noch schwierig, sich niederzulassen. Durch Universitäten erweitert sich das Spektrum der Bevölkerung. Das ist ein Grund, warum diese Städte aufgeschlossener und weltoffener sind.

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