Der stille Block

Ein paar Gedanken über das Schweigen

Von Philipp Böhm




Fern ab von der Möglichkeit am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, leben Flüchtlinge in Zella-Mehlis in einem Industriegebiet.
Foto: Googlemaps

Schweigen ermöglicht vieles: In Zeiten der medialen Dauerbeschallung nahezu sämtlicher Lebensbereiche, des audiovisuellen Overkills an sieben Tagen pro Woche, können Momente der Stille, die wenigen Sekunden, wenn gerade niemand spricht, ein wahrer Segen sein. Der Wunsch, die Tischnachbarn in der Mensa oder in der Vorlesung würden doch bitte ob des himmelsschreienden Unfugs, den sie da von sich geben, endlich mal die Schnauze halten, kann im Studienalltag ein oft gedachter sein.
Doch es gibt Bereiche des alltäglichen Lebens, in denen lange andauerndes Schweigen ganz andere Konsequenzen hat: Es ermöglicht, dass Menschen gezwungen werden, in abgeschiedenen Lagern zu leben, isoliert und vereinzelt; dass Flüchtlinge, die aufgrund von Krieg, Verfolgung und fehlender Existenzgrundlage in ihren Heimatländern nach Deutschland kamen, systematisch ausgegrenzt und diskriminiert werden. Es ist ein Schweigen, das sich über einen weiten Bereich erstreckt: Von der Ausländerbehörde über die Landratsämter bis zu den Menschen, die nur wenige Kilometer von Flüchtlingslagern entfernt wohnen und trotzdem den Mund halten. Dieses kollektive Schweigen hat nichts Positives an sich: Es bildet die Basis von Schikanen – in den Behörden, in den Flüchtlingslagern, selbst beim Einkauf im Supermarkt, wo die Betroffenen gezwungen sind, mit Gutscheinen statt mit Bargeld zu bezahlen. Und am Ende von jahrelangen Asylverfahren, von jahrelanger Isolation, ermöglicht dasselbe Schweigen eine reibungslose Abschiebung. Die alltägliche unmenschliche Behandlung von Flüchtlingen, nicht nur in Thüringen, ist vor allem deshalb möglich, weil so wenig darüber in die Öffentlichkeit sickert. Nur wenige Menschen wissen, wo sich die Flüchtlingslager befinden: Gerstungen, Zella-Mehlis, Breitenworbis, und wie sie alle heißen. Noch weniger waren einmal da und haben sich selbst einen Eindruck verschafft. Das Schweigen reicht bis in die Parlamente, wo Anträge zur Abschaffung der Residenzpflicht regelmäßig abgelehnt werden – das Äußerste war eine leichte Lockerung des Gesetzes in diesem Jahr.
Aus diesen Gründen ist es so wichtig, auf die Straße zu gehen, sich zu empören und wütend zu werden. Nicht um aus einer privilegierten Position heraus diejenigen ohne Privilegien zu bemitleiden und für sie zu sprechen, sondern um nicht länger ein Teil des großen schweigenden Blocks zu sein, das Schweigen zu durchbrechen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Forderungen zu äußern, die sonst ignoriert werden.

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