„Nicht legal, aber legitim“

Ein Gespräch über zivilen Ungehorsam

Das Gespräch führte Johanne Bischoff




Christoph Ellinghaus arbeitet als Gewerkschaftssekretär für die IG Metall und hat in den letzten zwei Jahren für das Aktionsnetzwerk gegen Rechts die Proteste in Dresden mitorganisiert. Mit Akrützel sprach er über Dresden, Repressionen durch die sächsische Politik und zivilen Ungehorsam.
Foto: Privat

Warum wird in Dresden demonstriert und was ist das Besondere an diesem Ort?

Weil Nazis in Dresden weitestgehend ungestört seit mehr als zehn Jahren um den 13./14. Februar demonstrieren, ist die Stadt zum Kulminationspunkt von Naziprotesten und zivilen Ungehorsam geworden. Anlass ist die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten. Anders als in allen anderen Städten der BRD ist das Thema nie aufgearbeitet worden und es wurde nie klargestellt, dass das ganze eine Ursache hat, dass der Krieg von Deutschland ausging und mit der Bombardierung eben zurückkam. Diese Bombardierung wurde in der lokalen Geschichtsschreibung exkludiert. Keine Stadt im Nationalsozialismus war unschuldig.

Kannst du „zivilen Ungehorsam“ noch einmal spezifizieren?

Ziviler Ungehorsam hat eine lange Tradition.
Mahatma Gandhi und Martin LutherKing haben ihn in Indien und in der USamerikanischen Bürgerrechtsbewegung genutzt. Er bedeutet, sich nicht von staatlichen Ge- und Verboten der Autoritäten beeindrucken zu lassen, sondern ganz bewusst einen kollektiven Regelverstoß zu begehen. Natürlich kann dann eine strafrechtliche Verfolgung drohen. Deshalb sollte man sich nicht als Opfer staatlicher Maßnahmen gerieren, denn das, was man da gemacht hat, war ein bewusster Verstoß gegen geltendes Recht. Was diesem geltenden Recht entgegengesetzt wird, ist eben die Legitimität des Handelns. Es ist nicht legal, aber legitim. Es ist richtig, sich auf die Straße gegen Nazis zu setzen – auch wenn deren Demonstration legal ist. Damit ist die Blockade wahrscheinlich nicht legal, aber legitim und geboten. Dieser massenhafte zivile Ungehorsam bedarf vieler Voraussetzungen. Das heißt: Da müssen sich viele politische Gruppen, die sonst in ihrem Alltag nichts miteinander zu tun haben, auf eine Menge Absprachen einigen.

Ist diese Art des Protests ein Problem für die Behörden?

Mit einer brennenden Mülltonne können die umgehen, das lösen die polizeilich. Mit Bratwurstfesten gegen Recht s weit ab von der Nazidemo haben die auch kein Problem. Aber wenn sich ein breites politisches Spektrum auf den zivilen Ungehorsam einigt, ihn vorbereitet und durchführt, wird es für die echt schwierig. Die Behörden hatten das erklärte Ziel, den Naziaufmarsch durchzusetzen. Das Zusammenspiel beim zivilen Ungehorsam ist etwas, das konservativen Politikern und den Ermittlungsbehörden schlaflose Nächte bereitet. Es kann zum Vorbild werden. Darum wird mit großer Vehemenz und über den rechtlich gegebenen Rahmen hinaus verfolgt.

Was sind die Folgen der Proteste, vor allem im Bezug auf die sächsische Justiz?

Es gibt zwei Folgen: Da ist zum einen, dass es in viel mehr Orten in der Bundesrepublik zivilen Ungehorsam gibt. In vielen Städten sind die Menschen nicht mehr bereit, in der Ecke zu bleiben, wo ihnen eine Spielwiese des bürgerlichen Protestes zugewiesen wird. Die Folgen der behördlichen Verfolgung sehen so aus, dass es 200 Strafverfahren rund um „Dresden“ gegeben hat. Gegen Leute, die auf der Straße gesessen haben und gegen die, denen vorgeworfen wird, weitere Straftaten an diesem Tag begangen zu haben. In Folge der Ermittlungen gab es Hausdurchsuchungen in Stuttgart, Jena, Leipzig und Dresden. Es sind Versuche, die Leute davon abzubringen, im nächsten Jahr wieder nach Dresden zu fahren, und ein Zeichen zu setzen, dass man beim Ausüben von zivilem Ungehorsam mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen muss.

