Endstation Industriegebiet

Thüringer Flüchtlinge protestieren gegen gesetzliche Schikanen

Von Kay Abendroth




Foto: Marco Fieber

Haben es Flüchtlinge erst einmal über die europäische Außengrenze geschafft, heißt es für diejenigen, die nicht sofort wieder abgeschoben werden: warten. Manchmal jahrelang. Während das Asylverfahren läuft, führen sie in der Regel alles andere als ein normales Leben. Sammelunterkünfte, Residenzpflicht und Gutscheine als Zahlungsmittel verhindern in Thüringen nicht nur eine Integration, sondern grenzen Flüchtlinge vielmehr aus der Gesellschaft aus.
Zurzeit leben nach Angaben des Innenministeriums 2.965 Flüchtlinge in Thüringen. Davon sind mehr als die Hälfte in Sammelunterkünften untergebracht. Diese Art der Unterbringung stand schon mehrfach in der Kritik: „Die Lager haben die Funktion Flüchtlinge von der Gesellschaft zu isolieren und politische Selbstorganisation zu verhindern“, meint Clemens Wigger. Er studiert in Jena und gehört zum Unterstützerkreis von The Voice, einer Organisation, die sich seit Jahren für Asylsuchende engagiert. Mit diesen „Isolationslagern“ – wie sie von The Voice genannt werden – solle eben auch die Abwicklung des Asylverfahrens und der Abschiebung möglichst reibungslos verlaufen, so Clemens. Deshalb befänden sich die Lager auch zum großen Teil abgelegen, in kleinen Dörfern, im Wald oder in nahezu unbewohnten Gegenden. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wird so deutlich erschwert. Dabei seien Sammelunterkünfte keineswegs gesetzlich vorgeschrieben. Besonders aus finanziellen Gründen würden Flüchtlinge „so billig wie möglich“ untergebracht.

Keine Bewegungsfreiheit

Miloud Lahmar Chérif und seine Frau kamen beide als Asylsuchende nach Deutschland. Heute leben sie in einer Sammelunterkunft in einem Industriegebiet von Zella-Mehlis. Einmal wurde Miloud erwischt, als er die Residenzpflicht missachtete, ein Gesetz, das andere Bundesländer schon lange aufgegeben haben. Bevor diese im letzten Jahr etwas gelockert wurde, durften Flüchtlinge sich nur in dem Landkreis bewegen, dem sie zugeteilt worden waren. Mit der Änderung kamen vier Nachbarlandkreise und zwei kreisfreie Städte hinzu. Dennoch ist auch die neue Regelung von einer tatsächlichen Bewegungsfreiheit weit entfernt, besonders weil Ausnahmen nur sehr selten genehmigt werden. Stephan Hövelmans, der Pressesprecher des Thüringer Innenministeriums, bezeichnet die neue Regelung dagegen als „ausgewogenen Kompromiss“, der die Interessen aller Beteiligten berücksichtige: Das Anliegen des Gesetzgebers sei es vor allem, die Erreichbarkeit der Asylsuchenden während des Verfahrens zu gewährleisten. Deshalb sei die Residenzpflicht notwendig. Flüchtlingsinitiativen wie The Voice sehen in der Regelung vielmehr ein Instrument der Isolation.
Miloud sollte 65 Euro Strafe zahlen – weil er von Meiningen nach Erfurt gefahren war. „Ich habe mich geweigert, die Geldstrafe zu begleichen und dieses Unrecht damit anzuerkennen“, sagt er. Ihm wurde daraufhin mit einer Gefängnisstrafe gedroht, doch er weigert sich weiterhin. „Meine Freiheit ist nicht käuflich“, erklärt er selbstbewusst. Ein solches Auftreten in der Öffentlichkeit ist untypisch. „Flüchtlinge haben schon Angst, den Hausmeister in ihrem Lager zu kritisieren“, erzählt Clemens. „Außerdem haben sie Angst vor Konflikten mit der Ausländerbehörde, Angst mit Medienvertretern zu sprechen, Angst mit uns zu sprechen – teilweise.“ Es herrsche einfach eine diffuse Furcht vor allen möglichen Kontakten zur Öffentlichkeit. Den Grund dafür sieht Clemens unter anderem im „riesigen Spielraum für Schikanen und Machtwillkür“, den das Asylbewerberleistungsgesetz den Behörden biete und wovon auch reger Gebrauch gemacht werde.
„In manchen Lagern werden Flüchtlinge und Aktivisten auch gegeneinander ausgespielt“, sagt Clemens. So ist es im letzten Jahr in Gerstungen wenige Tage nach einer Aktion mit The Voice, bei der auch Journalisten anwesend waren, zu einer Abschiebung gekommen. Der Betroffene war mit drei anderen Flüchtlingen auf einem Pressefoto zu sehen gewesen. „Beim nächsten Besuch im Lager haben die Flüchtlinge uns dann vorgeworfen, wir hätten durch die Aktion diese Abschiebung zu verantworten“, erzählt Clemens. Die einzige Strategie sei es, langfristig mit den Asylsuchenden zusammenzuarbeiten. „Ich möchte nicht nur den Staat und die Behörden verantwortlich machen“, sagt Miloud, „auch wenn durch die Machtverhältnisse Staat und Behörden ganz klar einen großen Teil der Verantwortung tragen.“ Er sieht zudem die Flüchtlinge in der Pflicht. „Sie könnten aktiver sein, mehr tun, um auf ihre Situation und die Missstände aufmerksam zu machen.“ Ihnen würde nicht zu viel abverlangt, meint Miloud. „Sie müssten nur hin und wieder mit einem Journalisten reden – mit irgendjemandem.“

Protest in Erfurt

Für den 22. Oktober ruft das Netzwerk „Break Isolation“ dazu auf, in Erfurt für die Schließung der Flüchtlingsheime und eine Abschaffung der Residenzpflicht zu demonstrieren. „Break Isolation“ ist eine Zusammenschluss von Einzelaktivisten und verschiedenen Gruppen, darunter auch The Voice. Hauptanliegen des Netzwerkes ist es, die Selbstorganisation der Flüchtlinge zu unterstützen und so gegen die Ungleichbehandlung vorzugehen. „Von vielen Stellen, seien es Medien, Politik oder zivilgesellschaftliche Gruppen, wird nicht wahrgenommen, dass Flüchtlinge eine eigene Position haben und sich selbst organisieren“, meint Clemens, „das wollen wir ändern.“

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