Studentenferne Orte Teil 25

Das Literatencafé

Von Nadja Demel




Treffen bei Schillerlocken und GoethegedichtenFoto: Katharina Schmidt

„Liebst du das Leben? Dann verschwende keine Zeit“, rät eine der vielen Spruchtafeln an der gelben Hauswand eines Cafés unterm Markt. Zwischen Drogerie und Frisör macht man sich für gewöhnlich eher andere Gedanken. Nicht so im Literatencafé, das die Jenaer Bürger über Lebensweisheiten wie „Am Werke erkennt man den Meister“ oder „Dein Leben ist das, was deine Gedanken daraus machen“ schmunzeln lässt.
Viele Studenten vermuten zunächst, dass sich hier besonders intellektuelle Kaffeefreunde zum stundenlangen Philosophieren und Nachsinnen treffen. Geht man dann doch einmal hinein, wird man schnell feststellen, dass sich hier eine sehr gemischte Kundschaft zum Kaffeekränzchen versammelt.

So sitzen Oma und Opa an einem Sonntagnachmittag in einer Ecke des Cafés und versüßen ihren Enkelkindern den Tag mit heißer Schokolade. Sich selbst bestellen sie zwei Latte Coretto, das ist Latte Macchiatto mit einem Schuss Grappa. Am Nachbartisch tauschen drei Freundinnen bei Cappuccino und Sachertorte – übrigens eine der beliebtesten Sorten im Café – den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Wer alleine kommt, schnappt sich ein Buch aus dem Regal und schmökert bei einer Tasse Java-Kaffee in den Werken berühmter Autoren.
Das war aber nicht immer so. Bis zu seiner Neueröffnung war das Literatencafé eher Kneipe als Café. Statt Wiener Melange mit „Effi Briest“ gab es Wodka mit Nabokovs „Lolita“. An diese Zeiten erinnern nur noch die Bücherstapel im ersten Stock. Die schlichte Einrichtung und der Geruch von frischgebackenem Kuchen erwecken eher wohlige Kindheitserinnerungen als Vorstellungen von hitzigen Diskussionen über skandalöse Romane.
Heute ist das Literatencafé vor allem für seine riesige Auswahl an Kuchen und Torten bekannt. Als Student mag es nicht besonders angesagt sein, sich sonntags zum Kaffeeklatsch mit Sahnetorte zu treffen. Aber rund achtzig sich abwechselnde Sorten – von fruchtig-frisch bis sahnig-süß – klingen mehr als verführerisch. Gerade für Leute, die nicht von hier stammen, empfiehlt es sich, den Thüringer Blechkuchen zu probieren.
Während bei schönem Wetter die Eiskreationen auch draußen vor dem Café genossen werden können, locken zur Herbstzeit vor allem Schokoladentafeln und Pralinen aus der hauseigenen Chocolaterie.
Überhaupt wird im Literatencafé alles selbst gemacht, wie mir versichert wurde: Von den üblichen Backwaren, die in der Bäckerei im Erdgeschoss angeboten werden, bis hin zu den aufwendig verzierten Torten, die für einen besonderen Anlass bestellt werden können.
Eigentlich erstaunlich, dass hier nicht regelmäßig Horden von Studenten nach einer langen Partynacht auflaufen. Frühstücksangebote von herzhaft bis süß gibt es nämlich durchgehend bis 18:30 Uhr. Und wer samstags vergessen hat, einkaufen zu gehen, kann seinem knurrenden Magen beim Sonntagsbrunch etwas Gutes tun.
Wer etwas in der Geschichte Jenas nachforscht, wird herausfinden, dass es das Literatencafé schon seit dem Jahr 1886 gibt. Seinen Namen und die damit verbundene Verlockung, zwischen Büchern und Gedichtbänden guten Kaffee und leckeren Kuchen zu genießen, hat es über all die Jahre behalten.

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