Wie sollten Betroffene mit Repressionen umgehen?

Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir diese Last auf vielen Schultern verteilen. Wenn jemand einen Prozess wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz hat, ist es notwendig, dass er zum Prozess begleitet wird. Die Prozesse sind ja nur die Fortsetzung des Versuchs, die Nazis laufen zu lassen. Das Ziel der Behörden ist es ja, den Nazis 2012 eine freie Demonstrationsstrecke zu schaffen.

Kann es sein, dass sich jetzt das Feindbild verschiebt – also von den Nazis auf die Behörden?

Das glaube ich nicht. Wir wussten, dass, wenn wir zu den Blockadepunkten gehen, sich die Polizei dazwischen stellt. Die Staatsanwaltschaft, die Polizei und die Landesregierung treffen aber eine Entscheidung, anders als in anderen Bundesländern, nämlich zu sagen, dass sie diesen Ungehorsam zum Hauptproblem machen. Wir müssen fragen, was der Hintergrund dafür ist, dass sie so viel dafür tun, die Nazis laufen zu lassen.

Ist das Verhalten der sächsischen Politik nicht das eines Gorillas, der sich hinstellt und dabei auf seine Brust trommelt?

Die sächsische Polizei hat im Vorfeld des Februars in diesem Jahr erklärt, dass sie dieses ganze Problem des Bündnisses Dresden Nazifrei im Griff hat. Und sie haben klargestellt, dass sie diesen Naziaufmarsch Aufgewühlt mit allen Mitteln durchsetzen werden. Dresden Nazifrei und die vielen, die sich angeschlossen haben, haben ihnen gezeigt, dass sie gar nichts im Griff haben. Der erklärte Wille der Menschen war es, diesen Aufmarsch zu verhindern und sich auch von martialischer Gewalt nicht abschrecken zu lassen. Für ein autoritäres Staatsverständnis, wie es in Sachsen vorherrscht, ist es das schlimmste, was überhaupt passieren kann.

Welche Aussage soll der Gegenprotest vermitteln? An die Stadt: „Ihr dürft es nicht erlauben!“ oder an die Nazis: „Kommt nicht mehr her!“?

Ich finde, das Ziel sollte nicht sein, Verbote zu fordern. Was wir in den Vordergrund rücken ist eine Gesellschaft, die es Nazis unmöglich macht, eine menschenverachtende Propaganda auf die Straße zu bringen. Der Apparat soll das dann akzeptieren.

Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass man konsequent wegschaut und die Nazis mit Nichtbeachtung straft.

Im Wesentlichen haben Aufmärsche für Nazis zwei Funktionen: Zum einen ist das ein Sozialisierungs- und Politisierungsraum für die eigenen Leute. Also ein Initiationsritual. Diese Dynamik funktioniert völlig unabhängig, ob Menschen am Rand stehen und klatschen oder es vollkommen ignorieren. Die zweite Seite ist, dass sich Nazis als die Vollstrecker einer unausgesprochenen Mehrheitsmeinung sehen. Wenn man sie ignoriert, bestätigt das ihren Eindruck. Ein polizeilich durchgesetztes Verbot würde zwar den Aufmarsch an sich verhindern und damit das erste Motiv unterbinden. Aber nur wenn der Aufmarsch durch massiven bürgerlichen Widerstand verhindert wird, wird klar, dass ihr zweiter Motivationspunkt nicht stimmt.

Was ist deine Prognose für Dresden 2012?

Ich würde davon ausgehen, dass der Apparat in Sachsen alles daran setzen wird, die Strukturen, die Dresden Nazifrei organisiert haben, zu durchleuchten. Zu all den technischen Details, die bekannt geworden sind, werden vielleicht noch einige dazu kommen. Ich bin gespannt, ob sich auch Sachsen zu den Trojanern bekennen wird. Am Aktionstag werden sie versuchen alle Koordinierungsbestrebungen zu unterbinden. Wir werden nicht einfach das Prinzip der letzten zwei Jahre wiederholen können. Es muss neue Organisationsformen und Strukturen geben, und es braucht außerdem die gleiche Entschlossenheit, sich von martialischen Gesten nicht abschrecken zu lassen.

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