Der Geist besiegt den Körper: Sartres gel(i)ebte Freiheit

Wie der Philosoph auch ohne körperliche Reize die Frauen anzog

Das Gespräch führte Maria Hoffmann




Peter Knopp ist Mitgründer und Vizepräsident der Sartre-Gesellschaft. Eigentlich ist er Mathematiker, aber seit 40 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Philosophen und Literaten. Die polyamoren Neigungen Sartres werden immer wieder in Berichten thematisiert. Mit Akrützel sprach Knopp über Sartres Liebesleben, dessen „Gefummel“ und das fehlende Verantwortungsbewusstsein gegenüber Simone de Beauvoir und seinen Geliebten.
Foto: Privat

Wenn Sie Sartres Persönlichkeit betrachten, können Sie bestätigen, dass er polyamore Neigungen hatte?

Ja, aber man muss natürlich erklären, woher das kommt. Sartre war äußerlich gesehen nicht sehr attraktiv. Er war klein, er schielte, er war hässlich. Wie ein kleines Wurzelmännchen sah er aus. Als seine Mutter sich wieder verheiratete, hat der Stiefvater ihm mal gesagt: „So wie du aussiehst, wirst du nie eine Frau bekommen.“ Da war er zwölf. Das war für ihn ein Trauma. Er hat nun alles versucht – energisch, klug und intelligent wie er war. Er wollte dieses Urteil abwerfen und Frauen erobern. Wenn er sie dann erobert hatte, hat er sie nicht beiseite geschoben, sondern auch das getan, was man eben so tut. Aber das war für ihn nicht der Hauptpunkt. Das war kein Trieb, sondern der Wunsch eine Frau, trotz seiner Hässlichkeit, für sich zu gewinnen. Sartre hat versucht, seine Hässlichkeit zum Verschwinden zu bringen: durch Intelligenz, Charme und Warmherzigkeit.

Wie hat sich die Beziehung zu Simone de Beauvoir dargestellt?

Darüber hat Sartre sich sehr offen geäußert, auch im Gespräch mit de Beauvoir. Sie haben sich am Ende ihres Studiums kennengelernt und sind ein Leben lang zusammengeblieben. Die erotische Beziehung hat aber gar nicht von langer Dauer. De Beauvoir hat auch gesagt, Sartre wäre kein großer Liebhaber gewesen und er selbst sagte, es wäre nicht so seine Sache.

Sie würden aber nicht sagen, dass er eine asexuelle Orientierung hatte?

Nein, das wäre vollkommen falsch. Aber er war eben, wenn ich das ein bisschen vulgär sagen darf, mehr so ein „Fummler“. Er hat dann immer von „streicheln“ gesprochen. Es war nicht so, dass seine vielen Geliebten, nachdem er sie abgelegt hatte, aus seinem Gesichtskreis verschwunden waren. Als Freunde hat er sie behalten, auch wenn sie nicht mehr im strengen Sinne seine Geliebten waren.

Ging das denn gut?

Ja, das ging meistens ganz gut. Wenn es problematisch war, sind sich diese jungen Frauen einfach aus dem Weg gegangen. Sartre hatte manchmal einen richtigen Zeitplan. Er hatte Zeit, aber auch ein umfangreiches Werk, das erstmal geschrieben werden musste. Am Vormittag hat er dies und das gemacht und für die verschiedenen Geliebten so seine Zeit gehabt. Das musste gar nicht immer erotisch sein. Es konnte sein, dass er mit ihnen einfach essen gegangen ist oder zum Frühstück ins Cafe. Sie haben sich dort eine Stunde unterhalten, gefrühstückt und dann ging jeder wieder an seine Arbeit.

Aber Simone de Beauvoir war parallel immer da?

Ja, genau. Das war natürlich über diese sehr lange Zeit eine mentale, geistige Beziehung. Denn de Beauvoir kannte Sartres Werk vorwärts und rückwärts. Daraus entstanden wirklich konstruktive Gespräche mit ihr. Sie gehörte natürlich zu Sartre.

Stimmt es, dass sie seine Geliebten einfach gebilligt hat? Dass sie es natürlich wusste und eben damit gelebt hat?

Sie hat manches auch ein bisschen lanciert und hatte genauso ihre Beziehungen. Simone de Beauvoir war ja bisexuell. Sartre wusste natürlich von ihren Frauen- und Männerbeziehungen.

Gab es bestimmte Vereinbarungen, die die beiden getroffen haben?

So untereinander haben sie das eben einfach gemacht. Aber natürlich hat es Simone de Beauvoir manchmal weh getan. Das ist eben das Problem, bei solchen multierotischen Beziehungen, dass da nichts ohne Schmerzen abgeht. Damals war das auch nochmal ganz was anderes. Die Frauen waren noch gar nicht so emanzipiert wie Simone de Beauvoir.

Wie hat denn das Umfeld darauf reagiert?

In Frankreich war es so, dass die Intellektuellen oft viele Beziehungen hatten, aber das haben sie unter sich gemacht. Es kam nicht groß an die Öffentlichkeit. Aber Sartre und de Beauvoir haben ihr Privatleben zum großen Teil sehr öffentlich gelebt. Was Simone de Beauvoir in ihrem großen Werk „Das andere Geschlecht“ geschrieben hat, rief unter den französischen Intellektuellen ziemliche Empörung hervor. Dass man so offen darüber schrieb, dass die Frau auch so frei ist wie der Mann und machen kann, wonach es ihr gelüstet, davon waren sogar Leute wie Albert Camus beleidigt. Sowas war ein wirklicher Skandal. Das ist nicht wie die aktuelle Aufregung um Charlotte Roche zum Beispiel. Man kann das nicht vergleichen. Heute gibt es in diesem Sinne ja kaum noch Tabus. Aber damals war das völlig anders. Frankreich gilt zwar immer als das Land der Liebe, aber es bestanden dort dennoch sehr strenge bürgerliche Normen.

Taucht diese polyamore Lebensweise in Sartres Schaffen auf?

Solche Dinge finden Sie hauptsächlich in Romanen, zum Beispiel in „Die Wege der Freiheit“ oder dem ersten Band von „Zeit der Reife“. Sartre hat auch immer versucht, diese Freiheit in Beziehungen zu leben. Aber je älter er wurde, desto mehr hat er diese gesellschaftliche Last, diese Normen gespürt. Er hat diese Widerstände immer stärker in sein Werk einbezogen. Die Verantwortung anderen Menschen gegenüber, besonders Frauen, die mit Sartres Freiheitsphilosophie einhergeht, spielt aber eine große Rolle. Allerdings war das Sartres schwache Seite. Da gibt es viele negative Beispiele, was de Beauvoir und auch andere sehr geschmerzt hat. Ich weiß nicht, ob ihn das gekümmert hat, er hat jedenfalls sein Verhalten nie geändert – bis ins hohe Alter. Aus seinem letzten Lebensjahr gibt es diesen berühmten Verehrungsbrief von Françoise Sagan. Sie haben sich öfter getroffen. Sartre war schon fast blind, als sie zusammen ausgegangen sind und sie hat ihm das Essen geschnitten. Sie haben sich unterhalten und Sartre war selig. Das hat auch nichts vordergründig Erotisches: Es war einfach Faszination durch diesen behänden und intelligenten Geist.

Hat er sich nicht klar geäußert, er würde diese oder jene Frau lieben?

Es waren eben seine Freundinnen oder sowas. Gerade im Alter ist das dann schwer zu sagen. Ich glaube, das war dann wieder eher dieses „Gestreichel“. Er hat sich über gute Gespräche gefreut und wenn man sich um ihn gekümmert hat.

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